Lauterbach wegen Warnung vor "Killervariante" in der Kritik
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hat mit Warnungen vor einer möglichen "Killervariante" des Coronavirus Kritik auf sich gezogen. Der Begriff sei unwissenschaftlich und führe zu nichts als Verunsicherung in der Bevölkerung, sagte der Virologe Jonas Schmidt-Chanasit der Bild. Kritisch äußerten sich auch andere Experten, Patientenschützer und Politiker.
Lauterbach hatte sich in der Bild am Sonntag (BamS) besorgt über diverse Omikron-Subvarianten geäußert, die sich gerade entwickelten. Unter anderem hatte er der BamS gesagt:
"Es ist durchaus möglich, dass wir eine hochansteckende Omikron-Variante bekommen, die so tödlich wie Delta ist. Das wäre eine absolute Killervariante."
Seiner Ansicht nach könnte im Herbst auch die inzwischen weitgehend aufgehobene Maskenpflicht in Innenräumen wieder eingeführt werden. Wegen steigender Zahlen und wahrscheinlicher neuer Mutationen werde man bis dahin das Infektionsschutzgesetz noch einmal überarbeiten müssen. Es könne dann durchaus wieder nötig sein, das Maskentragen in Innenräumen zur Pflicht zu machen, sagte Lauterbach.
Maskenpflichten sind nach dem aktuell gültigen Infektionsschutzgesetz nur noch in wenigen Bereichen wie Arztpraxen oder öffentlichen Verkehrsmitteln möglich. Um weitergehende Maßnahmen anordnen zu können, müssen die Bundesländer per Landtagsbeschluss Regionen zu Hotspots erklären. Auch diese Hotspot-Regel und die Maskenpflicht in Praxen, Bussen und Bahnen dürfen laut Gesetz aber nur noch bis zum 23. September angewandt werden.
Schmidt-Chanasit sieht aktuell wenig Hinweise auf eine Gefahr, wie sie Lauterbach beschreibt:
"Das Auftreten einer 'Killervariante' im Herbst ist laut Weltgesundheitsorganisation WHO ein sehr unwahrscheinliches Szenario", sagte der Experte.
Dagegen spreche zudem die breite Grundimmunisierung in der Bevölkerung durch Impfung und Infektion, "weil die Immunität nicht nur auf neutralisierenden Antikörpern basiert, sondern auch auf einer zellulären Immunität".
Auch der Bonner Virologe Hendrik Streeck reagierte skeptisch auf Lauterbachs Aussagen:
"Die Entwicklung von Varianten kann man nicht vorhersagen. Anstatt daher vor Szenarien wie 'Killervarianten' zu warnen, wäre es wichtig, sich auf den Herbst und Winter vorzubereiten", sagte er der Bild.
Der stellvertretende Vorsitzende der Grünen-Bundestagsfraktion, Konstantin von Notz, twitterte:
"Bei aller Wertschätzung für die Expertise von Karl Lauterbach und meiner vollen Solidarität wegen all den unsäglichen Anfeindungen gegen seine Person, ich halte vage Prognosen zu der 'Möglichkeit' der Entstehung einer 'absoluten Killervariante' für wirklich wenig hilfreich."
Bei aller Wertschätzung für die Expertise von @Karl_Lauterbach und meiner vollen Solidarität wegen all den unsäglichen Anfeindungen gegen seine Person, ich halte vage Prognosen zu der “Möglichkeit” der Entstehung einer “absoluten Killervariante” für wirklich wenig hilfreich.
— Konstantin v. Notz (@KonstantinNotz) April 17, 2022
Seine Fraktionskollegin Tabea Rößner schrieb:
"Killervariante ist ein aussichtsreicher Kandidat für das Unwort des Jahres."
Der CDU-Gesundheitspolitiker Erwin Rüddel twitterte in Reaktion auf Lauterbachs Äußerung:
"Er müsste doch eigentlich aus seinen Fehlern und Fehleinschätzungen gelernt haben."
Der Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch, sagte der Deutschen Presse-Agentur, Angst sei ein schlechter Ratgeber. Er mahnte Lauterbach daher:
"Deshalb sollte der Bundesgesundheitsminister apokalyptische Prophezeiungen unterlassen. Das heißt nicht, unvorbereitet in den Corona-Herbst zu gehen."
Die Zahl der täglichen positiven Tests auf eine angebliche Corona-Infektion gab das Robert Koch-Institut (RKI) am Ostermontag mit 20.482 an. Vor einer Woche waren es 30.789. Die bundesweite Sieben-Tage-Inzidenz sank auf 808,8, während sie am Vortag bei 834,3 und in der Vorwoche bei 1.080 gelegen hatte.
Zu berücksichtigen ist dabei, dass einzelne Länder nicht an jedem Wochentag Daten melden. An Feiertagen sind zudem weniger Meldungen zu erwarten, was wiederum zu Nachmeldungen an Folgetagen führen kann. Experten gehen auch von einer hohen Zahl nicht erfasster Fälle aus, unter anderem weil nicht alle Infizierten einen PCR-Test machen lassen. Nur diese zählen in der Statistik.
Der Leiter des Gesundheitsamtes Berlin-Neukölln, Nicolai Savaskan, sagte der Tageszeitung Die Welt zu den sinkenden Zahlen:
"Neben dem saisonalen Effekt ist der wichtigste Grund, dass Schnelltest-Ergebnisse nicht in die offizielle Statistik des Robert Koch-Instituts einfließen. Bei uns in Neukölln machen diese aktuell 30 Prozent aller gemeldeten Fälle aus. Die Corona-Inzidenz des RKI ist also in Wahrheit um ein Drittel höher."
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rt de/dpa
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