Gesellschaft

Mannheimer Messerattentat: Welche Rolle spielte der Mann in der blauen Jacke?

Eine Woche nach dem Messerattentat von Mannheim, infolgedessen ein Polizist den Verletzungen erlag, werfen der Tathergang und das Vorgehen der Polizei etliche Fragen auf. Allerdings interessiert sich bisher der mediale Mainstream nicht dafür. Besonders ein Passant scheint eine seltsame Rolle gespielt zu haben.
Mannheimer Messerattentat: Welche Rolle spielte der Mann in der blauen Jacke?Quelle: www.globallookpress.com © Rene Priebe/dpa

Mindestens bis zum gestrigen Donnerstag war Sulaiman A., der Messerattentäter von Mannheim, nicht vernehmungsfähig. Am 31. Mai 2024 hatte der gebürtige Afghane, dessen Asylantrag 2014 abgelehnt worden war, mehrere Menschen durch Stiche mit einem großen Messer teilweise lebensgefährlich verletzt. Der 29-jährige Polizist Rouven L. war am 2. Juni den schweren Verletzungen erlegen, die ihm A. zugefügt hatte (RT DE berichtete).

Die in den sozialen Netzwerken und auf Youtube kursierenden Videos erlauben es, den Tathergang aus verschiedenen Perspektiven nachzuvollziehen. Neben mehreren Handy-Videos existiert die Aufzeichnung des Livestreams, den die Bürgerbewegung PAX EUROPA e. V. (BPE) von ihrem Infostand auf dem Mannheimer Marktplatz gesendet hatte. Kürzlich haben der Rechtsanwalt Markus Haintz und das Videoportal ETVC Bild- und Video-Analysen zu dem Ablauf veröffentlicht. Die eigentliche Tat dauerte nicht einmal zwei Minuten. Um sich einen ersten Überblick über den Hergang selbst zu verschaffen, sind die Standbilder gut geeignet, die Haintz.media erstellt hat. Die zwölf Fotos, die aus verschiedenen Videos stammen, sind mit kurzen Erklärungen zur Situation beschriftet – vor allem mit Kennzeichnungen der beteiligten Personen.

Akteure und erster Augenschein

Die auffälligsten Beteiligten sind neben dem Attentäter (in der Bildanalyse von Markus Haintz mit dem Kürzel A versehen) Michael Stürzenberger (MS) als prominentes Opfer, außerdem der – wie sich herausstellen sollte, iranische – Helfer (H), der Passant (Pa) – der "Mann in der blauen Jacke" – sowie mehrere Polizisten (durchnummeriert P1 bis P6), wobei es sich bei P1 um den verstorbenen L. handelt. Innerhalb von Sekundenbruchteilen brachte der Attentäter seinen Opfern zahlreiche Messerstiche bei.

Jedoch genügt es zur Analyse des Geschehens nicht, sich auf die unmittelbare Gewalttat zu beschränken. So schreibt Haintz im "Fazit" seiner Bildanalyse, dass der Passant (Pa) die Situation "leider" falsch eingeschätzt habe, weshalb er sich auf den iranischen Helfer (H) stürzte. Polizist 1 (L.) dagegen habe vermutlich alles richtig gemacht und den Passanten vom Helfer getrennt. Dabei drehte er dem Attentäter notgedrungen seinen Rücken zu. Allerdings hatten die anderen Polizisten ihm nicht den Rücken freigehalten. Der Attentäter A konnte sich aus dem Zugriff des Helfers H befreien und kurz darauf auf L. (P1) losgehen. Dabei verletzte A sein Opfer schließlich tödlich.

Vorher und nachher

Dass der "Passant" (Pa) möglicherweise eine andere Rolle als die eines zufällig anwesenden Bürgers gespielt haben könnte, wird aus der Videoanalyse von Elijah Tee deutlich. Der alternative Videoblogger hat sich zusammen mit "Klardenker Uwe", der regelmäßig in Tees Programmen als Partner auftritt, die Minuten vor dem Attentat und das Geschehen danach minutiös angesehen.

