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"Die Situation damals war auch für mich bedrängend" – Merkel spricht über die Krisen ihrer Amtszeit

In einem großen Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung hat die scheidende Kanzlerin Angela Merkel über politische Streitthemen wie die Flüchtlingskrise 2015 oder die Pandemiebekämpfung gesprochen. Die große Aufgabe der Politik sei für sie stets Krisenbewältigung gewesen.
"Die Situation damals war auch für mich bedrängend" – Merkel spricht über die Krisen ihrer AmtszeitQuelle: www.globallookpress.com

Die scheidende Bundeskanzlerin Angela Merkel hat das Jahr 2015, als rund 890.000 Migranten weitgehend unkontrolliert eingereist sind, als sehr herausfordernd in Erinnerung. "Die Situation damals war auch für mich bedrängend, weil ich wie alle anderen auch wusste, dass nicht dauerhaft täglich 10.000 Menschen nach Deutschland kommen können, sondern sowohl für die Zuflucht suchenden Menschen als auch für unser Land tatsächlich tragfähige Wege gefunden werden mussten", sagte die frühere CDU-Chefin der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung in einem Interview mit deren Herausgeber Berthold Kohler.

Merkel sagte, während dieser Zeit sei ihr stets bewusst gewesen, als Bundeskanzlerin politisch immer für alles verantwortlich zu sein, was passiert:

"Sowohl für die guten Stunden, in denen die Flüchtlinge herzlich willkommen geheißen wurden, als auch die dunklen Stunden zum Beispiel der Silvesternacht auf der Kölner Domplatte, auf der ungeheuerliche Dinge stattfanden, an denen auch Flüchtlinge beteiligt waren – zusammen mit anderen, die schon länger hier lebten."

Damals waren Hunderte Frauen und Passantinnen bestohlen, vor allem aber sexuell bedrängt, begrapscht und teilweise vergewaltigt worden.

Die anschließende Vereinbarung mit der Türkei über den Verbleib der syrischen Flüchtlinge dort bezeichnete Merkel als Erfolg. Diese erscheine ihr heute so sinnvoll wie damals. "Es hat viel dazu beigetragen, mehr Ordnung in die Migration zu bringen und der Türkei zu helfen, die Millionen syrischen Flüchtlinge dort menschenwürdig zu versorgen. Und es hat über Jahre die üblen Geschäfte von Schleppern und Schleusern durchkreuzt."

Zu den einschneidenden Beschränkungen der Freiheitsrechte während der Pandemie sagte Merkel, sie habe es als Aufgabe des Staates gesehen, die Gesundheit möglichst vieler Menschen zu schützen und zu verhindern, dass die Krankenhäuser überlastet werden.

"Natürlich lässt sich trefflich über diese oder jene Maßnahme streiten."

Die vielleicht kontroverseste seien ja die Ausgangsbeschränkungen gewesen. "Wer das karikieren wollte, fragte, was so schlimm daran sei, wenn ein Einzelner nach 22 Uhr allein auf der Straße läuft." Es sei aber darum gegangen, Treffen und Kontakte zu verhindern. Verglichen etwa mit Frankreich seien die Einschränkungen der Bewegungsfreiheit im Übrigen noch zurückhaltend gewesen. "Dort gab es Einschränkungen im Radius, in der Stundenzahl, mit Formularen und vielem mehr."

Sie stehe dennoch weiter dazu, dass es hierzulande keine Impfpflicht gibt, betonte Merkel. "Aber dass zum Beispiel noch zwei, drei Millionen Deutsche über 60 ungeimpft sind, stimmt mich sehr traurig, weil das einen Unterschied machen könnte für sie persönlich wie für die ganze Gesellschaft."

Zum Fall des ungeimpften Profifußballers Joshua Kimmich von Bayern München sagte Merkel, auch dieser habe das Recht, sich nicht impfen zu lassen. Zu Kimmichs Begründung, der unter anderem auf fehlende Langzeitstudien zu den Impfstoffen verwiesen hatte, sagte Merkel, es gebe ja "sehr gute Sachargumente, die allgemein verfügbar sind". Weiter sagte sie:

"Vielleicht macht sich Joshua Kimmich darüber ja auch noch Gedanken. Er ist ja als sehr reflektierter Fußballer bekannt."

Zu Vorwürfen, sie habe zu wenig Verständnis für die Belastung für Kinder gehabt, sagte Merkel:

"Für die Kinder und Jugendlichen war es besonders bitter – das wusste ich zu jedem Zeitpunkt. Wir haben ihnen viel abverlangt."

Pandemiebekämpfung und "Krise" mit unkontrollierter Migration hat sie als die schwersten aller ihren Amtszeiten bewertet. "Als besonders schwierig habe ich von Anfang an die Corona-Pandemie empfunden, aber genauso herausfordernd war die Ankunft der vielen Flüchtlinge 2015." In beiden Fällen sei es um Menschen gegangen.

Ihr eigener Einfluss auf die dramatischen Entwicklungen in der Ukraine zur Zeit des sogenannten Euromaidan, der in der bis jetzt anhaltenden Ukraine-Krise gemündet hatte, war dagegen kein Thema des Gesprächs – obwohl infolge dieser Krise mehr als 13.000 Menschen ihr Leben verloren. Die Ukraine-Krise als solche erwähnte Merkel dennoch – neben anderen "Turbulenzen":

"Die ersten drei Amtszeiten waren ja durchaus turbulente Regierungsjahre gewesen, spätestens seit 2008 die Weltfinanzkrise ausbrach. Dann folgten die Krise um den Euro, die Aussetzung der Wehrpflicht, die Energiewende, die Krise in der Ukraine und die Auseinandersetzungen in der Flüchtlingspolitik 2015, um nur wenige der großen Aufgaben zu nennen."

Eine richtige Entscheidung während einer Krisensituation zu treffen sei die große Aufgabe der Politik gewesen. Zu ihrem eigenen "Mechanismus" der Krisenbewältigung sagte sie: "Aber in Krisen muss man ganz besonders in der akuten Phase der Gefahrenabwehr damit leben, unvollkommene Lösungen zu schaffen. Und trotzdem muss man entscheiden. Diese Entscheidungen zum richtigen Zeitpunkt zu treffen, nicht zu früh, aber auch nicht zu spät, das ist vielleicht die größte Herausforderung. Das ist für mich immer die große Aufgabe der Politik gewesen."

Die langjährige Bundeskanzlerin räumte im Gespräch ein, dass eine falsche politische Entscheidung schwere gesellschaftliche Verwerfungen nach sich ziehen könne, "während eine gute Entscheidung gesellschaftliche Verwerfungen aufhalten oder sogar umkehren kann".

"Zum Schluss ist es unglaublich schwer herauszufinden, wer was mit wem gemacht hat."

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