Schulschließungen, Kontaktverbote, Depressionen: Kinder sollen Opfer bringen
von Susan Bonath
Es ist wieder soweit: Deutschlands Schulen und Kindertagesstätten (Kitas) gehen in den Shutdown. Auf eine einheitliche bundesweite Regelung einigten sich Bund und Länder bei einer Konferenz am Dienstag aber nicht. Nur so viel: Zunächst bis Ende Januar sollen die Einrichtungen weitgehend geschlossen bleiben. Ausnahmen seien aber möglich und von den Bundesländern selbst zu regeln.
Für viele Eltern beginnt damit wie im vergangenen Frühjahr ein Schlingern zwischen Job, Betreuung und Hilfe beim Homeschooling. Lediglich zehn zusätzliche Tage sollen sie mit finanzieller Unterstützung dafür zu Hause bleiben dürfen. Finanziert werde dies wie das Kinderkrankengeld, hieß es. Diese Regelung gesteht jedem Elternteil zehn Tage, Alleinerziehenden 20 Tage pro Jahr zu, um ihr krankes Kind zu pflegen. Die Mütter und Väter erhalten dafür in der Regel 90 Prozent ihres durchschnittlichen Nettolohnes erstattet.
"Homeschooling" light im Chaos
"Keiner weiß so richtig, wie es weitergeht", berichtete ein Zwölftklässler aus Sachsen-Anhalt im Gespräch mit der Autorin noch am Dienstag. Dass in seinem Bundesland die Abschlussklassen wohl als einzige ab Montag in Präsenz unterrichtet werden, ist kurz nach dem Gespräch am Mittwoch über die Lokalpresse durchgedrungen. Die Informationen, die Sachsen-Anhalts Schüler über die Lernplattform "Moodle" erhalten, hinken aber meistens hinterher. Das Portal sei "allgemein eine mittlere Katastrophe", sagte er.
Dies liege nicht nur an dessen Unübersichtlichkeit. Als die Schulen kurz vor den Weihnachtsferien in den Shutdown gingen, brach "Moodle" wenig später wegen der hohen Zugriffzahlen – nicht zum ersten Mal – zusammen. Viele Schüler in ländlichen Gegenden könnten die Plattform ohnehin kaum oder nicht benutzen, denn es mangele an einem ausreichend schnellen Internet. Dann werde über E-Mail kommuniziert, so der 17-Jährige. Unterricht über Videochats ist zwar vorgesehen. "Es gibt ihn aber nicht", sagte der Schüler.
Sachsen-Anhalt ist dabei kein Einzelfall. In der Hauptstadt lag das Modul "Lernraum Berlin" bereits am Montag lahm. Immer neue Ausfälle der Lernmodule gab es vor Weihnachten unter anderem auch in Sachsen, Bayern, Mecklenburg-Vorpommern und dem Saarland. Wie sollen sich Schüler unter diesen Umständen auf Abschlussprüfungen und das Abitur vorbereiten? "Das ist kaum möglich", meinte der Zwölftklässler. Seit letztem Jahr habe es ein Hin- und Her mit Hygieneverordnungen und stapelweise Selbstaufgaben gegeben, aber wenig Vorbereitung. Und: Ärmere Schüler fielen komplett durchs Raster.
Kinderärzte und Lehrer warnen vor Kindeswohlgefährdung
Kinderärzte und Lehrer hatten am Wochenende davor gewarnt, durch Schulschließungen besonders ärmere Kinder oder solche mit Beeinträchtigungen immer weiter abzuhängen. In einer gemeinsamen Stellungnahme appellierten Vertreter der Deutschen Akademie für Kinder- und Jugendmedizin (DAKJ), der Deutschen Gesellschaft für Pädiatrische Infektiologie (DGPI) und des Deutschen Lehrerverbandes an Bund und Länder, eine totale Schließung von Kitas und Schulen zu vermeiden.
