Deutschland

Keine Kenntnis gehabt – Ahnungslose Kanzlerin Merkel im Wirecard-Ausschuss

Wirecard steht für einen milliardenschweren Jahrhundertbetrug. Obwohl klare Warnzeichen vorlagen, trug Bundeskanzlerin Angela Merkel den Namen noch 2019 werbend beim höchsten Mann in China vor. Im U-Ausschuss spricht sie von einer "Logik aus sich heraus".
Keine Kenntnis gehabt – Ahnungslose Kanzlerin Merkel im Wirecard-AusschussQuelle: Reuters © Michael Kappeler/ Pool via REUTERS

Im parlamentarischen Untersuchungsausschuss zum milliardenschweren, international blamablen und vor allem für viele Kleinanleger desaströsen Wirecard-Finanzskandal wurde am Freitag Bundeskanzlerin Angela Merkel als vorerst letzte Zeugin befragt. Der CDU-Politikerin wird vorgeworfen, bei einer Reise nach China im September 2019 auf höchster Regierungsebene für Wirecard geworben zu haben. Für den mittlerweile insolventen Zahlungsabwickler hatte unter anderem der frühere CSU-Politiker Karl-Theodor zu Guttenberg als Lobbyist gearbeitet und dabei seine Kontakte zur Bundesregierung genutzt, damit diese den geplanten Markteintritt von Wirecard in China wohlwollend unterstützt. Merkel hatte bereits in der Vergangenheit gesagt, es sei bei solchen Reisen "normal", sich für deutsche Firmen starkzumachen. Das reicht der Opposition im Bundestag aber nicht, weil es zum Zeitpunkt von Merkels China-Reise 2019 deutliche Warnhinweise zu Bilanzunregelmäßigkeiten gegeben hatte – bereits Jahre zuvor hatten kenntnisreiche Journalisten und Insider verschiedene Ungereimtheiten angeprangert.

"Beim mächtigsten Mann Chinas, da lobbyiert man nicht für jede Pommesbude", sagt Linken-Finanzpolitiker Fabio De Masi. "Man hat auch nicht zehn oder 15 Themen, sondern zwei oder drei." Es müsse geklärt werden, warum Merkel warum ausgerechnet diese "kriminelle Bude", als die Wirecard sich mittlerweile dargestellt habe, für so wichtig hielt, dass sie darüber mit dem mächtigsten Mann in China sprach.

Doch erwartungsgemäß hat die CDU-Politikerin ihren Einsatz für das Skandal-Unternehmen auch im Untersuchungsausschuss verteidigt. Dass es Berichte über die Unregelmäßigkeiten bei Wirecard gegeben hatte, die letztendlich zu einem Schaden von über 20 Milliarden Euro geführt und das Vertrauen in Deutschland vor den Augen der Welt zerrüttet haben, leugnete die Bundeskanzlerin vor dem Ausschuss nicht. Doch ihrer Ansicht nach gab es damals "allen Presseberichten zum Trotz keinen Anlass, von schwerwiegenden Unregelmäßigkeiten bei Wirecard auszugehen". Das Bemühen von Wirecard um Markteintritt in China habe sich mit den Zielen der Bundesregierung gedeckt.
Es sei normal, dass sich die Bundesregierung und auch die Kanzlerin bei bilateralen Kontakten für die Interessen der deutschen Wirtschaft einsetze. "Die Wirecard AG genoss bei der Reise keine Sonderbehandlung", betonte Merkel.

"Logik aus sich heraus"

Die Kanzlerin hatte 2019 auf der China-Reise bei der Pekinger Führung das Thema der geplanten Übernahme des chinesischen Unternehmens AllScore Financial durch Wirecard angesprochen. Dass das Thema in China zur Sprache gekommen sei, habe aus sich heraus seine Logik gehabt, sagte sie. Das Anliegen habe sich in die jahrelangen Bemühungen der Bundesregierung um Marktöffnung in China eingefügt. Im Nachhinein sehe es so aus, als ob die Reise eine Wirecard-Reise gewesen sei, "das ist aber weit entfernt", sagte Merkel. Im Gespräch mit Präsident Xi Jinping sei es um viele politische Themen gegangen.

