Am "Tag der Arbeit" wenig Anlass zum Feiern – Deutschland bleibt Niedriglohnland
Vor über hundert Jahren wurde der 1. Mai hierzulande zu einem Feiertag. Während der "Tag der Arbeit", einst Symboltag des Klassenkampfes, in diesem Jahr auf einen Wochenendtag fällt, dürften Millionen Menschen hierzulande weiteren Anlass für Protest finden. Denn obwohl starke Wirtschafts-Parameter dazu dienen zu zeigen, wie gut Deutschland weltweit dasteht und durch die Krise kommt, ist die Anzahl der Menschen, deren Löhne nicht existenzsichernd sind, beschämend hoch. "Dieses Jahr ist das Jahr, in dem wir die Trendwende endgültig schaffen", sagte Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) am Dienstag. "Wir werden den Wirtschaftseinbruch nicht nur stoppen, sondern wir werden ihn umkehren. Wir haben spätestens 2022 wieder die alte Stärke erreicht." Die Bundesregierung rechnet inzwischen mit 3,5 Prozent Wachstum.
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Derweil wird die Erwerbsarbeit hierzulande für beinahe jeden fünften Beschäftigten jedoch mit einem Niedriglohn – die Präsidentin des Sozialverband VdK, Verena Bentele, nennt es "Hungerlohn" – und unsicheren Verhältnissen vergütet. Wer in einer sozialversicherungspflichtigen Vollzeitbeschäftigung weniger als zwei Drittel des mittleren Entgelts aller erhält, ist im Niedriglohnsektor tätig – Deutschland unterhält seit langem einen der größten Westeuropas. Knapp vier Millionen Menschen, die in Vollzeit arbeiten, sind davon laut aktueller Zahlen betroffen. Sie erhalten weniger als 2.267 Euro. Im Westen lag der Anteil der Betroffenen bei 16,3 Prozent, während im Osten fast jeder Dritte ( 30,4 Prozent) für Niedriglöhne arbeitet, vor fünf Jahren betraf dies im Osten noch nach 37,3 Prozent, im Westen 16,5 Prozent.
Gesellschaftlicher Zusammenhalt gefährdet
Und es ist ein gesamtgesellschaftliches Problem, welches wohl mehr zur Spaltung beitragen dürfte, als jede vermeintliche ausländische Kraft – sollte es solche mit diesem Ziel überhaupt geben – vermöchte. Zudem hat es langfristige Folgen. Während für viele Niedriglöhner und andere prekär Beschäftigte während ihres Arbeitslebens Grundrechte wie Wohnen und gesundes Leben nahezu unbezahlbar werden und Familiengründungen nur noch durch Verschuldung finanzierbar sind, ist die Aussicht auf Altersarmut für Millionen Arbeitnehmer wohl Gewissheit, denn der Schutz vor materieller und sozialer Unsicherheit ist ohne existenzsicherndes Einkommen nicht möglich. Schon 2018 verdienten acht Millionen abhängige Beschäftigte weniger als 11,40 Euro brutto pro Stunde, sehr viele erhielten sogar weniger als den gesetzlichen Mindestlohn, wie eine Bertelsmann-Studie aufzeigt. Durch die Corona-Krise kommt eine sehr große Anzahl an Selbstständigen hinzu, die nicht mehr von ihrer Arbeit leben kann. Gleichzeitig werden Unternehmen mit Milliarden subventioniert, welche als Dividenden teils wieder bei jenen landen, die bereits für ihre Enkel mit ausgesorgt haben dürften – auch in Form von Kurzarbeitergeld.
