Deutschland

Deutschland: Armutsquote stieg im zweiten Pandemiejahr 2021 auf 16,6 Prozent

Der Paritätische Gesamtverband prognostiziert aufgrund der veröffentlichten Zahlen des Armutsberichts 2022: "Deutschland droht am unteren Rand auseinanderzubrechen". Die Armut im Land zeige eine Dynamik wie seit der Wiedervereinigung nicht mehr erreicht. Die Prognosen für diesen Herbst bleiben düster.
Deutschland: Armutsquote stieg im zweiten Pandemiejahr 2021 auf 16,6 ProzentQuelle: www.globallookpress.com © www.imago-images.de

Die Zahl der in Deutschland von Armut bedrohten Menschen hat in den zurückliegenden zwei Jahren während der Corona-Pandemie laut dem aktuellen Armutsbericht 2022 einen neuen Höchststand erreicht. Der Deutsche Paritätische Wohlfahrtsverband analysierte für seinen am Mittwoch in Berlin vorgestellten Jahresbericht die bereits im Mai bekannt gegebenen Daten des Statistischen Bundesamtes zur sogenannten Armutsgefährdungsquote.

Der Wert der Gesamtquote ist nach Angaben von Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbandes, demnach im vergangenen Jahr auf 16,6 Prozent gestiegen. Dies bedeutet, dass in Deutschland aktuell 13,8 Millionen Menschen unterhalb der entsprechenden offiziell festgelegten Grenze leben, das sind 600.000 Bürger mehr als noch vor der Pandemiezeit. Als "arm" werden in Deutschland alle jene Bürger bezeichnet, denen weniger als 60 Prozent des durchschnittlichen Einkommens in der Gesamtgesellschaft zur Verfügung stehen.

Laut dem nun veröffentlichten Bericht ist in den beiden ersten Jahren der Pandemie 2020 und 2021 die Armutsquote von 15,9 auf 16,6 Prozent gestiegen. Diese Zahlen stellen den stärksten Anstieg innerhalb von zwei Jahren dar, welcher bisher seit 1990 im Mikrozensus festzustellen war. Schneider fand auf der Pressekonferenz klare und aufrüttelnde Worte zur erfassten Realität:

"Die Befunde sind erschütternd, die wirtschaftlichen Auswirkungen der Pandemie schlagen inzwischen voll durch. Noch nie wurde auf der Basis des amtlichen Mikrozensus ein höherer Wert gemessen und noch nie hat sich die Armut in jüngerer Zeit so rasant ausgebreitet wie während der Pandemie."

In einem öffentlichen Twitter-Beitrag fragt Schneider ganz persönlich:

"Seit 15 Jahren bewegen sich die Armutszahlen fast ununterbrochen nach oben. Mit 13,8 Millionen waren es 2021 bereits 2 Millionen mehr Arme als noch 2006. Wieviele sollen es noch werden, bevor endlich etwas geschieht?"

Für die einzelnen Bundesländer lauten die berechneten Werte einer drohenden Armutsgefährdung folgendermaßen (Seite 7):

  • Bayern – 12,6 Prozent
  • Baden-Württemberg – 13,9 Prozent
  • Brandenburg – 14,5 Prozent
  • Schleswig-Holstein – 15 Prozent
  • Sachsen – 17,1 Prozent
  • Hamburg – 17,3 Prozent
  • Mecklenburg-Vorpommern – 18,1 Prozent
  • Hessen – 18,3 Prozent
  • Nordrhein-Westfalen – 18,7 Prozent
  • Thüringen – 18,9 Prozent
  • Sachsen-Anhalt – 19,5 Prozent
  • Berlin – 19,6 Prozent
  • Bremen – 28 Prozent

Laut Hauptgeschäftsführer Schneider auf der Pressekonferenz stellt das Ruhrgebiet mit 5,8 Millionen Einwohnern in Nordrhein-Westfalen als der größte Ballungsraum Deutschlands mit einer Armutsgefährdungsquote von 21,1 Prozent die "armutspolitische Problemregion Nummer 1" dar. Mehr als einer unter fünf Bewohnern dieser Region leben demzufolge dort in Armut.

Auffallend sei deutschlandweit ein ungewöhnlicher Zuwachs der Armut selbst unter Erwerbstätigen, insbesondere unter Selbständigen (von 9 auf 13,1 Prozent). Zählte die Mikrozensuserhebung 2019 unter den Erwerbstätigen insgesamt einen Anteil von 8 Prozent und unter den Selbständigen von 9 Prozent Armen, so kommt die "2020er Erhebung auf 8,7 Prozent bei den Erwerbstätigen und sogar 13 Prozent bei den Selbständigen", zeigen die Berechnungen des Berichts. Anteilige "Armutshöchststände" sind beschämenderweise für dieses reiche Deutschland laut der Veröffentlichung unter Rentnern (17,9 Prozent) sowie Kindern und Jugendlichen (20,8 Prozent) zu verzeichnen.

Der Paritätische Wohlfahrtsverband kritisiert das jüngste "Entlastungspaket" der Bundesregierung als "ungerecht und unzureichend". So heißt es in der Presseerklärung.

"Die seit Herbst 2021 steigenden Lebenshaltungskosten führten zu einer dramatischen Vertiefung der Armut und verlangten entschlossene Hilfsmaßnahmen. Pandemie und Inflation treffen eben nicht alle gleich. Wir haben keinerlei Verständnis dafür, wenn die Bundesregierung wie mit der Gießkanne übers Land zieht, Unterstützung dort leistet, wo sie überhaupt nicht gebraucht wird und Hilfe dort nur völlig unzulänglich gestaltet, wo sie dringend erforderlich wäre."

Nur zwei Milliarden Euro des insgesamt 29 Milliarden Euro schweren Entlastungspakets sind als gezielte Hilfen ausschließlich einkommensarmen Menschen zugekommen."

Zum Thema der Erhöhung der Mindestlöhne in Deutschland heißt es in der Broschüre zum Armutsbericht an anderer Stelle:

"So wird die Inflation die Wohlstandsdisparitäten zwischen ärmeren und reicheren Haushalten wahrscheinlich noch einmal deutlich vertiefen. Der im Oktober auf 12 Euro ansteigende Mindestlohn wird angesichts der Tatsache, dass von ihm zwar rund 6,2 Millionen Erwerbstätige, aber darunter nur 1,4 Millionen Vollzeitbeschäftigte profitieren werden, voraussichtlich nur sehr begrenzten Einfluss auf die Armutsentwicklung haben."

Als die wahrscheinlich "wirksamsten Hebel, schnell zu einer Entlastung unterer Einkommen zu gelangen", nennt der Paritätische Wohlfahrtsverband die Elemente "Grundsicherung, Wohngeld und BAföG". Von der neuen "Ampel"-Regierung fordert der Verband daher eine schnellstmögliche Anhebung der Regelsätze in der Grundsicherung. "Wenn unter Studierenden eine Armutsquote von 30 Prozent gegeben ist, aber nur 466.000 BAföG beziehen", dann würden diese Daten auch hier einen dringend gebotenen Reformbedarf signalisieren. In der Broschüre lautet das Resümee zu diesem Thema:

"Nach unserer Auffassung darf das BAföG nicht unter dem Existenzminimum liegen, sondern muss analog zu Hartz IV schnellstmöglich angehoben werden." 

Mittelfristig bedarf es daher "einer offensiven und problemlösenden Armutspolitik", so die Forderung des Paritätischen Wohlfahrtsverbands an die Bundesregierung.

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