Im Interview mit dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) machte der Virologe Alexander Kekulé einige interessante Aussagen. Bereits seit Beginn der "Corona-Krise" im März 2020 kommentiert Kekulé die Entwicklungen kritisch – zuletzt wurde er für seine hin und wieder unkonventionellen Sichtweisen vom "Satiriker" Jan Böhmermann öffentlich auf das Schärfste attackiert.
Auf die Frage, was den 61-Jährigen denn im Moment als Wissenschaftler am meisten beschäftigt – wenn es um die Aussicht auf eine vierte Corona-Welle geht –, antwortete er:
"Die Fachleute können kaum vorhersagen, wie sich die vierte Welle entwickeln wird. Gingen im vergangenen Jahr die Inzidenzen hoch, war weitgehend klar, wie viele Menschen erkranken und sterben. Jetzt ist die Analyse komplizierter. Es ist wirklich schwierig, zu sagen, wie sich die Impfungen auf die Bettenbelegung in den Kliniken und die Sterblichkeit auswirken werden."
Zum Thema der Impfquote in Deutschland sagte Kekulé:
"Australische Wissenschaftler haben gerade berechnet, dass eine Impfquote von 80 Prozent der Erwachsenen für das Beenden aller Maßnahmen ausreichen könnte. Dänemark hat bei 85 Prozent geöffnet. Eine wichtige Unbekannte ist hier, wie stark die Impfdurchbrüche ins Gewicht fallen. Das Robert Koch-Institut müsste diesbezüglich eigentlich seine Einschätzung überarbeiten."
Dann wurde er mit Bezug auf das Infektionsgeschehen noch deutlicher. So seien Geimpfte zwar auch gegenüber der Delta-Variante des Coronavirus vor einem schweren Verlauf oder gar Tod durch COVID-19 weitgehend geschützt. Dennoch könnten sie das Virus aber durchaus an andere weitergeben – oder weitergegeben haben. Unklar sei, wie häufig das passieren wird, meint der Inhaber des Lehrstuhls für Medizinische Mikrobiologie und Virologie der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg und Direktor des Instituts für Medizinische Mikrobiologie des Universitätsklinikums Halle (Saale). Nach derzeitiger Datenlage scheine der Schutz vor Infektionen durch eine vollständige Impfung bei 50 bis 70 Prozent zu liegen. Kekulé stellt deutlich heraus:
"Die Aussage des RKI, die Geimpften spielten keine Rolle mehr beim Epidemiegeschehen, ist jedenfalls falsch."
Das Hauptproblem bestehe vielmehr in Folgendem:
"Geimpfte verhalten sich in der Regel risikobereiter, sie haben mehr Kontakte, gehen häufiger auf Konzerte und Partys. Sie werden nicht getestet und kommen auch nicht in Quarantäne. Stecken sie sich an, haben sie oft keine oder nur sehr milde Symptome, erkennen ihre Infektion also nicht oder zu spät. Deshalb rechne ich mit einer unsichtbaren Welle der Geimpften. Es ist zu befürchten, dass von dort aus Infektionen auf die derzeit 3,4 Millionen Ungeimpften ab 60 überschwappen."
Dennoch plädiere er für die 3G-Regelung – anstelle von 2G –, ergänzt jedoch: "… in Kombination mit der Kontaktnachverfolgung. Überall, wo das nicht gewährleistet werden kann, muss man die kommende Erkältungssaison über weiter Maske tragen und Abstand halten."
Das "Worst-Case-Szenario" sei einerseits "ein völlig entfesselter Ausbruch bei ungeimpften Kindern und Jugendlichen und eine gleichzeitig starke unsichtbare Welle unter den Geimpften." Andererseits geht er davon aus, dass im Mai 2022 die Corona-Krise beendet sein werde. Er halte es für "unwahrscheinlich, dass es vollkommen neue, gefährlichere Virusvarianten geben wird" und nimmt eine Entwicklung vorweg, dass COVID-19 ein "Erkältungsvirus" wird, "wie wir das auch von anderen Coronaviren kennen".
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