Mit welcher demokratischen Legitimation hat sich Kanzlerin Angela Merkel auf einer Südafrika-Reise im Februar 2020 zur Wahl des FDP-Politikers Thomas Kemmerich in Thüringen inklusive der Konsequenzen geäußert? Nicht nur die AfD argumentiert, dass damit die Bundesregierung ihre Pflicht zur Neutralität und ihre Kompetenzen verletzt bzw. überschritten hat. Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe will sich nun am 21. Juli damit befassen.
Merkel hatte bei einem Staatsempfang in Südafrika verlautbaren lassen:
"Die Wahl dieses Ministerpräsidenten war ein einzigartiger Vorgang, der mit einer Grundüberzeugung für die CDU und auch für mich gebrochen hat, dass nämlich keine Mehrheiten mithilfe der AfD gewonnen werden sollen."
Diese Aktion war für Kanzlerin "unverzeihlich", das Ergebnis müsse "rückgängig" gemacht werden. Sie fand: "Es war ein schlechter Tag für die Demokratie." Dementsprechend klar war auch Merkels Diktum: Die CDU dürfe sich auf gar keinen Fall an einer Regierung unter einem Ministerpräsidenten Kemmerich beteiligen. Ein derartiges Einmischen eines deutschen Regierungsoberhauptes auf Dienstreise im Ausland in die Regierungsbildung eines Bundeslandes stellte ein Novum in der deutschen Geschichte dar.
Die AfD moniert, dass Merkel durch ihre Äußerungen in unzulässiger Weise Amtsautorität beziehungsweise staatliche Ressourcen für eine "negative Qualifizierung" der AfD in Anspruch genommen habe, wie die Welt berichtet. Aus CDU-Kreisen wird dagegengehalten, dass die Kanzlerin sich lediglich als CDU-Politikerin geäußert habe.
Der Landtag in Thüringen hatte Kemmerich am 5. Februar des vergangenen Jahres im dritten Wahlgang mit 45 von 90 Stimmen gewählt. Es gab 44 Stimmen für Amtsinhaber Bodo Ramelow (Linke), keine für den AfD-Kandidaten Christoph Kindervater sowie eine Enthaltung. Kemmerich war nach bundesweiter Kritik wenige Tage später zurückgetreten und führte ohne Regierung bis in den März die Geschäfte. Nach insgesamt drei Wahlgängen konnte Ramelow bei der erneuten Wahl am 4. März 42 Stimmen für von Linken, SPD und Grünen auf sich vereinen; zudem gab es 22 Stimmen für Björn Höcke von der AfD bei 22 AfD-Abgeordneten. Die CDU-Fraktion hatte bereits im Vorfeld angekündigt, sich zu enthalten, die FDP-Fraktion hatte gar nicht erst an der Wahl teilgenommen. Eine in den ersten beiden Wahlgängen erforderliche absolute Mehrheit wurde damals nicht erreicht. Im dritten und entscheidenden Wahlgang genügte eine einfache Mehrheit zur Wahl: Ramelow wurde dann mit seinen 42 Stimmen zum Ministerpräsidenten von Thüringen gewählt.
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