"Organisierte Tarifflucht " – Arbeitgeberpräsident will weitere "Flexibilisierung" des Tarifsystems
Rainer Dulger, seit November Arbeitgeberpräsident, seit Langem Unternehmer und geschäftsführender Gesellschafter im Familienunternehmen seines Vaters, sagte jüngst, er sei generell ein Anhänger von Tarifverträgen – sofern diese weiter flexibilisiert werden könnten. Postwendend erhielt er Gegenwind, welcher sich angesichts des Regierungskurses als heiße Luft entpuppen könnte.
DGB-Chef Reiner Hoffmann sagte der Neuen Osnabrücker Zeitung (NOZ), er begrüße das grundsätzliche Bekenntnis Dulgers zu Tarifverträgen. Und es sei höchste Zeit, "dass dieses Bekenntnis auch von jenen Arbeitgebern und deren Verbänden beherzigt wird, die seit Jahren Tarifflucht betreiben". Hoffmann kritisierte in diesem Zusammenhang Mitgliedschaften ohne Tarifbindung. Er forderte, die Verbände der Arbeitgeber sollten solche Mitgliedschaften "endlich aus ihren Satzungen verbannen".
Wenn Arbeitgeber von Flexibilisierung sprechen, meinen sie in Wirklichkeit eine Erosion des Tarifsystems. Der stärkere Wettbewerb der Unternehmen würde dann auf dem Rücken der Beschäftigten ausgetragen. Wir müssen die Tarifbindung ausbauen! https://t.co/zeR82jWXO9
— IG Metall Berlin (@IGMetall_Berlin) January 7, 2021
Arbeitgeberpräsident Dulger hatte gesagt, er sei "ein großer Anhänger der Tarifpartnerschaft" – doch hätten viele Flächentarifverträge "ihre Attraktivität verloren".
Mehr zum Thema - Corona-Krise: Arbeitgeberverbände gegen existenzsichernden Mindestlohn
"Klar ist, dass wir im Tarifrecht dringend Reformen brauchen, denn Tarifpartner brauchen zusätzliche Handlungsspielräume für Flexibilisierung und Modernisierung", sagte Dulger der Deutschen Presse-Agentur und sprach sich mit modischem Vokabular für mehr Öffnungsklauseln in Tarifverträgen aus, damit Arbeitgeber nicht "abgeschreckt" würden:
"So könnten beispielsweise Unternehmen, die von der Komplexität eines gesamten Tarifwerks abgeschreckt werden, nur den Entgeltrahmen übernehmen, ohne gleichzeitig auch umfangreiche Regelungen zur Arbeitszeit übernehmen zu müssen", meinte Dulger. Dies solle nicht vom Staat neu geregelt werden, sondern die Tarifvertragsparteien sollten die Tarifverträge grundsätzlich modernisieren.
IG-Metall-Chef Jörg Hofmann erteilte Dulgers Forderung eine Absage. "Die Komplexität von Tarifverträgen ist die Konsequenz des Wunsches nach mehr Flexibilität in den Tarifverträgen, der gerade von den Arbeitgebern immer wieder eingefordert wird", sagte er der dpa.
Mehr zum Thema - Schaffe, schaffe, Fläschle sammle: Großteil der Arbeitnehmer verdient unterdurchschnittlich
Im Gespräch mit der NOZ betonte Hoffmann, von starren Tarifwerken könne keine Rede sein: "Dass die Tarifvertragsparteien Verantwortung für moderne Tarifverträge wahrnehmen, zeigen zahlreiche Tarifabschlüsse bereits seit Jahren. Gerade in Zeiten der Pandemie hat sich gezeigt, dass Tarifverträge über hohe Flexibilität verfügen und ganz wesentlich zur Beschäftigungssicherung beitragen."
Den Arbeitgebern schwebe vielmehr nachträgliche Rosinenpickerei auf betrieblicher Ebene vor. "Die wird es nicht geben. Alle Tarifverträge tragen die Unterschriften beider Seiten." Offen sei die IG Metall für mehr betriebliche Nähe im Tarifsystem. In betriebsspezifischen "Zukunftstarifverträgen" könne es um Investitionen und Zusagen von Produkten und Prozessen gehen - und darauf aufbauend um Personalentwicklung und auch Anpassungen tariflicher Regelungen.
