Nach der irritierenden Neuregelung, die Gültigkeit des Genesenenstatus von sechs auf drei Monate zu reduzieren, wächst der Unmut betroffener Bürger in Deutschland. Da sich auch Juristen, Virologen und Mediziner kritisch bis sogar ablehnend zur Entscheidung des Robert Koch-Instituts (RKI) vom 15. Januar äußern, fühlen sich immer mehr Bürger bestärkt, juristisch gegen ihre individuelle Einschränkung im Alltag vorzugehen.
Eine Juristin hat nun exemplarisch vor Gericht zwei individuelle Anklageschriften eingereicht. In einem Artikel für Cicero Online legte die Mainzer Rechtsanwältin Jessica Hamed ihren Blick auf die juristische Sachlage dar: "Mangels Übergangsfrist und aufgrund der fragwürdigen Regelungstechnik, nach der nunmehr das Robert-Koch-Institut und das Paul-Ehrlich-Institut faktisch über tiefgehende Grundrechtseingriffe qua Festlegung entscheiden, wer den Status 'genesen' oder 'vollständig geimpft' zugesprochen oder entzogen bekommt, sind meines Erachtens beide Änderungen rechtswidrig", so Hamed in ihrem Gastbeitrag.
Damit bezieht sich die Anwältin auf eine weitere beschlossene Neuregelung, die Aberkennung des Geimpftenstatus für einmal mit Johnson & Johnson geimpfte Bürger. Hamed konnte für ihre Mandanten bisher einen Eilantrag gegen die Verkürzung des Genesenenstatus erstreiten. Auch zu den Betroffenen der Johnson & Johnson-Regelung konnte sie erste Ergebnisse hinsichtlich einer dementsprechenden Klage vorweisen:
In beiden Fällen hat nun das Verwaltungsgericht Berlin darüber zu entscheiden, ob die Verordnung sowie die Regelungstechnik, dass die Modalitäten der Entscheidung seitens der Politik an das RKI und das PEI gerichtet werden, generell rechtsmäßig sind. Hameds Kritik:
"Darüber hinaus drängt sich der Verdacht auf, dass eine unliebsame, aber politisch gewollte Entscheidung unter dem Deckmantel der Wissenschaft der Bevölkerung als alternativlos verkauft werden soll."
In ihrem Gastbeitrag verwies sie auf eine Äußerung von Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff, der Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach jüngst vorwarf, "das RKI politisch zu instrumentalisieren". "So weitreichende Entscheidungen, wie sie das RKI getroffen hat, erfordern Abstimmung, und sie müssen auf einer soliden wissenschaftlichen Grundlage erfolgen", forderte Haseloff.
Erhebliche Kritik hinsichtlich der jüngsten Dynamiken in den massiven Bürgerrechtseinschränkungen kommt auch von den Wissenschaftlichen Diensten des Deutschen Bundestages. Diese sind eine Institution, die es dem einzelnen Bundestagsabgeordneten ermöglichen soll, sich unabhängig von der Sachkompetenz der Bundesministerien unparteiisch zu bestimmten Themen zu informieren. Die jüngste Veröffentlichung vom 28. Januar trägt den Titel: "Zur Verfassungsmäßigkeit der Regelung des Genesenennachweises durch Rechtsverordnung".
Es stelle sich demnach die Frage, ob "die Materie der Immunitätsnachweise überhaupt per Rechtsverordnung geregelt werden darf". Weiter heißt es, dass "je wesentlicher sich eine Angelegenheit für die Allgemeinheit darstellt, desto stärker ist der parlamentarische Gesetzgeber gefordert und desto detaillierter und bestimmter muss die gesetzliche Regelung ausgestaltet sein". Zu beachten sei daher unbedingt:
"Die Wesentlichkeit bestimmt sich demnach
vor allem danach, inwieweit eine Maßnahme in Grundrechte des Einzelnen eingreift oder für die Verwirklichung von Grundrechten bedeutsam ist."
Des Weiteren hinterfragt das Dokument überraschend offensiv die Definitionen und daraus resultierende Argumentationsfreiräume seitens des weiterhin gültigen Infektionsschutzgesetzes (IfSG). Unter dem Abschnitt "Wesentlichkeitstheorie in Bezug auf § 28c IfSG" wird die Frage gestellt, ob "die Materie der Immunitätsnachweise überhaupt per Rechtsverordnung geregelt werden darf". "Problematisch" erscheine nach Ansicht der Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages, dass:
"die Norm keine Kriterien dazu vorgibt, wann eine Immunisierung vorliegt, durch wen diese festgestellt wird, wie lange sie gilt und welche Ausnahmen möglich sind. Aufgrund der hohen Grundrechtsrelevanz erscheint das vollständige Überlassen der Regelung dieser Frage an die Exekutive kritisch".
Die Mitteilung zitiert mehrere Rechtswissenschaftler, die sich im Rahmen einer öffentlichen Anhörung des Gesundheitsausschusses am 16. April 2021 zu den IfSG-Vorgaben geäußert haben. Der deutsche Rechtswissenschaftler Thorsten Kingreen stellte demnach klar: "Freiheitsrechte für Personen, bei denen von einer Immunisierung auszugehen ist, können aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht in exekutives Ermessen gestellt werden. Sie gelten." Zusammenfassend kommen die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages zu der kritischen Erkenntnis:
"In diesem Sinne dürfte es besonders kritisch zu sehen sein, dass nach der Änderung der Ausnahmenverordnung selbst die Bundesregierung als Verordnungsermächtigte wesentliche Aspekte der Regelung zum Genesenennachweis nicht mehr selbst regelt, sondern dies einer weiteren Stelle, nämlich dem RKI, überlässt."
Als Fazit heißt es, dass "die Verweisung auf eine Internetseite in § 2 Nr. 5 der Ausnahmenverordnung jedoch aus verschiedenen Gründen problematisch" erscheine. Die Regelung der Immunitätsnachweise mittels Rechtsverordnung sei hinsichtlich der Anforderungen der Wesentlichkeitslehre daher als "kritisch zu bewerten".
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