Deutschland

Terrorprozess gegen Halle-Attentäter: Spende und Verschwörungsmythen aus der rechten Szene

Wussten Gesinnungskameraden vorab vom Vorhaben des Rechtsterroristen Stephan Balliet, die Synagoge in Halle anzugreifen und "so viele Juden wie möglich zu töten"? Seinen Anschlag begründete er mit neofaschistischen Verschwörungsmythen. Er will sogar Geld bekommen haben.
Terrorprozess gegen Halle-Attentäter: Spende und Verschwörungsmythen aus der rechten SzeneQuelle: Reuters © Hendrik Schmid

von Susan Bonath (die Autorin verfolgt den Prozess live in Magdeburg)

Zweifacher Mord, 68-facher versuchter Mord, schwere Körperverletzung, räuberische Erpressung und Volksverhetzung: Diese Vorwürfe der Bundesanwaltschaft gegen den Rechtsterroristen Stephan Balliet muss das Oberlandesgericht (OLG) Sachsen-Anhalt derzeit prüfen. Unter hohen Sicherheitsvorkehrungen hat am vergangenen Dienstag der Prozess gegen ihn in Magdeburg begonnen. Mit der Befragung des Angeklagten durch die Nebenkläger wird er am kommenden Dienstag fortgesetzt. Balliet scheint den Gerichtssaal als Bühne zu betrachten. Gleichwohl geben seine Einlassungen einen Einblick in seine Radikalisierung über Internetplattformen und das Vorgehen der rechten Szene im Netz. 

Täter wollte Muslime, Dunkelhäutige und Juden töten

Bereits am ersten Verhandlungstag am Dienstag stellte der geständige Terrorist klar, er habe viele weitere Menschen töten wollen. Zunächst habe er es auf Muslime abgesehen, gab er an. Auch an das Töten von dunkelhäutigen Menschen habe er gedacht. Doch man müsse "das dann schon richtig machen", so der Angeklagte. Und die Juden, wiederholte er den bekannten rechtsextremen Verschwörungsmythos, seien "das eigentliche Übel", sie stünden "hinter dem großen Plan des Austauschs der Deutschen" und strebten nach "einer Weltregierung".

So habe sich der Angeklagte am höchsten jüdischen Feiertag Jom Kippur für die vollbesetzte Synagoge entschieden. Seinen Plan habe er etwa ein halbes Jahr zuvor geschmiedet. Er habe "sie alle töten" und im Anschluss noch eine Moschee angreifen wollen. Dass er es nicht geschafft habe, die Synagogentür zu sprengen, und ihm dann eine Ladehemmung seiner selbst gebauten Waffen dazwischenkam, bedauere er bis heute, erzählte er. Seine Opfer, die 40-jährige Jana L. und der 20-jährige Kevin S., seien "Zufallstreffer". "Eigentlich wollte ich keine Deutschen töten", so der Angeklagte.

Er räumte zudem ein, nach dem Mord an S. im Dönerimbiss und einer kurzen Schießerei mit der Polizei versucht zu haben, einen Mann aus Somalia mit seinem Wagen zu überfahren. Weil das Auto bereits einen zerschossenen Reifen hatte, habe er davon abgelassen und sei ins knapp 20 Kilometer entfernte Wiedersdorf geflüchtet.

Dort schoss er, auf der Suche nach einem intakten Fluchtauto, zunächst ein Paar nieder. Nur knapp konnten Ärzte das Leben der beiden retten. Schließlich erpresste er in einem Taxiunternehmen ein Auto. Anderthalb Stunden nach seinem ersten Mord unmittelbar vor der Synagoge stellte ihn die Polizei auf der A9. Zuvor hatte Taxifahrer Daniel W. den Täter verfolgt. W. war noch vor Balliet von der Polizei gestoppt worden.

Die beiden Morde hatte der Angeklagte selbst mit einer Helmkamera gefilmt und live auf die Internetplattform Twitch gestreamt. Rechte Gruppen hatten den Link unter anderem bei Telegram verbreitet.

Rund 2.200 Menschen sahen ihm bei seinen Taten zu, bevor das Video von den Betreibern der Plattform gelöscht wurde. Er habe "meinen Leuten" zeigen wollen, "wie man das macht", und fühle sich nun als "Versager".

Angeklagter will seine Leute schützen

Von "meinen Leuten" sprach der Rechtsterrorist mehrfach während der ersten beiden Verhandlungstage. Mit ihnen gemeinsam wehre er sich gegen die "Eroberer aus dem muslimischen Kulturkreis". Er führte aus: Eine andere Lösung sehe er nicht, denn "wenn die Ausländer kommen, rutschen wir Deutschen runter".

Auf Nachfrage der Vorsitzenden Richterin Ursula Mertens erklärte Balliet, er sehe sich "am unteren Rand der Gesellschaft". Deshalb habe er im Sommer 2015 angefangen, sich zu bewaffnen. Im Jahr darauf habe er sich erstmals eine Waffe selbst gebaut. Auch die Anleitung dafür habe er aus dem Internet.

