Fiesta Mexicana in Moskau: Ein Stimmungsbericht zum WM-Spiel Deutschland gegen Mexiko
von Ivan Rodionov
"Nur kein Stress, ich glaube Euch auch ohne Papiere", sagt die junge Polizistin vor dem Drehkreuz am Eingang zum U-Bahnhof Smolenskaja, als ich nach meiner Fan-ID in den Taschen fische. Wir stehen mitten in einer Traube glücklicher, aber etwas ratloser Mexikaner - und die Beamtin fügt mit breitem, strahlendem Lächeln hinzu: "Viel Spaß und viel Glück", wobei sie mit ihrer Dienstkarte den Zugang freimacht und uns durchwinkt. Freie Fahrt für Fußball-Fans.
Die russische Polizei, sonst für ihre Griesgrämigkeit und Ruppigkeit bekannt, zeigt ihre menschliche, ja charmante Seite. Ein kleiner persönlicher Wow-Moment zum Abschluss des Tages, an dem es viele "Wows" gab - und ein Stück Fußballgeschichte geschrieben wurde: Mexiko gewann zum ersten Mal gegen Deutschland bei einer WM.
In einem tobenden und tosenden Luschniki-Stadion, welches - mit über 78.000 Menschen bis an den Rand voll - an diesem Abend wohl ebenso in Mexiko-Stadt hätte liegen können. Noch mexikanischer ginge es kaum. Obwohl zwei Blöcke deutscher Fans rein zahlenmäßig gut hätten dagegenhalten können. Sie setzten aber akustisch keine großen Akzente und beschränkten sich auf das Fahnenschwenken. Aber der Reihe nach.
Drei Stunden vor dem Spiel in der U-Bahn: Mexikaner sind überall. Sie laufen die Rolltreppen auf und ab, machen Gruppen-Fotos, skandieren sich warm und fahren sorglos in alle Richtungen. Das unterirdische Echo trägt ihre Sprechchöre durch die Gänge und Bahnsteige. "Alemania" ist herauszuhören. Ich frage mich, wie sie ihre riesigen Sombrero-Hüte über den Atlantik gebracht haben: als Handgepäck? Kleine deutsche Gruppen bemühen sich, zusammen zu bleiben, lesen Wegbeschreibungen auf den Smartphones und konzentrieren sich darauf, in den richtigen Zug einzusteigen.
Zwei Stunden vor dem Spiel am Luschniki-Stadion: Die Menschenmenge ist schon dicht gedrängt, fließt aber frei durch breite Sicherheits-Korridore. Flankiert von Barrieren, dahinter auch der Polizei, die aber eher unaufdringlich im Hintergrund bleibt. Auffallend viele Chinesen finden sich in den deutschen Trikots, das deutsche Team bekommt Support aus Asien - das ist etwas überraschend. Die Organisation ist hervorragend. Die vielen Volontäre scheinen sich um jeden Einzelnen persönlich kümmern zu wollen, rufen sich die Stimmbänder wund und eilen sofort zu Hilfe: ein Job für junge Leute. Und trotzdem: Hinter dem Sicherheits-Labyrinth am Eingang grüßt alle eine resolute Oma in der roten Volontär-Weste und weist die Fans zu den Sicherheitskontrollen weiter. Kurz davor reichen die Mexiko-Fans in der Schlange eine Plastik-Flasche herum. "Mineralwasser still" steht darauf auf Russisch. Die Flüssigkeit hat aber eine verdächtige strohgelbe Farbe. "Tequila!" - sagt einer im Halb-Flüsterton. Was immer es ist, es muss schnell geleert werden bei gefühlten 30 Grad, Flaschen dürfen nicht rein.
Auf dem Stadion-Gelände blickt der gusseiserne Lenin vom hohen Sockel aus auf das bunte Treiben zu seinen Füßen. Das Stadion war ursprünglich 1956 nach ihm benannt worden - wie so ziemlich alles, was Maßstab hat, von der legendären Metro über die mit elf Kilometern längste Moskauer Süd-West-Ausfallstraße bis hin zur höchsten staatlichen Auszeichnung für besondere Verdienste in der Wissenschaft und Kultur.
Eine Blaskapelle spielt eine ziemlich abgefahrene Cover-Version von "Lucky". Ein deutscher Fan macht recht souveräne Moves, deutsche Trikolore über den Schultern, im internationalen klatschenden und filmenden Kreis.