Es gehe darum, "Lebenschancen von Kindern und Jugendlichen zu wahren", so die Unterzeichner. Letztlich könne der Bildungsauftrag des Staats am besten mit Präsenzunterricht erfüllt werden. Dies sei ein Grundbedürfnis der Minderjährigen, betonte DAKJ-Generalsekretär Hans-Iko Huppertz. Der Lockdown im Frühjahr habe gezeigt, dass andernfalls viele Kinder in ihrer psychischen, sozialen und motorischen Entwicklung dauerhaft gefährdet würden.
Die Vertreter der Verbände kritisierten die Politik scharf. Den ganzen Sommer über habe diese nicht genug getan, um Präsenzunterricht so zu ermöglichen, dass beiden Grundrechten auf Bildung und Gesundheit Rechnung getragen werden könne. Sie stellten klar: Schulen seien zwar am Infektionsgeschehen beteiligt, aber eben "keine Hotspots".
Paritätischer: Arme Familien alleingelassen
Derweil kommt ein Programm, wonach Schulen für arme Kinder und Jugendliche Leihgeräte für das Homeschooling bereit stellen sollen, offenbar eher schleppend in Gange. "Da die Ausstattung mit Notebooks und anderen digitalen Lernmitteln noch immer nicht gesichert sei, müssten entsprechende Ausgaben für alle Bezugsberechtigten von Bildungs- und Teilhabeleistungen durch die Jobcenter übernommen werden", forderte deshalb am Mittwoch der Paritätische Wohlfahrtsverband.
So habe es "die Bundesregierung in den vergangenen Monaten versäumt, dafür zu sorgen, dass einkommensarme Haushalte in der Krise nicht noch weiter abgehängt werden", kritisierte dessen Hauptgeschäftsführer Ulrich Schneider. "Bei allen Milliarden, die bisher zur Bewältigung der Corona-Krise ausgegeben wurden, findet sich kaum ein Cent für Menschen in Hartz IV oder Altersgrundsicherung." Schneider plädierte darum erneut dafür, mindestens die Grundsicherung vorübergehend um 100 Euro zu erhöhen. Betroffene dürften nicht mit gestiegenen Ausgaben für Schutzmaßnahmen und weggefallenen Hilfsangeboten alleine gelassen werden. Die Politik müsse die Gesellschaft zusammenhalten.
Trotz Zunahme psychischer Erkrankungen: Kontaktverbote auch für Kinder
Im Spätsommer hatte der Magdeburger Kindheitsforscher Michael Klundt in der Kinderkommission des Bundestages gerügt, die Politik habe Kinder und Jugendliche in der Krise massiv vernachlässigt. Sie habe über ihre Köpfe hinweg entschieden, sie einseitig belastet – obwohl sie am wenigsten von gesundheitlichen Auswirkungen der Pandemie betroffen seien. Er sprach von Kindeswohlgefährdung.
Kurz zuvor hatte eine repräsentative Studie der Universitätsklinik Hamburg-Eppendorf (UKE) gezeigt: Psychische Auffälligkeiten bei Kindern, wie Ängste, Depressionen Kopfschmerzen und Essstörungen, haben sich im ersten Lockdown nahezu verdoppelt. Am 18. Dezember berichtete der Bayerische Rundfunk von einer massiven Zunahme von Magersucht und Bulimie. Immer mehr Minderjährige und ihre Eltern suchten in der München-Klinik für Kinder- und Jugend-Psychosomatik deshalb Hilfe. Viele müssten auf einen Therapieplatz warten. In der Hannoverschen Allgemeinen warnte der Chefarzt der Clemens-August-Jugendklinik, Andreas Romberg, Anfang Januar vor schweren Depressionen bei Kindern. Er sehe steigende Zahlen.
Daraus gelernt hat die Politik offenkundig nicht. Die strengen Kontaktbeschränkungen sollen nun auch für unter 14-Jährige gelten, wie das RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) von Teilnehmern der Konferenz der Ministerpräsidenten am Dienstag erfahren haben will. Das bedeutet: Kinder sind von der neuen Regelung, wonach sich Haushalte nur noch mit maximal einer Person aus einem anderen Haushalt treffen dürfen, nicht mehr ausgenommen. Eltern sollen sich also entscheiden, ob sie selbst einen persönlichen Kontakt nach außen pflegen oder dem Kind lieber einen Freund zum Spielen zugestehen.
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