Frankfurter Amtsarzt stellt Corona-Strategie der Regierung infrage: "Keine erhöhte Sterblichkeit"
Professor René Gottschalk, Mediziner und Leiter des Gesundheitsamts von Frankfurt am Main, hat die Strategie der Bundesregierung in der Corona-Krise deutlich kritisiert. In zwei Artikeln, die Ende August geschrieben wurden und in der neuen Ausgabe des Hessischen Ärzteblattes erscheinen, nimmt er zusammen mit einer Fachkollegin anhand der verfügbaren Daten eine Bestandsaufnahme der Pandemie vor und leitet daraus Empfehlungen für das weitere Vorgehen ab.
In den gemeinsam mit seiner Co-Autorin und früheren Stellvertreterin Prof. Dr. med. Ursel Heudorf verfassten Papieren stellt Gottschalk vor allem die gegenwärtige Teststrategie der Regierung infrage. Gegen die fast ausschließlich verwendeten PCR-Tests führt er ins Feld, dass diese bei niedriger Prävalenz und umfangreicher Testung immer auch falsch-positive Ergebnisse lieferten, die nicht zu vernachlässigen seien. Außerdem bleibe unklar, ob es sich bei den detektierten Genabschnitten des Virus tatsächlich "um infektionsfähige Viren oder um Virusreste nach durchgemachter Infektion" handele.
Diese Aussage ist von erheblicher Brisanz, weil das Krisenmanagement der Regierung im Grunde auf diesen Tests und der speziellen Interpretation ihrer Ergebnisse beruht.
In ihren Handlungsempfehlungen kritisieren die Autoren in diesem Zusammenhang die Informationspolitik von Regierung und Behörden:
Die Bevölkerung muss sachgerecht informiert werden. Absolutzahlen der positiv Getesteten sind wenig aussagekräftig; sie müssen ins Verhältnis zu den Getesteten insgesamt gesetzt werden und nach asymptomatischen Infektionen oder schweren Erkrankungen differenziert werden.
Am Ende des ersten Artikels fordern die Autoren indirekt, vom Ziel des Containments – also der Verhütung aller, auch asymptomatischer Infektionen – abzugehen und sich auf den Schutz verletzlicher Gruppen und die Minderung der Folgen zu konzentrieren. Dies würde auch ein Ende der massenhaften Tests an Menschen ohne Symptome implizieren.
Gottschalk und Heudorf betonen, dass die Zahl der tatsächlichen Krankheitsfälle und die der schweren Krankheitsverläufe abnehmen. Die Pandemie habe auch nicht zu einer erhöhten Sterblichkeit geführt – anders als frühere Grippe- und Hitzewellen:
Die Sterbestatistik (tägliche Sterbefälle) zeigt im ersten Halbjahr 2020 keine Auffälligkeiten – im Gegensatz zu erkennbar höheren Sterbezahlen während der Influenza-Zeiten 2017 und 2018 sowie während der Hitzeperiode im Juli 2018.
In Bezug auf Schulen und Kitas schreiben die Autoren, dass die schrittweise Wiedereröffnung der Schulen offenbar nicht zu einer erkennbaren Zunahme an Infektionen bei Kindern und Schulpersonal geführt habe. Die Schule sei kein "Hochrisikoarbeitsplatz". Auch die Debatte über die mögliche Übertragung des Virus durch Aerosole sei "von der Realität weit entfernt". Von einer Impfung erwarten die Mediziner in der näheren Zukunft keine Lösung.
Gottschalk und Heudorf fordern dringend eine breite öffentliche Debatte um die Krisenstrategie, ohne in ihren Empfehlungen das Einhalten von Abstandsregeln, das Tragen von Masken und Regeln für den Aufenthalt im Freien grundsätzlich infrage zu stellen. Auch dies ist eine indirekte Kritik am Krisenmanagement der Regierung:
Angesichts des Verlaufs und der Ausprägung der Pandemie sowie der bisher vorliegenden wissenschaftlichen Erkenntnisse und praktischen Erfahrungen bedarf es dringend einer breiten öffentlichen Diskussion zu den Zielen und Mitteln der Pandemie-Bekämpfung. Diese Diskussion muss, über rein virologische Fragen hinaus, ethische Aspekte sowie rechtliche Ansichten und Einsichten Fragen zum legitimen Zweck, der Geeignetheit, Erforderlichkeit und Angemessenheit der Maßnahmen umfassen.
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