Merkel, die im September aus ihrem Amt als Bundeskanzlerin scheidet, sagte, es gelte generell, dass in allerletzter Konsequenz "ich als Bundeskanzlerin" Verantwortung trage. Sie stellte sich damit auch vor ihren Wirtschaftsberater Lars-Hendrik Röller, der in der Kritik steht, weil seine Ehefrau als Schnittstelle zwischen Wirecard und einem chinesischen Unternehmen agiert haben soll. Sie habe nicht den geringsten Anlass, ihr Vertrauen in Röller infrage zu stellen, betonte Merkel.

Vor der China-Reise hatte die Kanzlerin ein Gespräch mit dem früheren CSU-Verteidigungsminister Guttenberg, der als Lobbyist für den Zahlungsdienstleister aus Bayern tätig war. Sie könne sich zwar nicht erinnern, dass Guttenberg Wirecard konkret erwähnt habe, sagte Merkel nun als Zeugin. Es sei aber richtig, dass sie ihn nach dem Gespräch an ihren Wirtschaftsberater Röller verwiesen habe, als es fachlich wurde. Sie könne ja schließlich nicht in China eine Bemerkung machen, nur weil sie eine Person gut kenne, so Merkel.

Internen Dokumenten zufolge, die der Webseite abgeordnetenwatch.de vorliegen, ließ Merkel sich vor der Reise nach China durch Guttenberg in der Argumentationshilfe zum Einsatz für Wirecard beraten. In einer Mail an das Kanzleramt schrieb der frühere Verteidigungsminister:

"Ich hatte heute Nachmittag einen Termin bei meiner ehemaligen Chefin und wir sprachen mit Blick auf die anstehende Reise nach China u.a. kurz über das DAX-Unternehmen Wirecard. Wir waren uns einig, dass ein kurzer Hinweis im Rahmen des Besuches sehr hilfreich sein könnte. Die Frau Bundeskanzlerin bat mich, Ihnen noch einige Zeilen zukommen zu lassen, um die richtige Formulierung an der Hand zu haben."

Während die Erinnerungen an die Kommunikation der Kanzlerin ihrer eignen Aussage zufolge wohl eher schwach ist, können Dokumente darüber jedoch auch nicht für die Aufklärung des Falls Wirecard dienen, da die Hygiene in der Handykommunikation auch bei dieser CDU-Politikerin großgeschrieben wird.

Von dem Beratermandat ihres ehemaligen Ministers bei Wirecard habe sie nichts gewusst, betonte Merkel außerdem am Freitag. Ob sie sich von ihm getäuscht fühle, fragen die Abgeordneten. "Nein, so weit würde ich nicht gehen. Aber er war ganz interessengeleitet da." Und das schätze sie nicht. Auch Abgeordnete von SPD und Opposition kritisieren den Lobbyismus Guttenbergs scharf, verwiesen aber auch darauf, dass Gutenberg als Nebelkerze diene, um von der Verantwortung der Kanzlerin abzulenken.

Es gebe keinen hundertprozentigen Schutz vor kriminellen Machenschaften, erklärte Merkel. Gleichwohl müsse alles getan werden, um die Wiederholung eines solchen Falls zu verhindern, sagte sie mit Blick auf Wirecard. Merkel verwies auf geplante Reformen der Finanzaufsicht.

Politiker der Opposition und der SPD hatten die Kanzlerin unmittelbar vor ihrem Auftritt kritisiert. Grünen-Obmann Danyal Bayaz sagte, zwar sei Merkel direkt nichts vorzuwerfen, weil sie von ihren Leuten "hereingeritten" worden sei. Doch sehe es natürlich "ziemlich blöd aus, wenn die Kanzlerin im Ausland für ein Unternehmen wirbt, das tief im kriminellen Sumpf steckt". In der Bundesregierung habe die notwendige Distanz gefehlt, mit Blick etwa auf Guttenberg sprach Bayaz von einem "Amigo-Netzwerk von Lobbyisten und Beratern" rund um Wirecard.

