Gesellschaft

Youtube-Amoklauf als Symptom: "Menschliche DNA noch nicht reif für das Social-Media-Zeitalter"

Am Dienstag drang die Bloggerin Nasim Aghdam ins Hauptquartier von Youtube ein, verletzte drei Personen und tötete sich selbst. Der Mitgründer der Newsplattform PJ Media glaubt, die schöne neue Medienwelt wird noch mehr gebrochene Persönlichkeiten schaffen.
Youtube-Amoklauf als Symptom: "Menschliche DNA noch nicht reif für das Social-Media-Zeitalter"Quelle: Reuters © Elijah Nouvelage

Der Amoklauf der persisch-amerikanischen Bloggerin Nasim Najafi Aghdam aus San Diego am Dienstag im Hauptquartier von Youtube hat den US-amerikanischen Drehbuchautor und Mitgründer des Portals PJ Media, Roger L. Simon, zu einem bitteren und pessimistischen Essay veranlasst.

Simon, unter anderem Autor des Buches "Ich weiß es am besten: Wie moralischer Narzissmus unsere Republik zerstört, falls er es nicht schon getan hat", stellt darin die Frage, ob die sozialen Medien "im wahrsten Sinne des Wortes unser Tod" sein werden. Er sagt voraus, dass mit ähnlichen Vorfällen wie jenem um die Bloggerin auch künftig und in unterschiedlichsten Formen zu rechnen sein wird.

"Die Privatsphäre ist nicht nur tot. Sie ist bereits verwest."

Das größte Problem an den sozialen Medien seien nicht einmal die überwältigenden Möglichkeiten des Data Minings, die den Internet-Giganten zur Verfügung stehen und die derzeit die öffentliche Debatte beherrschen:

Es war das Eine, dass die NSA und andere Geheimdienste alles über uns wussten - sie hatten immerhin die Ausrede der nationalen Sicherheit, so deplatziert diese mittlerweile offensichtlich auch geworden sein mag. Aber jetzt haben private Interessensträger von Alphabet über Facebook bis hin zu Amazon mehr Informationen über uns als wir selbst. Die Privatsphäre ist nicht nur tot. Sie ist bereits verwest."

Es komme aber noch schlimmer. Habe Google einst noch die Parole ausgegeben "Richte vor allem keinen Schaden an", hat das von ihm mittlerweile aufgekaufte Youtube eine offenkundige Soziopathin dazu gebracht, die Kontrolle zu verlieren und Tote und Verletzte zu hinterlassen.

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Aghdam mag eine hochgradig gestörte Persönlichkeit gewesen sein, deren Größenwahn sich mit einem bizarren Mischmasch von religiösen und sozio-politischen Trümmern aus ihrer iranischen Herkunftskultur und solchen ihrer westlichen neuen Heimat verbunden habe. So habe sie eines ihrer Videos im Hidschab aufgenommen, die Frage gestellt, ob dieser sie attraktiv erscheinen lasse, und abwechselnd mit ihrem Publikum geflirtet oder dieses bedroht.

Verlust des Schutzes der kleinen Gemeinschaft

Der Polizei zufolge war Wut auf die Unternehmenspolitik von Youtube der Auslöser ihres Amoklaufs und diese, so Simon, sei tatsächlich autokratisch und von eigenen Interessen geleitet. Dies sei jedoch nur der oberflächliche Aspekt mit Blick auf die Angelegenheit. Der Ausbruch hätte sich, so Simon, möglicherweise auch dann ereignet, wenn Youtube keine so willkürliche Politik rund um Demonetarisierung und Reichweitenmanagement betrieben hätte:

Fräulein Aghdam saß alleine in einem Raum, machte Videos für Tausende, wenn nicht Millionen von Menschen, die sie nie getroffen hat. Anders als auf einem Filmset konnte sie viel von ihrer Arbeit alleine machen, ohne viel oder überhaupt irgendwelches Feedback von Kollegen. […] Für eine labile Persönlichkeit ist das ein Rezept für Katastrophen. Alle Arten von Ideen gehen durch den Kopf. Missverständnisse gedeihen ohne nachvollziehbare Reaktionen, außer in Form von hauptsächlich anonymen Kommentaren, die aus allen möglichen Gründen abgegeben werden, von hilfreichen bis verwerflichen. Unterdessen können die Social-Media-Unternehmen, die diese Plattform zur Verfügung stellen, auch dann den Darsteller entfremden, wenn sie eigentlich gute Absichten haben. Wie wir alle wissen, zielt Paranoia tief ins Innere. Die Resultate haben wir nun wieder in San Bruno gesehen."

Dies, so Simon, führe zu einer zweiten Frage, und zwar jener, ob sich die menschliche Spezies über die Jahrtausende dazu entwickelt hat, in der Lage zu sein, die schnell voranschreitende Technologie unserer Welt zu bewältigen und ob wir dafür überhaupt bereit seien.

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Durch die Geschichte hindurch habe die Menschheit als Vielzahl kleiner Gruppen oder Stämme existiert. Menschen wie Nasim Aghdam wurden durch ihr Umfeld vor ihren schlimmsten Impulsen geschützt. Natürlich habe es auch Erscheinungen wie die Hexenverfolgung gegeben, die sich auch gegen Menschen wie sie gerichtet hätten, aber sie waren kaum komplett alleine. Und jetzt sind sie alleine. Unabhängig von der Größe ihrer Zuschauergemeinde sehe niemand diese Menschen, pflege niemand mit ihnen persönlichen Umgang von Angesicht zu Angesicht, unabhängig davon, wie viele Abonnenten vorhanden sind.

Verloren in einer Anomie, die sich nicht einmal Durkheim hätte ausmalen können, sind sie frei, ihre Fantasien ohne Rücksicht auf die Realität auszuleben. Wenn etwas schiefgeht, möge der Himmel uns helfen. Soziale Medien sind alles andere als sozial."

Junge Menschen dürfen sich keine Fehler mehr erlauben

Simon befürchtet, dass diese Entwicklung kein gutes Ende nehmen wird. Unsere DNA sei nicht für das gerüstet, was auf uns zukomme und könnte dies auf Jahrhunderte oder Jahrtausende noch nicht sein. Nasim Aghdam sei dabei nur eine extreme Erscheinungsform des Problems. Schlimmer seien die Wunden, die soziale Medien unseren jungen Menschen zufügten. Sie hätten nicht mehr die Möglichkeit, in einem privaten Rahmen aufzuwachsen und Fehler zu machen, die jeder Mensch begeht, da diese in drastischer Weise auf die Spitze getrieben und dem Gelächter der Online-Gemeinde unterworfen würden. Wir hätten keine Freunde mehr, nur noch digitale Bekanntschaften.

Der PJ-Media-Mitgründer schließt mit einer düsteren Vorahnung:

Ich bezweifle, dass Zuckerberg und anderen bewusst war, was sie entfesseln würden, aber sie haben es nun mal entfesselt. Wir wissen nicht, ob wir den sprichwörtlichen Geist wieder zurück in die Flasche bekommen. Es könnte sein, dass wir so lange warten müssen, bis wir alle zu Cyborgs geworden sind. Bis dahin erwarten uns noch mehr Nasim Najafi Aghdams in unterschiedlichsten Erscheinungsformen."

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