Gesellschaft

Krieg ist schick? Kiewer Fotoshootings (auch deutscher) Promis werfen Fragen auf

Kiew hat in den letzten Monaten viel prominenten Besuch gehabt, der sich mit Selenskij vor der Kriegsszenerie fotografieren ließ. Nun haben sich die Bundesminister Nancy Faeser und Hubertus Heil (beide SPD) fröhlich lachend mit Witalij Klitschko ablichten lassen. In sozialen Netzwerken wird gefragt, ob das der Lage angemessen ist.
Krieg ist schick? Kiewer Fotoshootings (auch deutscher) Promis werfen Fragen aufQuelle: www.globallookpress.com © Christophe Gateau/dpa

Seit sich die russische Armee Ende März aus den Vororten von Kiew zurückgezogen hat, pilgern westliche Politiker und Prominente in Scharen in die ukrainische Hauptstadt. Ein anderer Sinn als ein gelungenes Foto mit oder ohne Selenskij vor der Kriegskulisse steckt kaum dahinter.

Wer hat sich nicht schon alles mit Selenskij in Kiew gezeigt. Der vor kurzem noch amtierende britische Regierungschef, der deutsche Bundeskanzler, die deutsche Außenministerin... Aber auch Sterne und Sternchen aus Hollywood stehen in Kiew Schlange, um ihren Schauspielerkollegen zu seiner bisher besten Rolle zu beglückwünschen.

Nun war die Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) in Begleitung des Bundesarbeitsministers Hubertus Heil (ebenfalls SPD) am Montag dort und ließ sich mit Kiews Oberbürgermeister, dem früheren Boxweltmeister Witalij Klitschko, auf dem Balkon der deutschen Botschaft ablichten. Das Foto zeigt die drei Politiker und die Diplomatin gut gelaunt mit Champagnergläsern in den Händen, gefüllt mit etwas mutmaßlich Alkoholhaltigem. Insbesondere die beiden Damen lachen freudig in die Kamera. 

Die Frage, welche Anliegen ausgerechnet die Innenministerin und den Arbeitsminister in die ukrainische Hauptstadt geführt haben, geriet angesichts der fröhlichen Stimmung, die die Aufnahme dokumentiert, in den Hintergrund. In den sozialen Netzwerken macht das Foto, ergänzt um hämische Kommentare, die Runde. 

So kommentiert beispielsweise der Twitter-Nutzer mit dem Pseudonym "Spasskultur, Systemelefant" das Bild mit den Worten "Spass im Job mit Fancy Nancy" und legt den drei Deutschen in Sprechblasen Kommentare in den Mund, die andeuten sollen, dass ein Bomben- oder Artillerietreffer sie so fröhlich gestimmt hätte: 

"Boom! Getroffen! Sauber!"  

Der Nutzer OliverSK aus Berlin alias "Illy-Land" kommentiert die Aufnahme etwas ernsthafter und fragt: 

"Sehe ick dit richtig, daß die im Kriegsgebiet lächelnd auf Balkonien Sekt schlürfen? Oder habe ick wat an den Augen?"

Der Nutzer "Storymakers" greift eine andere Aufnahme mit Faeser auf und fragt: 

"Warum werden internationale Politiker auf Besuch in der #Ukraine immer vor derselben Ruine fotografiert?"

Auf dem Foto setzt sich Faeser - anders als alle Umstehenden - mit kugelsicherer Weste in Szene. Immerhin lacht sie hier nicht.

Gut gelaunt waren die beiden Minister übrigens nicht nur auf dem Balkon der deutschen Botschaft, wie eine weitere dpa-Aufnahme zeigt, die am 26. Juli im Regierungsflieger entstand. Es scheint in den Verantwortungsbereichen Inneres und Arbeit derzeit alles fantastisch zu laufen in Deutschland.

Doch nicht nur in sozialen Netzwerken müssen sich Faeser und Heil Kritik und Häme anhören: Auch Fachmedien stellen inzwischen Fragen. So titelt beispielsweise KOM - Magazin für Kommunikation am Mittwoch "Lachen in Kiew" und kommentiert: 

"Das Foto einer Bundesministerin und eines Bundesministers, die in so einer Situation entspannt auf einem Balkon stehen, Alkohol trinken und lachen, erzeugt automatisch eine negative Wirkung. Es schadet den Ministern. Es wirkt wie Kriegstourismus. Wie Sightseeing in einem von schwerem Leid getroffenen Land, das man besucht, um empathisch und solidarisch zu erscheinen und als willkommenen Nebeneffekt mediale Berichterstattung zu produzieren. Im Interesse ihrer Minister hätten Heils und Faesers Presseteam dafür sorgen müssen, dass solche Fotos nicht entstehen, indem sie beispielweise die Minister für die Wirkung solcher Bilder sensibilisieren oder die Fotografen bitten, sich in dem recht privaten Rahmen in der Residenz auf bestimmte Fotomomente zu beschränken."

