Verbote statt Appelle: Politik schwört Bevölkerung auf harte Zeiten ein

Mit einem bundesweit geltenden harten Lockdown will die Politik ein weiteres Ansteigen der Corona-Zahlen verhindern. Die Verschärfung der Maßnahmen sei notwendig und alternativlos. In Bayern soll darüber hinaus eine nächtliche Ausgangssperre verhängt werden.

Am Sonntag beschlossen Bund und Länder die Einführung eines harten Lockdowns, der ab dem kommenden Mittwoch (16. Dezember) und bis mindestens 10. Januar gelten soll.

Das öffentliche Leben wird drastisch heruntergefahren. Der Einzelhandel wird mit Ausnahme der Geschäfte für den täglichen Bedarf geschlossen. Von der Geschäftsschließung ausgenommen sind nach dem Beschluss unter anderem: der Einzelhandel für Lebensmittel, Wochenmärkte für Lebensmittel, Direktvermarkter von Lebensmitteln, Abhol- und Lieferdienste, Getränkemärkte, Reformhäuser, Babyfachmärkte, Apotheken, Sanitätshäuser, Drogerien, Optiker, Hörgeräteakustiker, Tankstellen, Kfz-Werkstätten, Fahrradwerkstätten, Banken und Sparkassen.

Kitas und Schulen sollen ebenfalls überall in Deutschland geschlossen oder nur noch eingeschränkt betrieben werden. Merkel und die Ministerpräsidenten vereinbarten, dass Schüler und Kita-Kinder spätestens ab Mittwoch für zunächst dreieinhalb Wochen zu Hause bleiben sollen.

Die strengen Regeln für private Kontakte – maximal fünf Personen aus maximal zwei Hausständen – sollen über Weihnachten gelockert werden. Die Regelung für die Feiertage könnte allerdings kaum komplizierter sein: Vom 24. bis zum 26. Dezember sind Treffen mit vier über den eigenen Hausstand hinausgehenden Personen zuzüglich Kinder im Alter bis 14 Jahre aus dem engsten Familienkreis zulässig, also Ehegatten, Lebenspartner und Partner einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft sowie Verwandte in gerader Linie, Geschwister, Geschwisterkinder und deren jeweiligen Haushaltsangehörige, auch wenn dies mehr als zwei Hausstände oder fünf Personen über 14 Jahre bedeutet.

An Silvester und Neujahr gilt bundesweit ein An- und Versammlungsverbot. Der Verkauf von Feuerwerk wird vor Silvester grundsätzlich verboten.

Der seit Anfang November geltende Teil-Lockdown habe "nicht gereicht", begründete die Bundeskanzlerin die neuen Maßnahmen. "Wir sind zum Handeln gezwungen und handeln jetzt auch", sagte Angela Merkel. Das exponentielle Wachstum der Corona-Neuinfektionen habe eine Zeit lang gestoppt werden können. Dann habe es aber eine "Seitwärtsbewegung" gegeben, und seit einigen Tagen gebe es wieder ein exponentielles Wachstum, so die Kanzlerin.

Söder will nächtliche Ausgangssperre in ganz Bayern verhängen

Laut Bayerns Ministerpräsident Markus Söder sei "Corona außer Kontrolle geraten". Deswegen habe man keine halben Sachen mehr machen wollen. "Die Philosophie heißt: Daheim bleiben!" so Söder.

Zumindest für die Tageszeit zwischen 21.00 und 5.00 Uhr will der Landeschef seiner Philosophie mit staatlichen Zwangsmitteln Nachdruck verleihen: Söder kündigte eine strikte nächtliche Ausgangsbeschränkung für den ganzen Freistaat an. Bislang habe man eine Ausgangssperre in Hotspots mit einer Inzidenz von über 200 umgesetzt – da das Land nun aber insgesamt über diesem Wert liege, werde man das jetzt "für ganz Bayern machen". Der Aufenthalt im öffentlichen Raum ist dann nur noch aus ganz wenigen triftigen Gründen erlaubt.

Harte Zeiten statt Zeit der Appelle

Der von Bund und Ländern für Deutschland beschlossene harte Lockdown sei ohne Alternativen, sagte Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer. "Die Zeit der Appelle ist vorbei", betonte der CDU-Politiker nach den Beratungen der Länderchefs mit Angela Merkel. "Deutschland muss zur Ruhe kommen – nur so haben wir eine Chance, die Kontakte um das notwendige Maß zu reduzieren."

