Deutschland

"Sprengstoff für den sozialen Zusammenhalt": Finanzminister Lindner will bei Arbeitslosen sparen

Irgendwo muss man ja sparen: Finanzminister Christian Lindner (FDP) pocht auf Sonderausgaben hier und Schuldenbremse da. Bei der Förderung von Langzeitarbeitslosen soll der Gürtel enger gezurrt werden. Doch angesichts der Inflation ist dies für viele der falsche Posten.
"Sprengstoff für den sozialen Zusammenhalt": Finanzminister Lindner will bei Arbeitslosen sparenQuelle: www.globallookpress.com © Kay Nietfeld/dpa/ Global Look Press

Kürzlich hat Finanzminister Christian Lindner die Bürger auf eine lange entbehrungsreiche Phase eingeschworen. Während sich Lindner heute auf Sylt mit der RTL-Reporterin Franca Lehfeldt vermählt hat, wurde bekannt, dass die Bundesregierung im kommenden Jahr einen Fördertopf für Langzeitarbeitslose kürzen will. Aus dem im Kabinett beschlossenen Haushaltsentwurf geht hervor, dass für "Leistungen zur Eingliederung in Arbeit" dann nur noch 4,2 Milliarden Euro eingeplant sind. In diesem Jahr stehen dagegen rund 4,8 Milliarden zur Verfügung. Zuerst hatte der Spiegel über die Zahlen berichtet.

Die 4,2 Milliarden sind allerdings immer noch mehr, als im vergangenen Jahr für die Eingliederung ausgegeben wurde. Für 2021 stehen rund 4,04 Milliarden Euro zu Buche. Aus dem Topf werden unter anderem Lohnkostenzuschüsse für Arbeitgeber finanziert, die Langzeitarbeitslose beschäftigen – eine nicht ganz unumstrittene Praxis.

Die für 2023 vorgesehenen Mittel bewegten sich auf dem Niveau der Ausgaben von 2019, erklärte eine Sprecherin von Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD). Über die endgültige Ausstattung entscheide zudem der Bundestag. Heil werde "sich weiterhin für eine aktive Arbeitsmarktpolitik und für eine entsprechende dauerhafte Mittelausstattung des sozialen Arbeitsmarkts starkmachen".

Mit dem sogenannten sozialen Arbeitsmarkt werden Jobs für Langzeitarbeitslose bei gemeinnützigen Einrichtungen, Kommunen und in der freien Wirtschaft staatlich bezuschusst. Als langzeitarbeitslos gelten Arbeitslose, die ein Jahr oder länger keine Anstellung haben. Vor der Corona-Krise war ihre Zahl kontinuierlich leicht gesunken. Seit 2020 steigt sie nach Daten der Bundesagentur für Arbeit wieder.

Insgesamt sei das Modell des sozialen Arbeitsmarkts ein Erfolg, sagte der Grünen-Abgeordnete Frank Bsirske. In der Koalition sei man von seinem Nutzen überzeugt, deshalb solle es auch künftig entsprechend finanziell ausgestaltet werden. Laut Arbeitsministerium fanden so knapp 50.000 Menschen den Weg aus langjähriger Arbeitslosigkeit.

Im Haushaltsentwurf sind allerdings zunächst weitere Kürzungen geplant, etwa auf 2,5 Milliarden im Jahr 2024 und sogar auf fünf Millionen Euro ab 2029. Im Bundestag beschlossen wird aber erst einmal nur der Etat für 2023. Danach verhandelt Finanzminister Lindner erneut mit den Fachministern, die längerfristigen Zahlen sind also unverbindlich.

Auch SPD-Fraktionsvize Dagmar Schmidt betonte, noch sei kein Haushalt beschlossen. "In den anstehenden Haushaltsberatungen wird die soziale Sicherheit eine entscheidende Rolle spielen", erklärte sie. "Wir werden niemanden zurücklassen und dabei neue Chancen schaffen." Auch Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt kündigte Debatten über die Kürzung an.

"Schon, wenn man es nur wirtschaftlich betrachtet und sagt, wir brauchen diese Arbeitskräfte, ist es wichtig, dass man dafür sorgt, dass sowas wie Eingliederungshilfen weiter passiert", sagte die Grünen-Politikerin im Deutschlandfunk.

Der FDP-Abgeordnete Jens Teutrine wies auf Twitter darauf hin, dass Gelder, die in diesem Jahr nicht ausgegeben wurden, auch im kommenden Jahr genutzt werden könnten.

Von Verbänden und Opposition kam trotzdem Kritik. Investitionen in Weiterbildungen für Arbeitslose seien gut angelegtes Geld, sagte DGB-Vorstandsmitglied Anja Piel. "Solche Investitionen sind wichtig im Kampf gegen sich verfestigende Langzeitarbeitslosigkeit und mit Blick auf den Fachkräftebedarf unverzichtbar." Arbeitgeber unterschiedlicher Branchen beklagen immer wieder einen Mangel an Fachkräften.

Die Koalitionsfraktionen müssten den Entwurf im Parlament korrigieren. Der Präsident der Arbeiterwohlfahrt, Michael Groß, wertete es als "fatales Signal, ausgerechnet bei den Ärmsten zu sparen". Groß warnte:

"Das wird das Gefühl sozialer Ungerechtigkeit in der Bevölkerung verstärken und kann zu Sprengstoff für den sozialen Zusammenhalt werden."

Unionsfraktionsvize Hermann Gröhe nannte die Pläne unverantwortlich. "Der Ampel fehlt eine Planung, wie sie Langzeitarbeitslose langfristig wirkungsvoll in Arbeit bringen will", sagte ausgerechnet der CDU-Politiker. Nach Ansicht der Sozialpolitikerin der Linken Jessica Tatti würden SPD und Grüne den letzten Rest an sozialpolitischer Glaubwürdigkeit verspielten, wenn sie die Pläne Lindners mittrügen.

Schon vor dieser Ankündigung aus dem Kabinett prognostizierte der Paritätische Gesamtverband aufgrund der veröffentlichten Zahlen des Armutsberichts 2022: "Deutschland droht am unteren Rand auseinanderzubrechen."

Mehr zum Thema - Inflationshoch: Politikwissenschaftler warnt vor Verelendung der Armen

(dpa/rt de)

Durch die Sperrung von RT zielt die EU darauf ab, eine kritische, nicht prowestliche Informationsquelle zum Schweigen zu bringen. Und dies nicht nur hinsichtlich des Ukraine-Kriegs. Der Zugang zu unserer Website wurde erschwert, mehrere Soziale Medien haben unsere Accounts blockiert. Es liegt nun an uns allen, ob in Deutschland und der EU auch weiterhin ein Journalismus jenseits der Mainstream-Narrative betrieben werden kann. Wenn Euch unsere Artikel gefallen, teilt sie gern überall, wo Ihr aktiv seid. Das ist möglich, denn die EU hat weder unsere Arbeit noch das Lesen und Teilen unserer Artikel verboten. Anmerkung: Allerdings hat Österreich mit der Änderung des "Audiovisuellen Mediendienst-Gesetzes" am 13. April diesbezüglich eine Änderung eingeführt, die möglicherweise auch Privatpersonen betrifft. Deswegen bitten wir Euch bis zur Klärung des Sachverhalts, in Österreich unsere Beiträge vorerst nicht in den Sozialen Medien zu teilen.