von Susan Bonath
Das Hauptargument des Fremdschutzes ist großteils wissenschaftlich widerlegt; sogar das Robert Koch-Institut (RKI) hat es inzwischen ad acta gelegt. Dennoch ist die einrichtungsbezogene Corona-Impfpflicht im Gesundheitswesen am Mittwoch in Kraft getreten. Geht es nach den Hardlinern, soll eine Impfpflicht für alle Erwachsenen ab 18 Jahren folgen. Kritik daran bezeichnen viele Politiker und Medien gern pauschal als unvernünftig. Dass der Petitionsausschuss des Bundestages am Montag in letzter Minute zwei Gegenstimmen zu Wort kommen ließ, mutete fast wie eine Art Gnadenakt an.
Es ging um eine Petition gegen die Impfpflicht im Gesundheitswesen und eine weitere gegen eine geplante weitergehende Pflicht zu mindestens drei Spritzen für alle Erwachsenen. Beide Eingaben waren jeweils von rund 130.000 Menschen mitgezeichnet worden – immerhin eine "Inzidenz" von 160 Petenten pro 100.000 Einwohnern. Doch der Umgang des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG) mit den Unterzeichnern machte eines deutlich: Sachlich mit den Gegenstimmen auseinandersetzen will sich das hohe Haus wohl nicht.
"Schwer erträglich, was Sie in Dauerschleife erzählen"
Normalerweise stellen sich in so einer Sitzung die Hauptpetenten, die entsprechenden Minister und weitere Beteiligte den Fragen der Ausschussmitglieder. Die Redezeit orientiert sich an der Stärke der jeweiligen Fraktion. So war es auch diesmal, nur das eine wichtige Person fehlte: Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hatte seinen Staatssekretär Edgar Franke stellvertretend ins Rennen geschickt. Dieser ging auf die meisten Argumente der Petenten gar nicht ein. Bis letztlich dem AfD-Abgeordneten Dirk Brandes der Kragen platzte:
"Es ist nur schwer erträglich, was Sie uns in Dauerschleife erzählen",
warf er Franke vor. Der Staatssekretär äußere sich weder dazu, was die Bundesregierung in den letzten beiden Jahren gegen eine angeblich weiterhin drohende Überlastung des Gesundheitssystems getan habe, noch erläutere er das Problem der bis heute nur bedingten Zulassung aller in Deutschland verfügbaren und anerkannten COVID-19-Impfstoffe. Brandes hielt sich, gewandt an Franke, nicht zurück:
"Ist die Bundesregierung eigentlich Anwalt der Bürger oder für Pfizer, BioNTech und Co.?"
Lauterbachs Vertreter hielt dagegen: Die Bundesregierung sei nicht nur Anwalt der Bürger, sondern speziell der "vulnerablen Gruppen". Damit meinte er die älteren oder vorerkrankten Menschen mit einem höheren Risiko für schwere COVID-19-Verläufe, insbesondere Pflegeheim-Bewohner. Ob die allerdings allesamt der Regierung besonders dankbar sind für die seit zwei Jahren praktizierten, teils enormen Grundrechtseinschränkungen am Ende ihre Lebens, darf stark bezweifelt werden.
Vorwurf: Fehlende Daten, viele Widersprüche, Ignoranz
Aber der Reihe nach: Für die Unterzeichner der Eingabe gegen die von rund 200 Abgeordneten unterstützte allgemeine Impfpflicht sprach Gesundheitswissenschaftlerin Bettina Berger. Sie warnte, es gebe zu viele offene Fragen bezüglich der Sicherheit und Wirksamkeit der Impfstoffe. Erwiesen sei, dass die Impfungen weder vor Ansteckung noch Übertragung der Erkrankung schützen. Ein Eigenschutz vor schwerem Verlauf lasse bereits nach zwei Monaten nach.