Tendenziell nimmt das Magazin die Bundesminister jedoch in Schutz:

"Die Aufregung um Faesers Lachen lohnt also nicht. Eine andere Frage ist, ob man jeden Schritt einer solchen Reise inklusive Schlafwagen und heldenhafter Rückkehr im Flugzeug fotografieren lassen muss. Was soll das sonst sein außer Inszenierung?"

Ähnliche Fragen, die sich deutsche Twitter-Nutzer jetzt stellen, stellen sich die Kritischeren der Ukrainer ob der PR ihres Präsidenten schon länger. Selenskij, der seit dem 24. Februar in keiner anderen Aufmachung als unrasiert in immer demselben quasimilitärischen T-Shirt zu sehen war, gab schon mehrfach das hippe Fotomodell für in- wie ausländische Lifestyle-Zeitschriften. 

Anfang April ließ er sich auf der Treppe des Präsidentenpalastes in der Pose von Rodins "Denker" ablichten. Natürlich in besagtem grünen T-Shirt. 

Mit diesem und ähnlichen Auftritten erregte Selenskij Unmut selbst unter seinen Anhängern, so dass nun seine Ehefrau auf Werbetour geht und in Fotoshootings in den Vordergrund rückt. Diese Woche war es die Zeitschrift "Vogue", für die Elena Selenskij Modell stand.

Von dem Shooting hat Vogue gar ein Video veröffentlicht: 

Was soll ein Leser eingedenk von täglich Hunderten Kriegstoten über solche Hochglanzfotos und teils clownesken Inszenierungen denken? Vielleicht, dass den Protagonisten die eigene PR weit näher liegt als die blutigen Hintergründe vor denen sie geschieht.

Mehr zum Thema - Scholz, Kiew und eine Zugfahrt ohne erhoffte Bedeutung

Durch die Sperrung von RT zielt die EU darauf ab, eine kritische, nicht prowestliche Informationsquelle zum Schweigen zu bringen. Und dies nicht nur hinsichtlich des Ukraine-Kriegs. Der Zugang zu unserer Website wurde erschwert, mehrere Soziale Medien haben unsere Accounts blockiert. Es liegt nun an uns allen, ob in Deutschland und der EU auch weiterhin ein Journalismus jenseits der Mainstream-Narrative betrieben werden kann. Wenn Euch unsere Artikel gefallen, teilt sie gern überall, wo Ihr aktiv seid. Das ist möglich, denn die EU hat weder unsere Arbeit noch das Lesen und Teilen unserer Artikel verboten. Anmerkung: Allerdings hat Österreich mit der Änderung des "Audiovisuellen Mediendienst-Gesetzes" am 13. April diesbezüglich eine Änderung eingeführt, die möglicherweise auch Privatpersonen betrifft. Deswegen bitten wir Euch bis zur Klärung des Sachverhalts, in Österreich unsere Beiträge vorerst nicht in den Sozialen Medien zu teilen.

Am 24. Februar kündigte der russische Präsident Wladimir Putin an, gemeinsam mit den Streitkräften der Donbass-Republiken eine militärische Spezialoperation in der Ukraine zu starten, um die dortige Bevölkerung zu schützen. Die Ziele seien, die Ukraine zu entmilitarisieren und zu entnazifizieren. Die Ukraine spricht von einem Angriffskrieg. Noch am selben Tag rief der ukrainische Präsident Wladimir Selenskij im ganzen Land den Kriegszustand aus.
Der Westen verurteilte den Angriff, reagierte mit neuen Waffenlieferungen, versprach Hilfe beim Wiederaufbau und verhängte Sanktionen gegen Russland.
Auf beiden Seiten des Konfliktes sind zahlreiche Soldaten und Zivilisten getötet worden. Moskau und Kiew haben sich gegenseitig verschiedener Kriegsverbrechen beschuldigt. Tausende Ukrainer sind mittlerweile aus ihrer Heimat geflohen.