Schicksalsschlacht um Stalingrad: Vom Feldmarschall der Wehrmacht zum Kronzeugen in Nürnberg
Im Januar 1943 wurde die Niederlage des Dritten Reiches in der legendären Schlacht um Stalingrad offensichtlich. Nach sechseinhalb Monaten brutalster Schlacht, die letztlich den gesamten Verlauf des Zweiten Weltkrieges wenden sollte, hatte die Sowjetunion über eine Million Soldaten vor Stalingrad verloren. Auf deutscher Seite starben etwa 950.000.
Die 6. Armee unter Leitung des Generalfeldmarschalls Friedrich Paulus geriet in einen Kessel, bis zur völligen Zerschlagung blieben nur noch wenige Tage. In diesem Moment zeichnete Adolf Hitler Paulus mit einem der höchsten Orden des Reiches aus und erhöhte dessen militärischen Rang. In einer der damaligen Radiosendungen betonte der Führer extra, bislang sei noch nicht ein deutscher Feldmarschall in Gefangenschaft geraten. Offenbar erwartete Hitler, dass der belagerte Paulus Selbstmord begehen werde, ehe man ihn gefangen nehmen könnte. Aber dieser Feldmarschall wählte das Leben - und begab sich am 31. Januar 1943 in sowjetische Gefangenschaft.
Deutsche gegen Hitler
Für Moskau war der Gefangene Paulus nicht nur aus Prestigegründen wichtig. Seit dem Überfall Deutschlands auf die Sowjetunion versuchte Moskau auch gemeinsam mit deutschen Kommunisten, die noch in den 1930er Jahren in die UdSSR emigriert waren, eine internationale antifaschistische Organisation aus Kriegsgefangenen aufzubauen.
Nach Stalingrad, welches den Glauben der Deutschen an diesen Vernichtungskrieg stark erschüttert hatte, kamen rund 91.000 ehemalige Wehrmachtssoldaten in sowjetische Gefangenschaft - eine günstige Gelegenheit zum Start einer solchen Vereinigung. So entstand im Juli 1943 zunächst das Nationalkomitee "Freies Deutschland", später dann die "Union der deutschen Offiziere" unter Führung des gefangenen Generals Walther von Seydlitz-Kurzbach. Aber für wirklich erfolgreiche Antinazipropaganda war deren Autorität offenbar noch nicht ausreichend. Den Sowjets fehlte an der Spitze der Organisation ein Mann von Rang und Namen. So wie Friedrich Paulus.
Des Feldmarschalls Schicksal
Zeitgenossen beschrieben Paulus als sehr verantwortungsbewussten und genauen Soldaten, als einen ehrenhaften Offizier und Menschen. Dennoch, so schreibt der deutsche Historiker Joachim Wieder in seinem Buch über die Katastrophe an der Wolga, wollte aus Paulus einfach kein erfolgreicher Feldherr werden. Im Stab habe er sich stets wohler gefühlt denn als Kommandeur einer dröhnenden Armee. Und Paulus war ein wahrlich berüchtigter Stabstaktiker: Unter anderem war er einer derjenigen, die den Plan "Barbarossa" zum Überfall auf die Sowjetunion mit ausgearbeitet hatten.
Bis zur Schlacht von Stalingrad war Paulus stets Stabschef seiner Armee, arbeitete also vor allem mit Papierstapeln. Der Erlass zur Ernennung zum Kommandeur der 6. Armee 1942 war, so Wieder weiter, für den Taktiker Paulus dann auch ein Schicksalsschlag. Niemals zuvor hatte er bis dahin ein Heer in eine echte Schlacht geführt.
Eine weitere Schwäche Paulus' sei dessen blindes Vertrauen in Hitler gewesen, meint Wieder. Allein der Moment der Entscheidung, dass er sich am Ende nicht selbst tötete, war der erste und einzige Moment, in dem Paulus dem Führer letztlich den Gehorsam verweigerte. Selbst als er schon in Gefangenschaft war, gab er noch einmal an, trotz allem Nationalsozialist zu bleiben.
Dann hörte er von der Union der deutschen Offiziere. Zuerst verurteilte er den Verband und alle seine Mitglieder scharf, schreibt der Historiker Michail Burzew, sagte sich gar schriftlich von allen deutschen Kriegsgefangenen los, die dem Verband beitraten.
Innere und äußere Wende
Aber schnell änderte Paulus dann doch seine Meinung. Einerseits wirkte die ständige sowjetische psychologische Bearbeitung auf ihn ein. Auf der Datscha in Dubrowo bei Moskau, wo er lebte, versuchte man ihn täglich zu einem Übertritt zur Sowjetunion zu überreden. Ebenso beeinflusste ihn aber auch der Kriegsverlauf an sich. Die Alliierten eröffneten die zweite Front. Das Dritte Reich erlitt heftige Niederlagen in Afrika und bei Kursk. Auch die Verurteilung von Paulus' Freund Generalfeldmarschall Erwin von Witzleben wegen Beteiligung an dem versuchten Attentat auf Hitler unter Stauffenberg am 20. Juli 1944 machte ihm zu schaffen.
Und so gab er am 8. August 1944, eineinhalb Jahre nach seiner Gefangennahme, nach und teilte den Wehrmachtsoldaten per Radio des "Freien Deutschlands" mit:
Es handelt sich um einen von Hitler mitten im Frieden vom Zaune gebrochenen Raub- und Eroberungskrieg, wie die Welt noch keinen sah.
Der Krieg sei verloren, Deutschland müsse sich von Hitler lossagen.
Seine Familie, seine Frau und drei erwachsene Kinder in Deutschland wurden für diesen "Verrat" in Sippenhaftung genommen. Seine Frau Constanze sah er nie mehr lebend wieder.
Zeuge im Nürnberger Prozess
Und dies war nur die erste, aber nicht die letzte Antihitlerrede Paulus'. Er trat der Union der deutschen Offiziere bei und ließ eine Vielzahl von Reden an das deutsche Volk verfassen. Laut dem Historiker Wladimir Markowitsch soll Paulus gar um eine persönliche Audienz bei Stalin gebeten haben. Als gefangenem Deutschem blieb ihm das natürlich versagt.
Seine größte Rede aber hielt Paulus letztlich bei den Nürnberger Kriegsverbrecherprozessen am 11. und 12. Februar 1946. Als Beteiligter bei der Ausarbeitung des Plans "Barbarossa" war er ein wichtiger Zeuge in den Fällen Wilhelm Keitel und Alfred Jodl, die beide letztlich zum Tode verurteilt wurden. In der russischen Geschichtsschreibung gilt Paulus als der wichtigste Kronzeuge gegen das Hitler-Regime beim Nürnberger Tribunal, was letztendlich auch zum juristischen Urteil bezüglich des verbrecherischen Charakters des Krieges verhalf.
Nach Nürnberg kehrte Paulus in die UdSSR zurück und lebte auf einer Datscha bei Moskau. Bis Stalin 1953 starb, wurde ihm jede Bitte auf Ausreise abgeschlagen. Derweil arbeitete er weiter für die Sowjets: als Berater zum Film "Schlacht um Stalingrad" von Wladimir Petrow (1949). Erst nach dem Tod von Stalin gelang Paulus die Ausreise: Bis zu seinem Tod nach Krankheit im Jahr 1957 lebte er noch einige Jahre in Dresden.
Mit freundlicher Genehmigung von Russia Beyond The Headlines (RBTH)
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