Sie kritisierte auch, dass die Behörden eine Vielzahl von Risikosignalen noch immer weitgehend ignorierten. Die Impfstoffe seien weiter nur bedingt zugelassen, die gemeldeten Verdachtsfälle auf Nebenwirkungen überstiegen das Niveau von anderen Impfstoffen um ein Vielfaches. Und mindestens 80 Prozent der tatsächlichen Fälle würden vom passiven Meldesystem des Paul-Ehrlich-Instituts (PEI) wohl nicht erfasst. Die Gesundheitswissenschaftlerin ergänzte:
"Auch Krankenkassendaten weisen darauf hin, dass wir womöglich eine hohe Rate an unerklärlichen Impffolgen haben."
Berger beklagte außerdem fehlende Langzeitbeobachtungen. Man wisse etwa nicht, wie sich die mehrfache Verabreichung der Vakzine langfristig auf das Immunsystem auswirke. Eigentlich seien langjährige Vergleichsbeobachtungen einer Impf- und einer Placebo-Gruppe nötig. Doch die Hersteller hätten Letztere wenige Monate nach ihrer Zulassungsstudie aufgelöst.
Insgesamt sei die Datenlage äußerst mangelhaft, rügte die Petentin. Man habe nie erfasst, wie viele nicht Impfwillige bereits genesen sind. Es werde ignoriert, dass die neue Omikron-Variante allgemein zu milderen Verläufen führe und dass ein wachsender Teil der positiv getesteten Intensivpatienten sogar geboostert sei. Laut RKI-Wochenbericht (S. 19) waren das zwischem dem 7. Februar und 6. März 2022 bereits 35 Prozent, 22,5 weitere Prozent hatten demzufolge zuvor zwei Impfungen erhalten.
Und nicht zuletzt, so Berger, gebe es inzwischen gute Möglichkeiten, Erkrankte medikamentös zu behandeln. Darauf könne und müsse ein viel größerer Fokus gelegt werden als bisher. Unter diesen Bedingungen verbiete sich eine Impfpflicht. Sie mahnte abschließend:
"Weder ist eine Impfpflicht angemessen, erforderlich noch geeignet."
BMG widerspricht sogar dem RKI
Staatssekretär Franke, anfangs unterstützt von einem RKI-Vertreter, blieb in seinen Antworten stets pauschal und vermied es, seine zahlreichen Behauptungen zu belegen. Zunächst monierte er, dass die Petentin vergessen habe zu erwähnen, dass Impfungen das Long-COVID-Risiko etwa um die Hälfte senkten. Wer das wann und wie herausgefunden haben soll, blieb jedoch genauso unbeantwortet wie die sich stellende Frage: Wie viele Long-COVID-Fälle liegen dieser angeblich verhinderten Hälfte eigentlich zugrunde?
Die Risikosignale bügelte Franke mit dem inzwischen bekannten Hinweis darauf ab, dass inzwischen weltweit vier Milliarden Menschen geimpft worden seien und das BMG daher von einem "günstigen Nutzen-Risiko-Profil" ausgehe. Medikamente gegen die Erkrankung seien, so der Staatssekretär, nach BMG-Ansicht "kein Ersatz für eine präventive Impfung". Letztere bezeichnete er als "geringsten Eingriff in Grundrechte". Auf Belege für seine Aussagen hofften die Petenten auch diesmal vergeblich.
Schließlich widersprach Franke selbst den Daten des RKI und der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI). Er behauptete, es sei "ja Fakt, dass Geboosterte nicht mehr auf der Intensivstation landen". Und man könne durch drei Impfungen "Erkrankungen und Ansteckungen verhindern". Gesicherte Erkenntnisse dazu könne man "beim RKI nachlesen".
Problem: Tatsächlich findet man beim RKI Angaben, die Frankes Aussagen widersprechen. Dort heißt es wörtlich zur seit Monaten dominierenden Omikron-Variante:
"Es ist noch unklar, wie lange der Schutz nach Auffrischimpfung anhält. Auch über die Transmission unter Omikron gibt es bisher keine ausreichenden Daten, sie scheint bei Geimpften weiterhin reduziert zu sein, wobei das Ausmaß der Reduktion unklar bleibt. Schätzungen zur Wirksamkeit gegen die Omikron-Variante werden ergänzt, sobald diese publiziert wurden."