Hoffmann forderte auch erleichterte Allgemeinverbindlichkeit. "Dafür brauchen wir im Tarifautonomiestärkungsgesetz minimalinvasive Änderungen. Das ist kein Zauberwerk", sagte er der dpa. "Wir brauchen zudem einen besonderen Kündigungsschutz für die Menschen ab dem Tag, an dem sie die Initiative zur Einrichtung eines Betriebsrates ergreifen." Er begrüßte, dass ein im Dezember vorgelegter Gesetzentwurf für ein Betriebsrätestärkungsgesetz dies aufgreife.
Der Linken-Gewerkschaftsexperte Pascal Meiser erhob Vorwürfe gegen Dulger:
"Die Forderung des obersten Arbeitgebervertreters nach einer immer weiteren Flexibilisierung des Tarifsystems ist nichts anderes als organisierte Tarifflucht auf Raten."
Die Vorsitzenden von DGB und Verdi, Hoffmann und Frank Werneke, sehen die Politik gefordert: Die Stärkung der Tarifbindung stehe im Koalitionsvertrag. "Mindestens muss endlich festgelegt werden, dass öffentliche Aufträge des Bundes nur noch an tarifgebundene Unternehmen vergeben werden dürfen", sagte Werneke der dpa.
Hoffmann betonte: "In 15 von 16 Bundesländern haben wir bereits Regelungen bei der öffentlichen Auftragsvergabe, auf Bundesebene nicht." Die öffentliche Auftragsvergabe habe ein Volumen von rund 45 Milliarden Euro pro Jahr. Die Steuerzahler hätten Anspruch darauf, dass sich Unternehmen, die öffentliche Aufträge erhalten, sozial verantwortlich verhalten und anständige Löhne zahlen.
"Wenn wir Tariftreue nicht zur Regel machen, akzeptieren wir staatlich subventioniertes Lohndumping."
Umfassende #Tariftreue bei öffentlichen Aufträgen und Konzessionen sowie eine Abschaffung der #OT_Mitgliedschaften in den Arbeitgeberverbänden wären entscheidende Schritte zur Stärkung der #Tarifbindunghttps://t.co/rDLj8B0ZGh
— Thorsten Schulten (@ThorstenSchult6) January 8, 2021
An die Politik appellierte Hoffmann, dem "staatlich subventionierten Lohndumping" endlich ein Ende zu setzen, und forderte: "Mit Steuergeldern finanzierte öffentliche Aufträge dürfen nur an solche Unternehmen vergeben werden, die tarifgebunden sind."
Die Begründung klingt vor dem Hintergrund hoher Aufstockerzahlen und einer immer deutlicheren Kette von Problemen durch zu geringe Löhne, wie Kinder- und Altersarmut, einleuchtend:
"Millionen Beschäftigte müssten dann am Ende des Monats nicht über Sozialleistungen Aufstockungen beantragen, die ebenfalls vom Steuerzahler finanziert werden."
Allerdings hatte noch im November der CDU-Wirtschaftsrat vorgeschlagen, den Koalitionsvertrag zwischen CDU und SPD neu zu verhandeln, um Unternehmen zu entlasten. Auch wenn seit Beginn der Corona-Krise Unternehmen Milliarden an Hilfen erhielten, um so Arbeitsplätze zu sichern, müssten nun Arbeitnehmerrechte beschnitten werden.
Mehr zum Thema - Linken-Anfrage: Für 15 Millionen Beschäftigte resultiert aus zu niedrigen Löhnen wohl Altersarmut
Durch die Sperrung von RT zielt die EU darauf ab, eine kritische, nicht prowestliche Informationsquelle zum Schweigen zu bringen. Und dies nicht nur hinsichtlich des Ukraine-Kriegs. Der Zugang zu unserer Website wurde erschwert, mehrere Soziale Medien haben unsere Accounts blockiert. Es liegt nun an uns allen, ob in Deutschland und der EU auch weiterhin ein Journalismus jenseits der Mainstream-Narrative betrieben werden kann. Wenn Euch unsere Artikel gefallen, teilt sie gern überall, wo Ihr aktiv seid. Das ist möglich, denn die EU hat weder unsere Arbeit noch das Lesen und Teilen unserer Artikel verboten. Anmerkung: Allerdings hat Österreich mit der Änderung des "Audiovisuellen Mediendienst-Gesetzes" am 13. April diesbezüglich eine Änderung eingeführt, die möglicherweise auch Privatpersonen betrifft. Deswegen bitten wir Euch bis zur Klärung des Sachverhalts, in Österreich unsere Beiträge vorerst nicht in den Sozialen Medien zu teilen.