"Die Kanzlerin war sicher nicht bösgläubig, aber es war politisch unvorsichtig, dass sie sich für das Unternehmen in China eingesetzt hat", sagt der FDP-Finanzpolitiker Florian Toncar. Die Abgeordneten gehen davon aus, dass Wirecard dadurch Kritiker beruhigen konnte – und dass der Bilanzskandal ohne den Einsatz der Kanzlerin vielleicht früher aufgedeckt worden wäre.
In dem Skandal ist auch Finanzminister und SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz unter Druck. Er sagte bereits am Donnerstag im Untersuchungsausschuss aus und betonte, die Regierung trage keinerlei Verantwortung für den aus seiner Sicht groß angelegten Betrug. Union und Opposition sehen Scholz dagegen in der politischen Verantwortung – denn sein Ministerium ist für die Finanzaufsicht BaFin zuständig, die Unregelmäßigkeiten bei Wirecard hätte aufdecken können.

Scholz und die SPD dagegen sehen vor allem Fehler bei den Wirtschaftsprüfern – allerdings auch Reformbedarf bei der BaFin. Am Dienstag hatte Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) im Ausschuss gesagt, er könne im Umgang mit dem Thema Wirecard durch die Wirtschaftsprüferaufsicht APAS keine offenkundigen Versäumnisse erkennen.

Keine Kenntnis gehabt?

"Wenn man das Wissen von heute hat, stellt man sich berechtigt einige Fragen. Man hatte damals nur dieses Wissen nicht", behauptete die Kanzlerin zudem. Doch gibt es Hinweise, dass auch das Kanzleramt vieles nicht erst heute erfahren hat.

Dass Wirecard womöglich kein sauberes deutsches Vorzeigeunternehmen ist, haben verschiedene Stimmen schon frühzeitig angemerkt und mussten dafür zum Teil einen hohen Preis zahlen. Der Investor und ehemalige Börsenbrief-Herausgeber Tobias Bosler hatte bereits im Jahr 2008 seine Bedenken dem Anlegerschützerverband Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger (SdK) mitgeteilt. Unter anderem warnte Bosler auch mit Blick auf die Historie des Unternehmens, die allgemein zugänglich ist. "Wirecard hat einst legales Geschäft mit Pokerwebsites erst illegal über sogenannte Blumenläden umkodiert und dann mit realem Geschäft vertuscht." Doch Bosler selbst wurde im Jahr 2012 wegen des Vorwurfs der Marktmanipulation verurteilt. Der investigative Journalist der Financial Times Dan McCrum hatte Betrügereien bei Wirecard bereits im Jahre 2015 mit der Artikelreihe "The House of Wirecard" aufgezeigt. Der Skandal-Konzern warf ihm daraufhin vor, den Aktienkurs zu manipulieren. Außerdem wurde er von rund 30 Privatdetektiven verfolgt, von Auftrags-Hackern angegriffen und musste sich drei Monate in einen Bunker einschließen. Ausgerechnet die bundesdeutsche BaFin erstattete im Jahr 2019 auch noch offiziell Anzeige gegen ihn. Seinen ausdrücklichen Wunsch, als Zeuge im Untersuchungsausschuss zum Wirecard-Skandal gehört zu werden, hatten Union und SPD rundweg abgelehnt. 

Derweil hatten somit einige Wirecard-Mitarbeiter Zeit, einen Teil der "Beute" wegzuschaffen – unter anderem sechsstellige Summen in bar in Discounter-Plastiktüten. Für viele Kleinanleger brachte die Pleite hingegen schmerzhafte Verluste, mithin verloren sie die gesamte Altersvorsorge.

Zum Ende der Befragung der Bundeskanzlerin bleiben weiter Fragen offen, unter anderem im Hinblick auf die Verantwortung von Personen in Merkels Umfeld, aber auch mit Blick auf mögliche Verbindungen zur Masken-Affäre sowie zu Anbietern der Sicherheitstechnik der Bundesregierung.

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