Institut glaubt an Wirksamkeit, kann sie aber nicht beziffern
Mit anderen Worten: Das RKI glaubt zwar, dass die Impfung Ansteckungen mit und die Übertragung von Omikron vermindere, hat keinerlei plausible Daten dafür. RKI-eigenen Erhebungen zu symptomatischen Corona-Fällen in Deutschland nach dem Infektionsschutzgesetz (IfSG) zufolge wächst der Anteil der Geimpften und Geboosterten jedenfalls wöchentlich (S. 27).
Von den Corona-Infizierten mit Symptomen ab 60 Jahren waren demnach zwischen Anfang Februar und Anfang März 2022 knapp zwei Drittel geboostert, weitere 14 Prozent zweifach geimpft und nur 22 Prozent nicht oder nicht vollständig gespritzt. Bei den 18- bis 59-jährigen Infizierten meldete das Institut 47 Prozent Geboosterte, weitere 27 Prozent doppelt Vakzinierte und 26 Prozent "Ungeimpfte". Selbst bei den Minderjährigen ab zwölf Jahren waren laut erfassten RKI-Zahlen 44 Prozent doppelt oder dreifach geimpft, bei den noch jüngeren Kindern ab fünf Jahren betraf dies etwa jeden zehnten Minderjährigen.
Angesichts der DIVI-Zahlen, wonach zuletzt nur noch ein knappes Drittel der schwerkranken Patienten ungeimpft war, bleiben zwei Möglichkeiten: Staatssekretär Franke hat vergessen, nachzuschauen, und weiß es nicht besser – oder aber er relativiert die Datenlage bewusst.
Krankenpflegerin warnt: Viele Bedürftige könnten bald unversorgt sein
Auch die Argumente der Krankenpflegerin Stefanie Bresnik als Vertreterin der Petenten gegen die Impfpflicht im Gesundheitswesen schienen weitgehend an Staatssekretär Franke abzuprallen. Sie führte an, dass die Vakzine die Geimpften "bestenfalls und ohne Garantie" vorübergehend vor einem schweren Verlauf einer Corona-Infektion schützten. Es gehe also um um den Eigenschutz.
"Genau dafür darf es jedoch keinesfalls eine Verpflichtung geben",
monierte Bresnik im Petitionsausschuss. Angesichts der Häufung von geboosterten Patienten auf den Intensivstationen könne nicht einmal die Wirksamkeit gegen schwere Verläufe beziffert werden, so die Petentin. Sie bat darum, sich folgende Situation vorzustellen:
"Nicht getestetes geimpftes Pflegepersonal könnte sich in falscher Sicherheit wiegen und zu einem Superspreader in den Kranken- und Pflegeeinrichtungen werden, während täglich getestetes ungeimpftes Personal aus dem Verkehr gezogen wird."
Unabhängig davon schützten die Spritzen allerdings schon deshalb nicht vor einer Überlastung der Einrichtungen – dem Hauptargument der Pflicht-Befürworter –, weil die Wurzel der Probleme woanders liege: Schuld sei die jahrelange Sparpolitik der Bundesregierung. Sie fügte an:
"Kurz gesagt: Das ganze System ist nicht nur krank, es macht leider auch krank."
Bezüglich der Impfstoffe betonte auch Bresnik die Unsicherheit. Die neuartigen Mittel hätten nicht das Vertrauen der Petenten. Sie seien viel zu wenig erforscht und stellten einen "potenziell gefährlichen Eingriff in unser komplexes Immunsytem dar", erklärte Bresnik ruhig. Nebenwirkungen würden "statistisch vernachlässigt", es sei unklar, wie viele Impfungen die Regierung am Ende für nötig erachten werde – eine Folgenabwägung sei deshalb unmöglich. Auch die zuständigen Behörden hätten Qualität und Effizienz der Impfstoffe bisher immer weiter nach unten korrigiert. Sie betonte im Namen ihrer Mitunterzeichner:
"Wir sind schockiert, sollte diese einrichtungsbezogene Impfpflicht umgesetzt werden."
