Gesellschaft

Vogelgrippe-Alarm: "Potenziell noch katastrophaler als Corona"

Wissenschaftler warnen immer lauter vor einer Übertragung des Vogelgrippe-Virus auf den Menschen. Inzwischen bereiten sich unterschiedliche Organisationen und Pharmakonzerne auf eine Impfstoffproduktion vor. Christian Drosten befürchtet den Anlauf einer neuen Pandemie.
Vogelgrippe-Alarm: "Potenziell noch katastrophaler als Corona"Quelle: www.globallookpress.com © Aditya Singh / imageBROKER.com

Wissenschaftler, die die Ausbreitung der Vogelgrippe erforschen, zeigen sich zunehmend besorgt. Durch Lücken in der Überwachung, so die Angst, könnte man einer neuen Pandemie mehrere Schritte hinterherhinken. Das berichtete Reuters nach Interviews mit mutmaßlich führenden Seuchenexperten. Seit 2020 beobachteten Wissenschaftler die Vogelgrippe H5N1 bei Zugvögeln.

Mit der Ausbreitung des Virus in 129 Milchviehherden in zwölf US-Bundesstaaten werde ein völlig neues Kapitel aufgeschlagen. Es bestehe eine erhöhte Gefahr der Übertragbarkeit von Mensch zu Mensch. Bei anderen Säugetieren, von Alpakas bis zu Hauskatzen, habe man ebenfalls bereits Infektionen festgestellt.

Scott Hensley, Professor für Mikrobiologie an der Universität von Pennsylvania, kritisierte einen leichtfertigen Umgang mit den Infektionen: "Im Moment ist die Bedrohung ziemlich gering … aber das kann sich im Handumdrehen ändern." Je früher vor einem Übergreifen auf den Menschen gewarnt werde, desto eher können die Gesundheitsbehörden weltweit Maßnahmen zum Schutz der Menschen ergreifen, indem sie die Entwicklung von Impfstoffen, großangelegte Tests und Eindämmungsmaßnahmen einleiten. Mehrere Experten erklärten, dass die unterschiedlichen Ansätze der Behörden für die Gesundheit von Tieren und Menschen eine schnelle Reaktion behindern könnten.

Gigi Gronvall, eine Expertin für Biosicherheit am Johns Hopkins Center for Health Security befürwortete eine zentrale Behörde, die für alles zuständig wäre: "Wenn man das System von Grund auf neu entwerfen würde, gäbe es nur eine Behörde." Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation sei das Risiko von H5N1 für den Menschen zwar zurzeit gering; falls sich dies ändern sollte, habe man aber gewisse Mengen des H5N1-Impfstoffs und antivirale Medikamente wie Tamiflu auf Vorrat.

Die Leiterin der UNO-Grippeabteilung, Wenqing Zhang, erklärte zudem, bei Bedarf könnten Tests, Medikamente und Impfstoffe in größerem Maßstab produziert werden. Einigen Experten zufolge gebe es hinreichend Anlass zur Sorge, um sich auf eine mögliche Ausbreitung beim Menschen vorzubereiten.

Der Geschäftsführer der Coalition for Epidemic Preparedness Innovations (Koalition für Innovationen zur Epidemievorbeugung, CEPI) wies darauf hin, dass die Auslöser für entsprechende Maßnahmen ganz unterschiedlich sein könnten. Die CEPI hatte schon früh die Entwicklung des COVID-Impfstoffs finanziert und führt nun entsprechende Gespräche mit Forschungspartnern über H5N1. Die Organisation hat sich zum Ziel gesetzt, ein ganzes Reservoir von Prototyp-Impfstoffen für Krankheitserreger mit Pandemiepotenzial zu erstellen. Damit könnten Pharmaunternehmen Impfungen bei Bedarf innerhalb von 100 Tagen in den Vertrieb bringen.

Laut einem Bericht der Berliner Zeitung vom Montag hat sich auch der Berliner Virologe Christian Drosten zur Gefahr einer neuen globalen Pandemie geäußert. Demnach sei das Virus H5N1 ein potenzieller Kandidat für ein solch weltumspannendes Ereignis. Grund seien auch ihm zufolge die Fälle bei Milchvieh in den USA, in deren Folge sich auch Menschen mit H5N1 infiziert hätten. Gegenüber dem Redaktionsnetzwerk Deutschland sagte Drosten:

"So etwas hat es vorher noch nicht gegeben, solche extrem großen Ausbrüche bei Kühen – alle Fachleute sind besorgt."

Noch könne man die Lage nicht beurteilen. Die Ausbreitung unter Säugetieren könne "glimpflich ablaufen, das Virus braucht mehrere Schritte zur Anpassung, und vielleicht ist es vorher schon unter Kontrolle". Deshalb warnte Drosten:

"Aber es kann auch schon der Anlauf zu einer nächsten Pandemie sein, den wir hier live mitverfolgen."

Entsprechend hätten sich einige europäische Länder schon im vergangenen Monat mit Impfstoff versorgt. Man konzentriere sich auf die Impfstoffe, welche die Übertragung der Vogelgrippe von Tieren auf Menschen verhindern sollen. Über einen derartigen Impfstoff habe die EU-Kommission mit der britischen Firma Seqirus einen Vertrag über 665.000 Impfdosen abgeschlossen. Damit sicherte sie sich den Zugriff auf das Präparat "Zoonotic Influenza Vaccine Seqirus".

Auch die Weltgesundheitsorganisation WHO habe mittlerweile mit 15 Impfstoffherstellern Verträge geschlossen, um sich für eine Influenza-Pandemie zu wappnen. Erst kürzlich habe ein Expertenbericht davor gewarnt, für drohende Pandemien sei die Welt nicht ausreichend gerüstet. Laut der früheren neuseeländischen Premierministerin und Studien-Co-Autorin Helen Clark könnte eine Vogelgrippe-Pandemie "potenziell noch katastrophaler sein als Corona". Auch sie warnte:

"Sollte sich H5N1 von Mensch zu Mensch übertragen, wäre die Welt sehr wahrscheinlich erneut überfordert."

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