Bis zu sechs Jahre: Ärmere laut Studie früher pflegebedürftig
Ärmere Menschen haben ein erhöhtes Risiko, pflegebedürftig zu werden und sind dann oft früher auf Pflege angewiesen als Menschen mit hohem Einkommen. Gleiches gilt für Arbeiter im Vergleich zu Beamten und für Menschen mit hoher Arbeitsbelastung im Vergleich zu Personen mit geringeren beruflichen Belastungen. Das geht aus einer aktuellen Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) in Berlin hervor.
Demnach wird das Risiko der Pflegebedürftigkeit "entscheidend durch Gesellschaft, Einkommen und Arbeitswelt beeinflusst". Frühere Untersuchungen hatten gezeigt, dass Menschen mit niedrigem Einkommen eine deutlich geringere Lebenserwartung als Besserverdienende haben.
"Nicht nur Einkommen und Lebenserwartung sind in Deutschland sozial ungleich verteilt, sondern auch das Pflegerisiko", so Peter Haan, Leiter der Abteilung Staat am DIW Berlin.
Für die aktuelle Analyse hat er mit den Fachkollegen Johannes Geyer, Hannes Kröger und Maximilian Schaller Daten des Sozioökonomischen Panels (SOEP) ausgewertet.
Laut DIW wurden Ende des Jahres 2020 knapp 3,5 Millionen Menschen ambulant gepflegt. Männer, die direkt vor dem Renteneintritt weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens verdient haben, waren etwa sechs Jahre früher auf die häusliche Pflege angewiesen als Männer mit mehr als 150 Prozent des mittleren Einkommens. Bei Frauen beträgt die Differenz rund dreieinhalb Jahre. Auch anhand der beruflichen Stellung zeigen sich Unterschiede: Arbeiter werden demnach im Schnitt etwa vier Jahre früher pflegebedürftig als Beamte. Zudem werden bei der informellen Pflege Angehörige häufig zeitlich, physisch und psychisch belastet.
Diese Ungleichheit wird dadurch weiter verstärkt, dass die Kosten für die Pflege hierzulande nur teilweise durch die gesetzliche Versicherung abgedeckt würden. Der Rest müsse privat getragen werden. Das bedeute, dass gerade bei Menschen mit höherem Pflegerisiko auch noch das ohnehin geringere verfügbare Einkommen sinke.
Da Menschen mit geringen Einkommen oder einer hohen beruflichen Belastung ein höheres Pflegerisiko haben, treten auch diese privat zu tragenden Kosten bei ihnen häufiger auf und reduzieren deren ohnehin geringeres Einkommen noch weiter. Diese Schieflage müsse durch sozialpolitische Reformen korrigiert werden:
"Um diese Ungleichheit zu bekämpfen, brauchen wir sozialpolitische Maßnahmen, die das ausgleichen. Wir brauchen dabei sowohl Konzepte, die sofort greifen, als auch solche, die langfristig angelegt sind", fordert Peter Haan.
Die Politik sollte bereits in der Erwerbsphase ansetzen und beispielsweise die Arbeitsbelastung verringern, um das Pflegerisiko präventiv zu reduzieren. Kurzfristig sollten laut DIW die Leistungen der gesetzlichen Pflegeversicherung ausgebaut und die Qualität und das Angebot in der Pflege erhöht werden. Alternativ können auch private Zuzahlungen stärker vom Einkommen abhängig gemacht werden.
Menschen mit wenig Einkommen benötigen häufiger und früher als Besserverdienende #Pflege. Um die Ungleichheit zu reduzieren, könnten private und gesetzliche Pflegeversicherung in einer #Bürgerversicherung verbunden werden, so @diw_jgeyer,@PeterHaan8 et al:https://t.co/kY03kJiB1spic.twitter.com/OOadEnNGYm
— DIW Berlin (@DIW_Berlin) November 3, 2021
Auch eine Bürgerversicherung, in der private und gesetzliche Pflegeversicherung zusammengebracht werden, könne die Ungleichheit reduzieren, da das Pflegerisiko von Menschen mit privater Pflegeversicherung deutlich geringer sei als bei gesetzlich Versicherten. Bei finanziellen Reformen müsse jedoch "stärker darauf geachtet werden, dass Menschen mit einem hohen Pflegerisiko, aber geringem Einkommen, die gleiche Qualität der Pflege bekommen wie Menschen mit höherem Einkommen."
Die in dieser Studie festgestellten sozialen Unterschiede beim Pflegerisiko und den Lebensjahren ohne Pflegebedarf könnten laut den Autoren der Studie faktisch sogar noch größer sein. Grund für diese Vermutung ist, dass Personengruppen mit niedrigeren sozioökonomischen Merkmalen einschließlich des Gesundheitszustands mit einer deutlich geringeren Wahrscheinlichkeit an den Umfragen des Sozioökonomischen Panels (SOEP) teilnehmen.
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