Vor einer Woche hatte das Robert Koch-Institut (RKI) überraschend verlauten lassen, dass ab sofort für Genesene der Status nur noch für drei statt bisher sechs Monate gilt. Jetzt hat sich Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach dazu geäußert, warum es faktisch über Nacht zu der Änderung kam und weshalb es keine Übergangsregelung gibt. Darüber berichtet die Welt in ihrer Online-Ausgabe. Seine Äußerungen fallen zeitlich und inhaltlich passend zur nächsten Bund-Länder-Runde über die Corona-Maßnahmen, die an diesem Montag stattfindet.
Tempo statt Wissenschaft
Der Minister drückt in der Genesenen-Frage schlicht aufs Tempo und behauptet, man müsse "schnell handeln". Angeblich sei eine Übergangsfrist aus medizinischen Gründen nicht vertretbar:
"Ich kann jetzt nicht sagen, es gibt einen Übergang, wenn das medizinisch nicht zu halten ist",
meinte der Gesundheitsökonom bei seinem Auftritt in der ZDF-Sendung Berlin direkt am Sonntagabend.
Da nun die Omikron-Mutante vorherrsche, besäßen Corona-Genesene nach drei Monaten leider keinen Schutz mehr und könnten sich wieder infizieren. Belege für seine Behauptung blieb der Minister schuldig:
"Wenn man da Sicherheit will und die Fallzahlen kontrollieren will und die Vulnerablen besonders schützen will, dann muss man schnell handeln", so der Politiker.
Genesene haben 430 Tage Antikörper
Mehr noch: Der Minister widersprach mit seinen Äußerungen einer Veröffentlichung des Paul-Ehrlich-Instituts (PEI), das ebenso wie das RKI als nachgeordnetes und weisungsgebundenes Bundesinstitut seinem eigenen Ministerium untersteht. Das PEI hatte gerade herausgefunden, dass Genesene weit über ein Jahr Antikörper gegen das Coronavirus aufweisen, wobei sogar kein Nachlassen der Immunität zu beobachten ist:
"... zeigten daher mit zunehmender Antikörperavidität eine hohe Sensitivität und lange Nachweiszeit. Antikörper konnten dabei über mehr als 430 Tage nach der Infektion nachgewiesen werden, ohne dass ein Endpunkt absehbar war."
Dabei hatte das RKI im Gegensatz zum PEI eigentlich keine wissenschaftliche Begründung für seine Entscheidung zur Verkürzung der Dauer des Genesenenstatus angegeben, sondern seinerseits auf die hauseigene Ständige Impfkommission (STIKO) verwiesen, die am 21. Dezember 2021 eine Empfehlung zur Verkürzung des Impfabstandes auf drei Monate herausgegeben hatte.
Andere Länder: Keine Vorbilder für Berlin
Lauterbach trat dafür ein, auch weiterhin auf Vorsicht zu setzen. Von diesem Kurs würde auch nicht abgewichen. Der SPD-Mann bemühte noch dazu die Demografie: Deutschland habe im Unterschied zu den Ländern, die ihre Corona-Maßnahmen lockern, die zweitälteste Bevölkerung Europas. Für Mitte Februar erwartet der Gesundheitsminister mehrere Hunderttausend positiv auf SARS-CoV-2 Getestete ("Infizierte") pro Tag – und damit den Höhepunkt der jetzigen Omikron-Welle:
"Wenn wir das hinter uns haben, dann kann es bei den Einschränkungen natürlich nicht bleiben. Und dann würde man Schritt für Schritt wieder Öffnungen machen. Das jetzt schon ins Auge zu fassen, ist richtig."
Lauterbach behauptete, dass weitere Varianten des Coronavirus auftreten würden, weil es überall auf der Welt noch allzu viele Menschen gebe, die sich infizieren könnten. Daher sei es möglich, dass neue Viruskombinationen entstünden. Und Lauterbach fügte eine seiner typischen Warnungen an:
"Im Herbst haben wir wieder Probleme."
Hinzu kommt, dass in den Bundesländern – beispielsweise in Berlin – zwei verschiedene Arten von Genesenenstatus eingeführt wurden: eine Dauer von sechs Monaten wie bisher für den Bereich der Gastronomie und Kultur einerseits – und andererseits drei Monate für den Arbeitsplatz, den Personenverkehr und bei der Einreise.
Angeblich wollen Bund und Länder bei ihren heutigen Beratungen zur Corona-Situation auch über eine "Öffnungsperspektive" sprechen, wie es in der Beschlussvorlage heißt, die wie üblich vorab bekannt wurde. Allerdings werden die Lockerungen an die Bedingung geknüpft, dass eine Überlastung des Gesundheitswesens oder der kritischen Infrastruktur ausgeschlossen werden könne.
Der Gesundheitsminister verteidigte außerdem den Vorschlag einer fraktionsübergreifenden Gruppe von Bundestagsabgeordneten, die unter dem Sozialdemokraten Dirk Wiese dafür eintritt, eine zeitlich begrenzte Impfpflicht mit drei Injektionen zu beschließen. Lauterbach stimmte dieser Idee zu und meinte – ausdrücklich in seiner Funktion als Abgeordneter, nicht als Minister: "Mehr kann man von den Bürgern nicht erwarten." Lauterbach behauptete nun, mit der Impfpflicht könne man das Ziel einer Grundimmunisierung der Bevölkerung erreichen. Ziel ist also nun die Grundimmunisierung – "und die ist natürlich mit drei Impfungen gegeben".
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