Eine erste Auffälligkeit: Der Passant trägt eine blaue Jacke und eine helle Hose. Bei flüchtigem Hinsehen könnte man ihn leicht mit den Ordnern des BPE-Teams verwechseln: Denn diese tragen ebenfalls blaue Jacken in einem ähnlichen Farbton. Allerdings handelt es sich bei der Bekleidung der BPE-Aktivisten um Kapuzenpullover – und nicht um Funktionsjacken, wie der Passant eine trägt. Aufgrund der ähnlichen Farbe fällt der Passant zunächst nicht besonders auf, da einige blau gekleidete BPE-Mitarbeiter rund um den Stand auf dem Mannheimer Marktplatz zu sehen sind.

Abwarten in der Entfernung?

Bevor der Attentäter seinen Angriff auf Stürzenberger beginnt, ist auf dem Video zu erkennen, wie der Passant eine Weile an der Straßenbahnhaltestelle am Rande des Platzes steht. Die Haltestelle ist mindestens 20 Meter vom Infostand der BPE entfernt. Er blickt dabei nicht zum Infostand, sondern in die entgegengesetzte Richtung, also zu den Schienen, als ob er auf eine Bahn warten würde. Der Livestream der BPE hat in dieser Einstellung auch den iranischen Helfer erfasst, der ebenfalls in der Nähe der Haltestelle steht und auf etwas zu warten scheint. Im Gegensatz zum Mann in der blauen Jacke sieht der Iraner allerdings in Richtung des BPE-Standes.

Durcheinander

Daher ist der Helfer auch schnell zur Stelle, als die Messerstecherei beginnt, und kann den Attentäter festhalten. Haintz schreibt in seiner Analyse zur Szene Nr. 9 (in der Nummerierung von Haintz), dass der Passant – der Mann in der blauen Jacke – in die Situation eingreift. Man kann erkennen, dass er aus der Richtung der Straßenbahnhaltestelle gelaufen kommt. Zu diesem Zeitpunkt liegt der Attentäter allerdings schon vor dem BPE-Stand am Boden, und der Helfer hält zusammen mit anderen den Täter fest.

In dieser Lage schlägt der herbeigeeilte Passant mit Faustschlägen auf den Helfer ein. Daraufhin springt P1 zum Passanten, damit dieser nicht länger auf den Helfer einschlägt. Es stellt sich die Frage, wie der Passant aus einiger Entfernung, ohne in Richtung des BPE-Standes gesehen zu haben, erstens so schnell zur Stelle sein und sich dann zweitens einen Überblick über die Lage verschaffen konnte. Denn er hatte zuvor ja in die entgegengesetzte Richtung geschaut. Wieso war der Passant sich dann aber sicher, heftig auf den Helfer einschlagen zu müssen, der den Attentäter zu diesem Zeitpunkt bereits fixierte?

Nach den Messerstichen auf den Polizisten

Als L., Polizist 1, den Passanten mit Körpereinsatz von dem Helfer getrennt und den Passanten mit dem rechten Knie zu Boden gedrückt hatte, kam es zu dem doppelten Messerstich im Halsbereich von L. durch den Attentäter, der sich ihm von hinten näherte. Nach den Stichen kippte der Polizist zur Seite nach rechts, während er sich an den Hals und die Wunden fasste.

Erst dann kam es zum Schusswaffengebrauch durch einen anderen Polizisten. Zu diesem Zeitpunkt war L. zur Seite gerollt, und der Passant lag mit ausgestreckten Beinen rücklings auf dem Pflaster, die Arme vor der Brust. Der Helfer hatte sich mit erhobenen Händen in Richtung der anderen Polizisten gerettet.

Ohne abzuwarten, was nun passieren würde, kam der Passant in der blauen Jacke etwas mit dem Oberkörper hoch und drehte sich nach rechts, wo in Reichweite seines rechten Armes die Tatwaffe lag. Er griff nach dem Messer und warf es zu seiner linken Seite – in die Richtung, in der sich noch die meisten Polizisten befanden. Nur kurz richtete der Polizist, der den Attentäter gerade angeschossen hatte, seine Pistole auch auf den Passanten. Dieser richtete sich sogar kurz weiter auf, sah sich um, aber legte sich sogleich wieder in seine alte Position, während gleichzeitig die übrigen Polizisten zu L. eilten und einige wenige auch zum Attentäter.