"Meine Leute" seien auch der Grund, warum er den Nebenklageanwälten zunächst nicht sagen wolle, auf welchen Internetseiten er gesurft, sich radikalisiert und mit wem er virtuell kommuniziert habe. "Ich schwärze keinen an", beteuerte er. Und: Er wolle seine Leute schützen. Eine Rolle habe aber das rechtsextreme Manifest des Christchurch-Attentäters Brenton T. gespielt, so Balliet.

Nach zahlreichen Fragen nannte er dann doch das Imagebord "8chan". Die Seite wurde mittlerweile wegen neofaschistischer und gewaltverherrlichender Inhalte gelöscht. Mehrere Rechtsterroristen, unter anderem der Christchurch-Massenmörder, hatten dort ihre Taten angekündigt. Mehr noch: Ein Moderator dieser Plattform habe Balliet 0,1 Bitcoin überlassen, sagte dieser vor Gericht aus. Die digitale Währung habe der Angeklagte anschließend zu 1.000 Euro gemacht. Wofür das Geld gedacht war, ob er es zur Bewaffnung und für den Mordanschlag genutzt hat, ließ er offen.

Die rechtsextreme Ideologie dahinter

Balliet ist vom neofaschistischen Mythos eines "großen Bevölkerungsaustauschs" überzeugt. Mehrfach benutzte er dieses Sprachbild in seinen Ausführungen. Von einem Nebenklageanwalt dazu befragt, erklärte er: "Ich kenne die Wahrheit." Später fügte er an, die Flüchtlingskrise habe ihm "die Augen geöffnet" und gezeigt, dass "der Austausch tatsächlich stattfindet".

Dieser Mythos versucht geschickt, linke Elemente mit faschistischen Wahnideen zu verbinden. Er schiebt die Auswirkungen der kapitalistischen Klassengesellschaft bestimmten "Eliten", wahlweise den Multimilliardären George Soros und Bill Gates, dem Rothschild-Clan, "den Juden", dem "tiefen Staat" oder "den Globalisten" sowie nicht-weißen Ethnien in die Schuhe, anstatt den Fokus auf die ursächlichen Eigentums- und Herrschaftsverhältnisse zu lenken. So besagt der Mythos, dass die "politischen Eliten" gezielt Flüchtlinge ins Land holten, um sie auf die einheimische Bevölkerung zu hetzen und Letztere auszutauschen.

Spätestens seit 2010 macht die Story vom "großen Austausch" die Runde in der international vernetzten rechten Szene. Damals behauptete der französische Nationalist Renaud Camus in einer Schrift, sein Land drohe unter muslimische Herrschaft zu geraten. 2011 vertrat er die These in einem Buch, das in Deutschland von Götz Kubitschek, dem intellektuellen Kopf und Strippenzieher der Neuen Rechten sowie Verleger, im Jahr 2016 auf Deutsch herausgegeben wurde.

Ideologische Anheizer: Identitäre, Compact, AfD und Co.

Der Kopf der Identitären Bewegung, Martin Sellner, vertritt den Mythos vom Austausch ebenso wie zahlreiche rechte Youtuber und der Compact-Herausgeber und ehemalige "Antideutsche" Jürgen Elsässer. In dessen Blatt wurde 2018 über einen angeblichen "Sieben-Punkte-Plan für einen Volksaustausch" im Zusammenhang mit Soros schwadroniert. Verbreitet wurde dieser "Artikel" auch von christlichen Fundamentalisten, etwa über den Internetkanal Gloria TV.

Im Netz kursiert seit Jahren ein 30-seitiges Papier zu diesem Thema auf diversen Kanälen, unter anderem auf der rechtsextremen Plattform "Thule-Seminar". Scheinbar intellektuell – populistische Begriffe werden vermieden – führen die anonymen Autoren darin Zahlen auf, die einen angeblichen gezielten Austausch der deutschen Bevölkerung durch Migranten, forciert durch politische Eliten, belegen sollen.

Mehr noch: Die Autoren des Pamphlets schreiben Menschen aufgrund der ethnischen Herkunft bestimmte Eigenschaften wie geringere Intelligenz zu. Außerdem richten sie sich gegen die Gleichstellung von Mann und Frau. Denn studierte und emanzipierte Frauen bekämen weniger Kinder und trügen so zur "Katastrophe" bei, heißt es. Auch der Halle-Attentäter Balliet bekundete in seinem selbst gefilmten Tatvideo seine Abneigung gegen emanzipierte Frauen. Man dürfe ihnen beispielsweise nicht zugestehen, sich den Partner selbst auszusuchen, so Balliet sinngemäß.

Auch die AfD schürt bei ihren Anhängern Angst vor dem angeblichen "Elitenprojekt" des "großen Austauschs". Am 5. April 2017 veröffentlichte AfD-Funktionär Alexander Gauland eine Pressemitteilung unter der Überschrift: "Erschreckende Zahlen – Der Bevölkerungsaustausch läuft". Der Thüringer AfD-Chef Björn Höcke schreibt in seinem Buch von einem "Volkstod" durch "gezielten Bevölkerungsaustausch". Derselbe Verschwörungsmythos durchzieht das "Manifest" des Christchurch-Attentäters genauso wie nun die Aussagen und schriftlichen Bekenntnisse des gescheiterten Massenmörders Balliet.

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