Ein neuer Paragraf der Strafprozessordnung (StPO), der von der Bundesregierung am 11. Juni 2021 zusammen mit weiteren Regelungen beschlossen wurde, sieht vor, dass das umstrittene Mittel der automatisierten Kennzeichenerfassung künftig bundesweit eingesetzt werden darf. Zudem wird durch den neuen Paragrafen ausdrücklich erlaubt, im Zusammenhang mit Computerkriminalität nächtliche Hausdurchsuchungen vorzunehmen. Union und SPD stimmten für das Gesetz, Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen stimmten dagegen. AfD und FDP enthielten sich. Der Bundesrat muss dem Gesetz noch zustimmen.
Durch das neue Gesetz dürfen die Kennzeichen von Kraftfahrzeugen künftig "vorübergehend und nicht flächendeckend" erfasst werden. Es müssen jedoch tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass "eine Straftat von erheblicher Bedeutung begangen worden ist und die Annahme gerechtfertigt ist, dass diese Maßnahme zur Ermittlung der Identität oder des Aufenthaltsorts des Beschuldigten führen kann".
Vor zwei Jahren hatte das Bundesverfassungsgericht den automatischen Abgleich von Kfz-Kennzeichen mit Fahndungsdaten in drei Bundesländern für verfassungswidrig erklärt, da dies gegen das Recht auf informelle Selbstbestimmung verstoße. Mit dem neuen Paragrafen 163g der StPO wurde nun jedoch eine "spezialgesetzliche Befugnis der Strafverfolgungsbehörden zur automatischen Kennzeichenerfassung im öffentlichen Verkehrsraum insbesondere zu Fahndungszwecken" geschaffen, bei der die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichtes berücksichtigt worden sein sollen. Der Einsatz sei "vor allem auf Fernstraßen geplant".
Der Bundesrat forderte zudem, zu prüfen, ob der Einsatz der automatischen Kennzeichenerfassung bei "besonders schweren Straftaten" erweitert werden kann und eine "vorübergehende ungefilterte Speicherungsbefugnis von Kennzeichen aller Verkehrsteilnehmer" möglich wäre. Union und SPD lehnten dies jedoch ab.
Der Gesetzentwurf wird darüber hinaus um eine weitere Regelung ergänzt, die die Möglichkeit nächtlicher Hausdurchsuchungen legitimiert: Künftig dürfen Wohnungen und Geschäftsräume zwischen 21 und 6 Uhr durchsucht werden, "wenn bestimmte Tatsachen den Verdacht begründen, dass während der Durchsuchung auf ein elektronisches Speichermedium zugegriffen werden wird, das als Beweismittel in Betracht kommt, und ohne die Durchsuchung zur Nachtzeit die Auswertung des elektronischen Speichermediums, insbesondere in unverschlüsselter Form, aussichtslos oder wesentlich erschwert wäre".
Begründet wird dies von offiziellen Stellen damit, dass die Einsatzkräfte verstärkt vor dem Problem stehen, dass mutmaßliche Täter ihre Datenträger verschlüsseln und so vor dem Zugriff durch die Strafverfolgungsbehörden schützen könnten. Wenn die Entschlüsselung nicht gelinge und sich der Tatverdächtige auch nicht kooperationswillig sei, könne eine forensische Auswertung oft nicht erfolgen.
Daher sei es bei Ermittlungen, vor allem im Bereich der Kinderpornografie und des sexuellen Missbrauchs von Kindern, von großer Bedeutung, Datenträger möglichst dann zu beschlagnahmen, "wenn sich diese im unverschlüsselten Zustand befinden", so die Begründung des neuen Gesetzes. Im Einzelfall müssen jedoch konkrete Anhaltspunkte vorliegen, um eine nächtliche Durchsuchung zu erlauben.
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