Kretschmer hatte bereits am Freitag für "ganz andere, ganz klare, autoritäre Maßnahmen des Staats" plädiert. Nur so sei eine Entlastung in den Krankenhäusern zu erreichen.

Mehr zum Thema - Sachsens Ministerpräsident fordert "klare, autoritäre Maßnahmen" des Staates

Was im Frühjahr "in Teilen zu viel war, ist heute dringend geboten und wird jetzt von allen staatlichen Ebenen durchgesetzt", sagte Kretschmer am Sonntag. Die Gewährleistung der medizinischen Versorgung jederzeit sei nicht verhandelbar. "Gerade der Blick auf die Situation in den Krankenhäusern zeigt, wie notwendig die beschlossenen Maßnahmen sind."

Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Armin Laschet schwor die Bevölkerung indes auf eine harte Zeit und Tage der Entbehrung ein. Die Berichte aus den Intensivstationen in Deutschland seien dramatisch. Seit Oktober habe sich die Zahl der COVID-19-Patienten auf den Intensivstationen in NRW vervierfacht. Seit Samstag sei deren Zahl auf über 1.000 gestiegen. Es seien nur noch 15 Prozent der Intensivkapazitäten verfügbar – "mit sinkender Tendenz". 

"Wir brauchen jetzt eine Vor-Quarantäne vor dem Weihnachtsfest und deutliche Maßnahmen danach", sagte der CDU-Politiker. Hamsterkäufe und überfüllte Innenstädte müssten vermieden werden. 

Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier bezeichnete die Beschlüsse von Bund und Ländern als hart, aber notwendig. "Wir brauchen diesen erneuten Kraftakt im Interesse unserer aller Gesundheit wie auch der Wirtschaft. Je schneller wir mit den Infektionszahlen nach unten kommen, desto schneller geht es für unsere Wirtschaft auch wieder bergauf."

Damit könnte es nach Ansicht von Karl Lauterbach aber deutlich länger dauern als erhofft. "Die nächsten drei Monate werden die mit Abstand härtesten", sagte der SPD-Gesundheitsexperten gegenüber der Welt. Er bezweifelt, dass es bis zum 10. Januar möglich ist, die anvisierte Zielmarke von 50 Neuinfektionen innerhalb von sieben Tagen pro 100.000 Einwohner zu erreichen.

RKI: Corona-Zahlen steigen weiter an

Momentan liegt der sogenannte Inzidenzwert bundesweit bei 169 – ein neuer Höchstwert. Allerdings unterscheidet sich die Inzidenz zwischen einzelnen Bundesländern erheblich. Mit 349 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner binnen sieben Tagen hatte Sachsen laut Angaben des Robert Koch-Instituts (RKI) vom Sonntag den bei weitem höchsten Wert – mehr als doppelt so hoch wie im Bundesdurchschnitt. Es folgten Thüringen (231) und Bayern (200). Die niedrigsten Werte hatten demnach Schleswig-Holstein (79), Mecklenburg-Vorpommern (83) und Niedersachsen (85).

Wie das RKI am Sonntagmorgen zudem berichtete, haben die Gesundheitsämter bundesweit 20.200 neue Fälle positiv Getesteter übermittelt. Damit habe sich die Zahl im Wochenvergleich erneut weiter erhöht. Am vergangenen Sonntag lag sie bei 17.767.

Der bisherige Höchststand war am Freitag mit 29.875 gemeldeten Fällen erreicht worden. Am gleichen Tag wurde auch der bisherige Höchstwert von 598 Toten im Zusammenhang mit dem Coronavirus vermeldet. Die Zahl der neuen Todesfälle am Sonntag liegt laut RKI bei 321, während sie am Sonntag vor einer Woche 255 betrug.

Auch die Zahl der COVID-19-Patienten auf den Intensivstationen steigt weiter an: Nach Angaben der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (Divi) wurden am Samstag 4.491 COVID-19-Patienten auf den Intensivstationen behandelt – 59 mehr als am Vortag. 57 Prozent von ihnen wurden invasiv beatmet.

Mehr zum Thema - "Jahrhundert-Pandemie"? Kliniken melden weniger Lungenentzündungen und Beatmungsfälle als im Vorjahr

(rt/dpa)