Denn dies, so die Krankenpflegerin, würde die ohnehin dramatische Personalnot in den Pflegeeinrichtungen weiter verschärfen – zum Schaden der vulnerablen Menschen. So sei in ihrer Einrichtung in der Behindertenversorgung etwa die Hälfte des Personals nicht geimpft. Würden diese Pflegekräfte nun vor die Tür gesetzt, könne auch die Hälfte der Hilfsbedürftigen nicht mehr betreut werden, warnte sie.
Mutmaßliche schwere Nebenwirkungen beobachtet
Ein Intensivmediziner aus dem Ruhrgebiet, ebenfalls Mitunterzeichner der Petition, ergänzte: Zwar seien noch immer positiv getestete Patienten auf der Intensivstation. "Die Erkrankung mit der derzeitigen Variante macht ihnen aber viel weniger zu schaffen als den Betroffenen vor einem Jahr", führte er aus.
Im Verlauf der Fragerunde räumte Bresnik außerdem ein, dass sie und ihre Kollegen viele mutmaßliche Impfnebenwirkungen gesehen hätten und auch deswegen diesen Eingriff fürchteten. Ein Problem sei auch, dass viele Ärzte und Patienten selbst plötzliche, sehr schwere Erkrankungen unmittelbar nach einer Spritze oft nicht in einen Zusammenhang mit der Spritze brächten. Ihr Mitpetent sprach von gehäuften Fällen akuter Nervenerkrankungen unklaren Ursprungs in seinem Arbeitsbereich in Nordrhein-Westfalen.
Bundesregierung ist dafür, weil sie dafür ist
Lauterbachs Staatssekretär Franke zog es auch hier vor, auf die einzelnen Kritikpunkte nicht inhaltlich einzugehen. Während die Petentin aus RKI-Berichten zitierend das Hauptargument der Impfpflicht-Befürworter zerlegte, wonach nach Personal mit dem medizinischen Eingriff an sich selbst die Gepflegten schützen könne, führte Franke es immer weiter ins Feld.
Außerdem sei die "große, große Mehrheit" der Abgeordneten für die Impfpflicht in Einrichtungen gewesen, und die Bundesregierung sei eben auch dafür, weil man dies für nötig halte. Und überhaupt: Letztlich lege der Bund nur den Rahmen fest – ob Ungeimpfte tatsächlich freigestellt würden, sei "am Ende Sache der Bundesländer". Es schien, als habe der Staatssekretär nicht einmal wirklich zugehört.
Auf eine Frage nach aktuellen Ausbrüchen in Pflegeheimen und Krankenhäusern wollte Franke derweil "nicht im Detail antworten". Das könne er auch nicht, weil sein Haus, das BMG, "nur rudimentäre Kenntnisse" darüber habe. Er werde sich aber bemühen, die Daten nachzureichen. Zu den beobachteten Nebenwirkungen beteuerte Franke erneut: Diese kämen bei allen Impfungen vor und seien sehr selten. Auf die Angaben der Petenten, dass diese im Gegenteil viel häufiger beobachtet würden, ging er nicht ein.
Die Sitzung endete, ohne dass Lauterbachs Staatssekretär eines der vielen Argumente der Unterzeichner beider Petitionen vertieft hatte. Man könnte es auch deutlicher ausdrücken: Die Bundesregierung hält sich an ihre Glaubenssätze, gut verpackt in eine immer gleiche Argumentationskette. Gegenteilige Einwände prüft sie offensichtlich nicht; von einem ernsthaften Austausch von Sachargumenten war die Sitzung weit entfernt.
Zu einem abschließenden Ergebnis gelangte der Ausschuss dann auch nicht. Ein solches wird er wohl irgendwann in den kommenden Wochen oder Monaten verkünden. Es ist aber nicht zu erwarten, dass einmal auf den Weg gebrachte, dann teils schon durchgesetzte Gesetze wegen Petitionen wieder rückgängig gemacht werden könnten. Es wartet wohl viel Arbeit auf das Bundesverfassungsgericht.
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