Eine Verlängerung der Pandemie-Notlage wegen der COVID-19-Pandemie sei verfassungswidrig, heißt es aus den Reihen der FDP. Auch die Grünen sind dagegen, die "epidemische Lage von nationaler Tragweite" unverändert fortzusetzen. Im Rahmen einer Sondersitzung des Bundestages soll heute darüber entschieden werden. Die festgestellte Lage gibt dem Bund das Recht, direkt ohne Zustimmung des Bundesrates Verordnungen zu erlassen, etwa zu Tests, Impfungen, zum Arbeitsschutz oder zur Einreise. Zudem beziehen sich konkrete Maßnahmen wie Maskenpflicht oder Kontaktbeschränkungen, die die Länder festlegen können, laut Infektionsschutzgesetz auf die Feststellung der "epidemischen Lage".
FDP-Vize Wolfgang Kubicki erklärte gegenüber dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND), warum eine Fortsetzung seiner Ansicht nach verfassungswidrig wäre:
"Die Bundesregierung hat uns auf unsere Nachfrage nicht einmal ansatzweise überzeugend darlegen können, dass eine Überlastung des Gesundheitssystems absehbar droht."
Dies sei aber die zwingende rechtliche Voraussetzung für die Verlängerung dieser Notlage. Kubicki ergänzte:
"Dass breitflächige Grundrechtseinschränkungen und Verordnungsermächtigungen mit einer Ausnahmesituation begründet werden, die gar nicht mehr vorhanden ist, ist mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit verfassungsrechtlich nicht haltbar."
Kubicki, der auch Bundestagsvizepräsident ist, forderte von der Bundesregierung, sich an "ihre eigenen Ankündigungen" zu halten, wonach eine Rückkehr zur Normalität gewährleistet werde, "wenn allen Bürgerinnen und Bürgern ein Impfangebot gemacht wurde".
Die FDP hatte bereits vor wenigen Tagen die Bundesregierung aufgefordert, einen geordneten Ausstieg aus der Notlage vorzubereiten. Der Parlamentarische Geschäftsführer der Bundestagsfraktion der Liberalen, Marco Buschmann, hatte gegenüber der Rheinischen Post erklärt, dass die rechtliche Regelung "nicht mehr das geeignete Mittel in der Pandemiebekämpfung" sei. Es gelte jetzt, von diesem Ausnahmezustand in den Normalzustand zurückzukehren.
Laut dem Infektionsschutzgesetz liegt eine "epidemische Lage von nationaler Tragweite" vor, wenn eine ernsthafte Gefahr für die öffentliche Gesundheit in der gesamten Bundesrepublik Deutschland bestehe, weil "die Weltgesundheitsorganisation (WHO) eine gesundheitliche Notlage von internationaler Tragweite ausgerufen hat und die Einschleppung einer bedrohlichen übertragbaren Krankheit in die Bundesrepublik Deutschland droht" oder weil "eine dynamische Ausbreitung einer bedrohlichen übertragbaren K rankheit über mehrere Länder in der Bundesrepublik Deutschland droht oder stattfindet".
Im Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD heißt es zur Begründung, dass diese Voraussetzungen für eine Feststellung der Notlage durch den Deutschen Bundestag weiterhin gegeben seien. "In Deutschland steigen die Zahlen der COVID-19-Fälle – nachdem im Frühjahr zunächst ein Rückgang verzeichnet werden konnte – in allen Bundesländern wieder an. Der Anstieg umfasst dabei alle Indikatoren: die Neuinfektionen, den R-Wert, die Quote der positiven PCR-Tests bezogen auf alle PCR-Tests, die 7-Tage-Inzidenz, die Hospitalisierungen und die notwendigen Behandlungen auf den Intensivstationen, von denen 47 Prozent beatmet werden müssen [RKI, Stand 18.8.]." Im weiteren Verlauf der Begründung heißt es:
"Mit der Entwicklung und Verbreitung weiterer Varianten, bei denen es auch zu Einträgen nach Deutschland kommen wird, ist zu rechnen. In einer Phase, in der die Infektionszahlen zwar steigen, insgesamt aber verhältnismäßig niedrig sind und die Impfungen in Deutschland und Europa fortschreiten, weltweit jedoch auf einem regional sehr unterschiedlichen Niveau sind, ist dabei auch mit sogenannten Escape-Mutationen zu rechnen, das heißt Virusvarianten, die eine verringerte Sensitivität gegenüber den gegenwärtig verfügbaren Impfstoffen haben."
Daher bestehe nach wie vor "das vorrangige Ziel darin, die ernsthafte Gefahr für die öffentliche Gesundheit in der gesamten Bundesrepublik Deutschland möglichst zu reduzieren, indem mit geeigneten und situationsabgestimmten Schutzmaßnahmen die Ausbreitung der Pandemie bekämpft wird, um Leben und Gesundheit zu schützen und eine Überlastung des Gesundheitssystems zu verhindern".
Auch aus den Reihen der Grünen gibt es Kritik. Die Fraktionschefin der Ökopartei, Katrin Göring-Eckardt, sagte dem RND, dass sie eine unveränderte Verlängerung für falsch halte. Sie betonte, dass die Pandemie noch nicht vorbei sei und man weiterhin vorsichtig sein müsse. Dennoch sei durch die Impfstoffe die Lage eine andere als noch im Winter. Sie forderte:
"Wir brauchen jetzt eine Regelung, die für die neue Situation passt und der Zahl der Geimpften Rechnung trägt, kein Weiter-so."
Es müssten die Voraussetzungen geschaffen werden "für eine rechtssichere befristete Fortführung bestimmter, auf die aktuelle COVID-19-Situation zugeschnittener Maßnahmen wie Masken, AHA-Regeln und Tests".
Der Bundestag hatte zuletzt am 11. Juni festgestellt, dass die Sonderlage wegen der COVID-19-Pandemie fortbesteht. Damals stimmten die Fraktionen von AfD, FDP und Die Linke dagegen. Die große Mehrheit der Regierungsfraktionen stimmte zu, auch ein Großteil der Grünen votierte trotz Kritik mit Ja.
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