Nach Absegnung der Corona-Notbremse – Länderchefs wollen "verfassungsrechtliche Bedenken" haben
Nach der gestrigen Verabschiedung durch den Bundestag stimmte am Donnerstag nun auch der Bundesrat dem verschärften Infektionsschutzgesetz zu. Auf das Einspruchsrecht wurde von der Länderkammer verzichtet. Der aktiven Zustimmung bedurfte es wiederum nicht, da es sich um ein sogenanntes "Einspruchsgesetz" handelt. Die Länderkammer hätte aber den Vermittlungsausschuss von Bundesrat und Bundestag anrufen und das Gesetz damit zeitlich aufhalten können.
Das ist nicht geschehen. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat das novellierte Gesetz bereits unterschrieben. Nun muss es noch im Bundesgesetzblatt veröffentlicht werden.
Ohnehin war sich der Chef der CSU-Landesgruppe im Bundestag, Alexander Dobrindt, bereits vor der Zustimmung im Bundesrat sicher:
"Der Bundesrat wird sich nicht verweigern. […] Es wäre nicht verantwortungsvoll, wenn wir jetzt in ein Vermittlungsverfahren müssten, das ja dann mindestens mehrere Tage dauern würde."
Nun wollen die Länderchefs jedoch erhebliche Bedenken und massive Kritik am veränderten Infektionsschutzgesetz angemeldet haben. Man hat zwar mit sich gerungen, doch aufgrund der anhaltenden COVID-19-Pandemie habe man das Gesetz jedoch "nicht aufhalten" wollen.
#Sondersitzung zum #Infektionsschutzgesetz / #Bundesnotbremse mit Volker #Bouffier@MpStephanWeil@ReinerHaseloff@RegBerlin@tobiashans@BodoRamelow Bernd Buchholz @GuenterKrings@BMI_Bund@jensspahnhttps://t.co/BCeWk1iwoh
— Bundesrat (@bundesrat) April 22, 2021
So hatten die Ministerpräsidenten laut dpa "durch die Bank verfassungsrechtliche Bedenken" – insbesondere wegen der starren Notbremse – und Probleme bei der praktischen Umsetzung. Zudem sei moniert worden, dass der Bund nicht die Erfahrungen der Länder in der Pandemiebekämpfung berücksichtigt habe.
CDU-Bundesratspräsident Reiner Haseloff will in scharfer Form die Kompetenzverlagerung auf den Bund kritisiert haben.
"Der heutige Tag ist für mich ein Tiefpunkt in der föderalen Kultur der Bundesrepublik Deutschland."
Laut dem Ministerpräsidenten von Sachsen-Anhalt hat die Länderkammer über ein Gesetz beraten, "dessen Entstehung, Ausgestaltung und Ergebnis unbefriedigend sind". Der saarländische Regierungschef Tobias Hans (CDU) zeigt sich nun resolut:
"Ob diese Kompetenzverlagerung auf die Bundesebene eine wirkungsvollere Art der Pandemiebekämpfung darstellt, dieser Beweis, der ist noch nicht erbracht. Und der muss erbracht werden."
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn warb in der Sitzung nochmals für das Gesetz und spielte schon den Ball ins Feld der Länder zurück.
"Seit Anfang März sind die Instrumente ja alle benannt, aufgeschrieben, eigentlich vereinbart und geeint, inklusive der Ausgangsbeschränkungen. Und da müssen wir uns ehrlich machen: Obwohl Bund und Länder dasselbe wollen, ist bei vielen der Eindruck entstanden, wir würden nicht am selben Strang ziehen in den letzten Wochen."
"Das Gesetz legt einen einheitlichen Rahmen fest. Es ist ein Werkzeug für die aktuelle Phase der Pandemie. Befristet bis zum 30. Juni. Es ist ein Kompromiss. Aber es ist kein Ersatz für das gemeinsame, föderale Handeln", so @jensspahn im #Bundesrat.
— BMG (@BMG_Bund) April 22, 2021
Das einheitliche Handeln, so der Eindruck Spahns, sei verloren gegangen. Das Gesetz sei "das Ergebnis all dieser Entwicklungen".
Diesen Argumenten mochten sich die Regierungschefs der Länder offensichtlich nicht entziehen.
Derweil bezeichnete auch Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier die starren Ausgangsbeschränkungen als "verfassungsrechtlich problematisch". Es stelle sich auch die Frage, wie zum Beispiel die vorgesehenen Schulschließungen umgesetzt werden sollten. Bouffier bedauerte es, "dass der Bundestag die Chance hat verstreichen lassen, viele Erfahrungen der Länder, die wir aus einem Jahr praktischem Krisenmanagement gesammelt haben, mehr und intensiver aufzunehmen". Dies hätte die Akzeptanz in der Bevölkerung deutlich erhöhen können.
Der niedersächsische Regierungschef Stephan Weil von der SPD gab zu Protokoll, die Neuregelungen seien für den Infektionsschutz "kein großer Wurf". Bei Ausgangsbeschränkungen sei die verfassungsrechtliche Zulässigkeit fraglich, er sei "sehr gespannt" auf die Rechtsprechung. Für sein Land bedeute das Gesetz sogar erhebliche Lockerungsmöglichkeiten. Weil fasste seine Bewertung wie folgt zusammen:
"Für mein Land unnötig, aber ich füge hinzu: auch unschädlich."
Gezogen werden soll die Notbremse, wenn in einem Landkreis oder einer Stadt die Zahl der gemeldeten Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner binnen sieben Tagen an drei Tagen hintereinander über 100 liegt. Dann dürfen Menschen ab 22.00 Uhr die eigene Wohnung in der Regel nicht mehr verlassen. Alleine spazieren gehen und joggen ist bis Mitternacht erlaubt. Es darf sich höchstens noch ein Haushalt mit einer weiteren Person treffen, wobei Kinder bis 14 Jahre ausgenommen sind. Läden dürfen nur noch für Kunden öffnen, die einen negativen Corona-Test vorlegen und einen Termin gebucht haben. Präsenzunterricht an Schulen soll ab einer Inzidenz von 165 meist gestoppt werden.
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