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Grundsatzurteil aus Karlsruhe zu bayerischem Verfassungsschutz soll auf Bund ausgeweitet werden

Das Bundesverfassungsgericht hat im April einer Verfassungsbeschwerde gegen das besonders weitgehende bayerische Verfassungsschutzgesetz Recht gegeben. Ein neues Gutachten der Wissenschaftlichen Dienste des Bundestages bestätigt, die Empfehlungen – wie etwa ein Ende der Online-Durchsuchungen – auf den Bund zu übertragen.
Grundsatzurteil aus Karlsruhe zu bayerischem Verfassungsschutz soll auf Bund ausgeweitet werdenQuelle: Gettyimages.ru © picture alliance / Kontributor

Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe setzte am 26. April mit einem wegweisenden Urteil den geltenden bayerischen Verfassungsschutzregelungen einen ersten juristischen Riegel vor. Betroffen waren unter anderem die Vorgaben zum Ausspähen und Abhören von Wohnungen, zur Online-Durchsuchung und zur Handy-Ortung, zum Einsatz sogenannter V-Leute und zu längeren Observationen. Das Urteil aus Karlsruhe hat weitreichende Folgen: In einem Gutachten der Wissenschaftlichen Dienste des Bundestages wird mitgeteilt, dass dieses auch auf den Bund, also weitere Verfassungsämter, übertragbar sei. Das Gutachten trägt den Titel:

"Auswirkungen des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 26. April 2022 zum Bayerischen Verfassungsschutzgesetz."

Zum Urteil vom 26. April heißt es darin:

"Das Bundesverfassungsgericht hat insoweit Eingriffsvoraussetzungen, die das Gesetz für die Maßnahmen vorsieht, hinsichtlich des zu schützenden Rechtsguts, der Eingriffsschwelle und des Eingriffszwecks für ungenügend erachtet und die entsprechenden verfassungsrechtlichen Anforderungen konkretisiert."

Die Ausarbeitung der Wissenschaftlichen Dienste fasst daher "die Argumentation des Bundesverfassungsgerichts zusammen", dass die Geheimdienste des Bundes mehr in den Fokus der Kontrolle gehörten, dass "einzelne Vorschriften in anderen Gesetzen, namentlich dem Bundesverfassungsschutzgesetz (BVerfSchG)4, dem Bundesnachrichtendienstgesetz (BNDG)5 und dem Militärischen AbschirmdienstGesetz (MADG)6", sehr wohl "übertragbar sein könnten". Zusammengefasst sollen für das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) künftig dieselben eindeutig definierten rechtsstaatlichen Standards gelten müssen wie für die Polizei, die genannten Behörden insgesamt selbst stärker überwacht werden.

Der FDP-Fraktionsvize Stephan Thomae, der das Gutachten in Auftrag gegeben hat, kommentierte den bisherigen Status quo gegenüber der Süddeutschen Zeitung (SZ) mit den Worten:

"Das führt dazu, dass auch harmlose Bürgerinnen und Bürger zu leicht ins Fadenkreuz der verdeckt und geheim agierenden Nachrichtendienste geraten können."

Die Wissenschaftlichen Dienste benennen die in dem Karlsruher Urteil formulierte Notwendigkeit künftiger "Vorabkontrolle":

"Wegen der Intensität, die den Grundrechtseingriffen durch die Maßnahmen unter Umständen zukommen kann, fordert es vielfach eine unabhängige Vorabkontrolle."

Die Süddeutsche Zeitung fasst die sich abzeichnenden Korrekturen mit der Feststellung zusammen: "Mehr unabhängige Kontrolle, keine Online-Durchsuchung: Der deutsche Inlandsgeheimdienst steht vor den größten Veränderungen seiner Geschichte." Seit dem 1. Januar ist daher für den Auslandsgeheimdienst BND wie auch zeitnah für das BfV ein vorgesetzter "Unabhängiger Kontrollrat", kurz UKR, als vorgeschaltete Behörde verantwortlich. Dieser besteht "aus sechs sehr hoch qualifizierten, unabhängigen Juristinnen und Juristen. Die meisten von ihnen waren zuvor am Bundesgerichtshof", so die SZ. Ein erster Tätigkeitsbericht soll laut Informationen der Tagesschau "bald" vorgelegt werden.

Laut der SZ wird regierungsintern sogar in Erwägung gezogen, ob der UKR künftig nicht die "Genehmigungen von Maßnahmen der Telekommunikationsüberwachung durch den Verfassungsschutz" vorab absegnen sollte. Des Weiteren soll die bis dato "kaum kontrollierte Anwerbung" von Personen "aus einer extremistischen Szene" besser eingeschätzt werden können. Laut dem Gutachten der Wissenschaftlichen Dienste des Bundestages reicht die bisherige Regelung nicht aus. So heißt es in der Einschätzung: 

"(...) sehen weder eine erhöhte Eingriffsschwelle für besonders intensive Eingriffe vor noch eine unabhängige Vorabkontrolle. Zwar wird nach § 9 Abs. 3 Nr. 2 BVerfSchG in bestimmten Fällen das Parlamentarische Kontrollgremium unterrichtet. Diese Unterrichtung muss jedoch nicht ausdrücklich im Vorfeld einer Maßnahme erfolgen und es ist auch keine Kontrollbefugnis des Parlamentarischen Kontrollgremiums vorgesehen."

Die Innenministerien von Bund und Ländern zeigen sich der SZ zufolge wenig begeistert von den Plänen nahender Umstrukturierungen. So heißt es im Artikel:

"Wenn man die Namen der V-Leute vorab an die Juristinnen und Juristen beim Unabhängigen Kontrollrat melden würde, könnten diese Informationen womöglich nach außen dringen. Dann würde niemand mehr V-Mann werden wollen. 'Das Instrument muss noch wirksam bleiben', sagt ein hoher Beamter."

Nach Einschätzung der SZ würde die Umsetzung der Empfehlungen des Gutachtens der Wissenschaftlichen Dienste zudem bedeuten, dass damit einer schon länger anvisierten Befugnis des BfV zu heimlichen Online-Durchsuchungen final ein Riegel vorgeschoben wird. Schon 2016 hätte das Bundesverfassungsgericht in einem Urteil zum BKA-Gesetz klargestellt: "Nur bei 'dringender Gefahr' dürfe der Staat Festplatten ausforschen", wobei der Zuständigkeitsbereich rein der Polizei gelte, nicht dem BfV. Dies wurde durch das Karlsruher Gericht am 26. April stellvertretend für die bayerische Regelung nun noch einmal bekräftigt. Der Verfassungsschutz solle sich daher zukünftig "auf seine eigenen Aufgaben konzentrieren". 

Das bayerische Gesetz muss laut Urteil bis spätestens Ende Juli 2023 angepasst werden. Wie sich die empfohlenen Regelungen für andere Bundesländer auswirken werden, ist noch nicht bekannt. 

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