Eine Stunde vor dem Spiel, in der Fan-Kurve hinter dem Tor, welches in der ersten Hälfte dem deutschen Team zufällt: Das Stadion ist schon halbvoll - und füllt sich mit jeder Minute weiter. Das mexikanische Grün dominiert. Auf den Tribünen bildet sich eine panamerikanische Allianz: Brasilianer, Argentinier, Kolumbianer stimmen in die mexikanischen Gesänge ein. Die meisten setzen sich gar nicht, viele tanzen in den Gängen. Die deutschen Fans packen die schwarz-rot-goldenen Fahnen aus und machen Selfies mit Plastikbechern alkoholfreien Budweisers in der Hand, die einzige von der FIFA zugelassene Bier-Sorte.
Als Erster kommt Manuel Neuer aus den Katakomben auf den Rasen, gefolgt von den beiden Ersatz-Torwarten. Er absolviert seine Aufwärm-Einheiten im Sechzehner - und der deutsche Block hinter dem Tor erwacht zum Leben. Dann kommt aber die mexikanische Mannschaft heraus und eine Welle rollt durch das Stadion, in der Lautstärke einer startenden Staffel Jumbo-Jets, sofern diese überhaupt in Staffeln fliegen würden.
Anpfiff: Zwischen Anpfiff und Abpfiff liegt ein gefühlter Augenblick, eine Zeit-Zip-Datei, extrem stark komprimiert. In den ersten zwei Minuten gleich zwei Torchancen auf beiden Seiten. Die Deutschen werden bei jedem Ballkontakt ausgebuht. Bei mexikanischem Ballbesitz schalten die Tribünen fast in Überschallgeschwindigkeit um. Was sofort ins Auge fällt: Die mexikanischen Spieler haben keinen Minderwertigkeitskomplex gegenüber dem Weltmeister. Sie sind offenbar auf das deutsche Spiel taktisch bestens vorbereitet, agieren frech und selbstbewusst, lassen dem deutschen Aufbauspiel fast keinen Platz. Sie erobern viele Bälle im Mittelfeld und bohren sich durch die deutsche Abwehr-Linie mit schnellen Kontern. Die Innenverteidigung hält diesen Angriffen recht souverän stand. Rechts aber, hinter Kimmich, klafft eine Lücke, gut sichtbar aus meiner Position - vielleicht sogar besser als aus jener von Joachim Löw. Die Mexikaner nehmen die Einladung gerne an, und so braut sich auch das Tor zusammen, über die halb-linke Seite.
Die Seismographen registrieren im Augenblick des 1:0 vermutlich ein Beben in geringer Stärke im Moskauer Süd-Westen. Danach folgt zuerst eine etwas einfallslose Druck-Phase der deutschen Mannschaft. In der zweiten Hälfte, nach der Einwechslung von Reus, wird der deutsche Ansturm immer gefährlicher. Der Ball verlässt kaum noch die mexikanische Hälfte. Den Mexikanern geht die Puste aus. Ihr Trainer wechselt Verteidiger ein. Der Druck steigt, aber auch die Hektik. Mexiko spielt die letzte halbe Stunde nur noch gegen die Zeit und verteidigt mit selbstlosem Einsatz die Null. Der mexikanische Keeper erwischt einen seiner besten Tage. Der Ball will einfach nicht rein in den Kasten von Ochoa. Die Quintessenz der deutschen Frustration scheint die gelbe Karte zu sein, die Hummels sich tief in der mexikanischen Hälfte holt - ohne jede Not. Abpfiff. Das deutsche Team geht sich, sichtlich betreten, noch bei den Fans bedanken. Die Mexikaner scheinen es immer noch nicht so richtig glauben zu können, dass sie gewonnen haben, als ob sie sich gern kneifen lassen wollten, um sich zu überzeugen, es sei real. Es fühlt sich wohl wie Glücks-Ohnmacht an.
Eine halbe Stunde nach dem Spiel: Das achtzigtausendköpfige Menschenmeer fließt aus dem Stadion. Die Organisation ist unglaublich, fast schon verdächtig gut. Keine Gedränge, kein Herumirren, keine unnötigen Sperren. Gut sichtbare Wegweiser-Schilder zeigen die Richtung zu den nächsten U-Bahnhöfen an. Volontäre mit Megafonen auf Hochsitzen erklären in passablem Englisch, wie man am besten dorthin kommt. Einige deutsche Fans versuchen mit den Polizisten zu diskutieren. Diese schütteln nur die Köpfe. Ich frage, ob ich helfen kann. Sie sagen, sie wollen "da rüber, auf die andere Seite". Aber den gewünschten kurzen Weg versperrt ein drei Meter hoher Zaun. Lenin blickt von seinem Sockel der bunten Fan-Internationale hinterher. Moskau macht sich gefasst auf den lateinamerikanischen Karneval.
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