Polizeieinsatz

Nachdem alle Polizisten, die sich zuvor abseits gehalten hatten, zum unmittelbaren Tatort gerannt kamen, wurde der Mann in der blauen Jacke von einer einzelnen Polizistin festgehalten. Obwohl der Passant sichtbar von kräftiger Statur ist, wurde keine zweite Polizistin und kein zweiter Polizist hinzugezogen, obwohl weitere Beamte in der Nähe waren. Zu sehen ist, wie der Passant, anscheinend geübt, seine Arme freiwillig auf den Rücken legt, während die ihn bewachende Polizistin ihn mit dem Kopf nach unten und vornüber zum Pflaster hält, allerdings ohne ihn mit einem Polizeigriff festzusetzen.

Im Gegensatz dazu wird zeitgleich der iranische Helfer von mehreren Polizisten abseits minutenlang auf dem Pflaster fixiert. Im Unterschied zum Helfer wird der Passant, auch wenn er sich kurz bäuchlings hinlegen muss, während dieses Vorgangs nur von einer einzelnen Polizistin beaufsichtigt, aber eben nicht fixiert. Die Polizistin kniet neben dem Mann in der blauen Jacke, aber eben nicht auf ihm, sodass es dem Passanten ein Leichtes gewesen wäre, sich zu befreien.

Scheinbar privilegiert

Nach nur einer Minute wird dem Passanten in der blauen Jacke gestattet, wieder aufzustehen. Kurzzeitig steht der Passant neben anderen Polizisten, woraufhin er von der Polizistin und einem anderen Polizisten einige Meter zur Seite geführt wird – nicht festgehalten, ohne Handschellen und andere Sicherungsmaßnahmen.

Dann wird der Passant einfach stehen gelassen. Er befindet sich am Rande des BPE-Infostandes vor den aufgestellten Plakaten. An dieser Stelle ist es dem Mann der blauen Jacke gestattet, sich minutenlang und in entspannter Haltung mit einem weiteren Polizisten zu unterhalten. Zwar ist der Passant fast nur von hinten zu sehen, aber er steht ruhig, wie während eines Gesprächs unter Kollegen, neben dem Polizisten.

Die Situation wirkt auch nicht wie ein Verhör oder als ob die Personalien des Passanten festgestellt würden. Zwar zückt ein Polizist während des Gesprächs mit dem Passanten einmal kurz einen Notizblock, aber es scheint sich nicht um eine irgendwie geartete Befragung zu handeln. Auffllig ist darüber hinaus, dass der Mann in der blauen Jacke keinen Ausweis vorzeigen muss. Es ist nicht zu erkennen, dass er in den Taschen seiner Jacke nach den Papieren sucht oder sich in anderer Weise dem Beamten gegenüber ausweisen würde.

Wie unbeteiligt

Tee bemerkt dazu, dass die meisten anderen Polizisten mit irgendetwas beschäftigt sind. Nach dem ersten Chaos scheint Nervosität am Tatort zu vorzuherrschen. Einzig der Passant in der blauen Jacke ist "in nichts involviert" und spricht in völliger Ruhe mit einem anderen Polizisten, der augenscheinlich eine Leitungsfunktion innehat.

Kurz darauf endet das Video der BPE. Zuletzt sieht man den Mann in der blauen Jacke noch an derselben Stelle stehen, die ihm von dem Polizisten zugewiesen wurde. Während der gesamten Zeit macht der Passant einen entspannten und ruhigen Eindruck. In den kurzen Momenten, in denen er sich mit dem Gesicht zur Kamera wendet, sind weder Unruhe noch Angst zu erkennen. Körperhaltung und Körpersprache signalisieren routinierte Gefasstheit, als ob es kein besonderes, außergewöhnliches Vorkommnis gegeben hätte. Obwohl der Passant am Handgemenge um den Attentäter beteiligt war und sogar die Tatwaffe zu fassen bekommen hatte, scheinen diese Umstände weder für ihn noch für die anwesenden Polizisten irgendeine Rolle zu spielen. A. konnte sich nur befreien – und dann auf L. einstechen –, weil der Mann in der blauen Jacke in das Geschehen eingegriffen hat, wie Tee feststellte.

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