Im Digital-Health-Index der Bertelsmann Stiftung ist Deutschland von 16 Ländern auf dem vorletzten Platz gelandet. In einem Positionspapier des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen (GKV-SV) zur Digitalisierung von Gesundheit und Pflege rechnen die Versicherer nun mit Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) ab. Im Anhang stellen sie einen Forderungskatalog für die nächsten vier Jahre.
Die drei großen Digitalisierungsgesetze, die Spahn vor drei Jahren auf den Weg gebracht hat, treten auf der Stelle. Im Einzelnen geht es um die elektronische Patientenakte, die elektronische Verschreibung und die App auf Rezept, mit der sich Versicherte digitale Gesundheitsanwendungen bei ihrer gesetzlichen Krankenkasse erstatten lassen können. Spahns "Digitale-Versorgung-und-Pflege-Modernisierungs-Gesetz" muss erst noch im Bundestag verabschiedet werden.
Durch die digitale Abrechnung vermuten die Kassen demnächst ein Allzeithoch an Ausgaben und warnen davor. Scharf kritisieren sie die derzeitige Lastenverteilung. Während alle Akteure von den Vorzügen der Digitalisierung profitieren würden, müssten die Beitragszahlenden in weiten Teilen dafür aufkommen. Die Digitalisierung werde weitgehend von den Kassenpatienten finanziert. Volker Hansen, alternierender Verwaltungsratsvorsitzender beim GKV-SV, sagte in einer Presseerklärung:
"Die Digitalisierung des Gesundheitswesens wird derzeit von den Beitragszahlenden der gesetzlichen Krankenkassen finanziert. Wir brauchen aber eine faire Verteilung der Kosten auf alle Akteure des Gesundheitswesens, um diese Ungerechtigkeit zu beseitigen."
Die Kassen sehen speziell beim digitalen Zulassungs- und Preisbildungsprozess bei Ärzten Probleme. Ähnlich wie bei Arzneimitteln können die Hersteller nach einer Zulassung durch das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) für ein Jahr einen Preis festsetzen, den die Kassen dann erstatten müssen. Das führte zu Preissteigerungen von bis zu 600 Prozent. Seit Monaten wollen die Kassen nun eine andere Preisbildung, die die Hersteller mehr in die Verantwortung nimmt. Risiken sollten auf die Hersteller und Anbieter verlagert werden.
Verhandlungen mit Herstellern über Höchstpreise waren bislang ergebnislos. Hier fehlte der einschränkende Rahmen des Gesetzgebers.
Uwe Klemens, Verwaltungsratsvorsitzender des GKV-Spitzenverbandes, sagte:
"Mehr und mehr Entscheidungsbefugnisse im Rahmen der Digitalisierung werden staatlichen Einrichtungen übertragen und parallel die Handlungsfähigkeit der sozialen Selbstverwaltung geschwächt. Das ist der falsche Weg, denn die Selbstverwaltung ist die wichtigste Patientenvertretung im Gesundheitswesen. Dazu braucht es die intensive Einbindung der gesetzlichen Krankenversicherung.“
Ein weiteres Ärgernis sehen die Kassen ins Spahns Reform der sogenannten Gematik. Sie ist für ein sicheres Gesundheitsdatennetz verantwortlich. Auf Spahns Bestreben hält der Bund 51 Prozent der Anteile an der Gesellschaft. Zuvor hatte der GKV-SV 50 Prozent der Stimmrechte an der Gematik. Die andere Hälfte hatten Ärzte-Verbände, Zahnärzte, Krankenhäuser und Apotheker. Seitdem dauert der Streit um Geld und Kompetenzen an.
Nur ein Teil der Arztpraxen war bei Spahns Amtsübernahme an die Datenautobahn, die sogenannte Telematik-Infrastruktur, angeschlossen. Sehr viel verändert habe sich auch auf diesem Gebiet nicht.
Obendrein wollte Spahn eine elektronische Patientenakte ab 2022 für alle Versicherte. Die Kassen sehen darin keine Kontrollmöglichkeit mehr. Weder könne der Deutsche Bundestag noch die Selbstverwaltung Fehlentwicklungen sanktionieren. Es braucht daher dringend eine ordnungspolitische Klärung, was die Gematik überhaupt darf. Die Kassen fordern daher eine direkte Schnittstelle zu den Versicherten.
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