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Schwer vorstellbar sind die Lebensrealitäten von prekär Beschäftigten womöglich bereits von jenen, die mittleren Entgelte teils deutlich oberhalb von 6.000 Euro – wie etwa Juristen mit guten Jobs in der Rechtsberatung oder Rechtsprechung – erhalten. Der wirkliche Kontrast aber zeigt sich zu den Gehältern von Konzernchefs. Im Corona-Jahr gehörte Linde-CEO Steve Angel mit einer Gesamtvergütung von 53,4 Millionen Euro mit Abstand zur Spitze der DAX-Konzernchefs. Laut der Zeitschrift Capital sah es für Adidas-Chef Kasper Rorsted schlechter aus: Gehörte er mit Bezügen in Höhe von 7,2 Millionen Euro 2019 noch zu den Großverdienern unter den DAX-Vorstandschefs musste er im vergangenen Jahr, in dem sein "Unternehmen von der Krise übel erwischt wurde", mit nur noch 3,7 Millionen Euro über die Runden kommen. Und diese Unterschiede weiten sich aus – die durchschnittlichen Reallöhne sinken, während DAX-Vorstandsgehälter zuletzt ein Plus von 14,6 Prozent verzeichnen konnten.
Im Friseurgewerbe hingegen – mit einem Niedriglohnanteil von 92 Prozent – lag das mittlere Einkommen zuletzt bei 1.680 Euro brutto im Monat. Bei den Berufskraftfahrern im Personentransport sind wie auch im Bereich Kosmetik 78 Prozent, in der Floristik arbeiten 85 Prozent aller regulär Vollzeitbeschäftigten zu niedrigen Löhnen. Das zeigt die Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Linken zum Tag der Arbeit.
Sabine Zimmermann, arbeitsmarktpolitische Sprecherin der Linken, die die Anfrage gestellt hat, prangert an, dass der sogenannte Mindestlohn bisher wenig daran geändert hat, dass Millionen Beschäftigte mit niedrigsten Löhnen abgespeist würden. "In der Corona-Krise werden nun ausgerechnet die Beschäftigten mit den niedrigsten Löhnen am härtesten von den Lockdowns getroffen."
Vorrangig müsse die Krisenabsicherung deutlich verbessert werden. "Das Kurzarbeitergeld ist für viele Beschäftigte zu niedrig, um davon leben zu können", sagte Zimmermann. Auch das Arbeitslosengeld müsse erhöht werden. Zügig müsse der Mindestlohn auf 12 Euro steigen. Der Sozialverband VDK fordert einen Mindestlohn in Höhe von 13 Euro.
Zum Tag der Arbeit hat auch SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz eine bessere Bezahlung etwa von Pflegekräften und Verkäuferinnen verlangt. "Der 1. Mai ist und bleibt ein wichtiger Feiertag. Er erinnert uns an die Würde der Arbeit," sagte Scholz den Zeitungen der Neuen Berliner Redaktionsgesellschaft am Freitag. Wer dies wie finanzieren muss, erklärte der Finanzminister auch: Wenn man eine bessere Bezahlung für die Pflegekräfte wolle, dann habe das Konsequenzen für die Pflegeversicherung. "Und wenn die Verkäuferinnen anständig entlohnt werden, wird sich das auf die Preise auswirken. Das müssen uns der Respekt und die Würde schon wert sein", meinte der Bundesfinanzminister. Die Co-Chefin der Linken, Janine Wissler, konterte jedoch mit einem Verweis auf die Verantwortlichkeit der Bundesregierung. Grundsätzlich begrüße sie es, dass der Vizekanzler Anerkennung und Würde für die Pflegekräfte entdecke, sagte sie der Nachrichtenagentur dpa. Allerdings entstehe der Eindruck, als habe er mit der Regierungspolitik der letzten Jahre nichts zu tun. "Herr Scholz, Sie sind Teil der Bundesregierung, Ihre Aufgabe ist es nicht zu klatschen und über Anerkennung zu sprechen, Ihre Aufgabe ist es zu machen", erinnerte ihn Wissler.
Der Deutsche Gewerkschaftsbund DGB und die Einzelgewerkschaften wollen zum Tag der Arbeit am 1. Mai dieses Mal unter dem Motto "Solidarität ist Zukunft" für die Arbeitnehmerrechte eintreten. Ein Livestream mit Talkrunden, Kultur und Statements soll kurzweilige Ansprache bieten. Präsentiert werden sollen auch die Forderungen zur Bundestagswahl.
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