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U-Bahn-Neubau jetzt ein Klimakiller? – Neue Studie untersucht CO2-Bilanz

Am Freitag war es soweit: Nach langem Warten wurde in Berlin der Lückenschluss der U5 vollzogen. Die neue U-Bahn-Verbindung dürfte den öffentlichen Nahverkehr im Zentrum der Stadt aufwerten. Doch eine beinahe zeitgleich veröffentlichte Studie sieht den Neubau von U-Bahn-Strecken kritisch. Und könnte im anstehenden Wahlkampf eine Rolle spielen.
U-Bahn-Neubau jetzt ein Klimakiller? – Neue Studie untersucht CO2-BilanzQuelle: www.globallookpress.com © Jochen Eckel via www.imago-images.de

Wer hätte das gedacht? Schiene gleich umweltfreundlich, hieß es immer. Doch jetzt will eine neue Studie herausgefunden haben, dass dies nicht für den Neubau von U-Bahn-Strecken gilt. Dass die Studie zwei Tage vor dem Lückenschluss der U5 in Berlin veröffentlicht wurde, sei allerdings Zufall. Für alle Nicht-Berliner: Die U5 verbindet zentrale Punkte der Berliner Innenstadt – Museumsinsel, Unter den Linden, Brandenburger Tor und Bundestag. Es war ein aufwendiges Bauvorhaben im Berliner Untergrund, Tunnel und Bahnhöfe sind komplett neu errichtet worden. Die nun fertiggestellte durchgängige Tunnelstrecke zwischen Alexanderplatz und Hauptbahnhof dürfte künftig jedoch viel zur Attraktivität des öffentlichen Nahverkehrs im Zentrum der Stadt beitragen.

Wenn man einer neuen Studie Glauben schenken mag, wird es jedoch noch mehr als 100 Jahre dauern, bis die Strecke eine positive CO2-Bilanz aufweist. Dass öffentlicher Nahverkehr – zumindest, was die U-Bahn anbelangt – klimafreundlich sei, stimme nämlich so nicht mehr. Matthias Dittmer, einer der Autoren der Studie, formulierte es gegenüber dem Tagesspiegel so:

"Wir wollen mit der Studie die Debatte versachlichen und vom Kopf auf die Füße stellen. Auch für uns war die Erkenntnis neu, dass weitere U-Bahnen in Tunnellage das Klimaproblem nicht lösen, sondern weiter verschärfen."

Dabei beruhe der angenommene negative Klimaeffekt vor allem auf der besonders CO2-intensiven Zementherstellung für die Tunnelröhren und die unterirdischen Bahnhöfe. Hinzu komme noch der Bedarf an Stahl, der dem Beton die nötige Stabilität gibt. Selbst, wenn dieser aus recyceltem Schrott gewonnen werde, trage er immer noch viel zur Gesamtemission bei.

Für die Berechnung habe man anhand fünf konkreter Berliner Projekte Standards etwa zur Baustelleneinrichtung, Tunnelmaßen und den Abständen von Bahnhöfen und Notausstiegen herangezogen. Auch Unterschiede zwischen Innenstadt und Randbezirken seien berücksichtigt worden, wie der Tagesspiegel unter Berufung auf den langjährigen Senatsplaner und weiteren Autor der Studie Peter Schwipps berichtet. Anhand des ermittelten Bedarfs an Beton kommen die Autoren – der Dritte im Bunde ist der Mathematiker und ehemalige Konzernstratege der Deutschen Bahn AG Frank Geraets – schließlich auf 98.800 Tonnen CO2-Emission pro Normkilometer U-Bahn-Tunnel.

Diesen Belastungen wird dann der erwartete Fahrgastzuwachs gegenübergestellt. Dabei gehen die Autoren davon aus, dass jeder fünfte der künftigen Passagiere vom Auto auf die U-Bahn umgestiegen ist. Hinzu kommt noch, dass dank der Neubaustrecke die zweieinhalbfache Menge an zuvor notwendigen Buskilometern eingespart werden konnte. Somit ergibt sich für alle untersuchten Strecken – die U5 war übrigens nicht mit dabei – gemittelt eine jährliche Vermeidung von 714 Tonnen CO2 pro Neubaukilometer. Daraus wiederum lässt sich eine Amortisationszeit von durchschnittlich etwas mehr als 138 Jahren errechnen.

Die Spanne reicht in den einzelnen Fällen dann von 109 Jahren für die Verlängerung der U9 zum Bahnhof Pankow bis hin zu 230 Jahren für die Verlängerung der U6 zum geplanten neuen Stadtquartier auf dem nunmehr stillgelegten Flughafen Tegel. Dass der Auto- und Busverkehr durch die allmähliche Umstellung auf Elektromobilität etwas klimafreundlicher werden dürfte, sei in den Berechnungen im übrigen noch nicht berücksichtigt worden – anderenfalls müsste dies die Klimabilanz der neuen U-Bahn-Strecken noch weiter zurückwerfen.

Die Studie platzt gewissermaßen in den Vorwahlkampf, denn im Land Berlin wird im Herbst 2021 ein neues Abgeordnetenhaus gewählt. Und das Thema "Qualität des öffentlichen Nahverkehrs" dürfte dabei in der spürbar enger gewordenen Stadt eine wesentliche Rolle spielen. Der amtierende rot-rot-grüne Senat hatte das Thema bisher gemieden. Schon in der Koalitionsvereinbarung war ein U-Bahn-Neubau gänzlich ausgeklammert worden.

Doch der Wind scheint sich inzwischen etwas zu drehen. Nicht nur die Opposition, sondern auch die neugewählte SPD-Landesvorsitzende und designierte Bürgermeisterkandidatin ihrer Partei, Franziska Giffey, möchte kräftig in den Ausbau des U-Bahn-Streckennetzes investieren. Und dabei geht es eben vor allem um genau jene von der Studie untersuchten Projekte. Dittmer, der auch Sprecher der Arbeitsgemeinschaft Mobilität des Berliner Landesverbands von Bündnis 90/Die Grünen ist, leitet aus seiner Studie bereits verkehrspolitische Schlussfolgerungen ab und wird diesbezüglich in der taz wie folgt zitiert:

"Wir fordern ein Moratorium beim U-Bahn-Bau, bis Klimaneutralität hergestellt ist. (…) Wir schlagen vor, alle planerischen Kapazitäten auf die Entwicklung des Straßenbahnnetzes zu fokussieren."

Auch ohne die neue Studie wäre dies wenig überraschend, zumal die U-Bahn im Gegensatz zur Straßenbahn noch nie das Steckenpferd der Berliner Grünen war. Die Grünen werden allerdings hauptsächlich in den Wohnlagen mit sanierten Altbaugebieten in Zentrumsbezirken wie Mitte oder Friedrichshain-Kreuzberg gewählt. Auf schnelle Verbindungen in Randlagen wie zum Beispiel ins Märkische Viertel im Norden – hierhin ist etwa die Verlängerung der U8 vorgesehen – sind ihre Wähler weniger angewiesen. Wie genau sich die einzelnen Parteien aber zu dem Thema positionieren werden und ob die nun vorgelegte Studie dabei eine Rolle spielen wird, muss zunächst noch abgewartet werden.

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