Debatte zur Impfpflicht: Der Bundestag schwebt hoch über dem Land ...

Drei Stunden Debatte, und fast alle reden davon, nur die Impfung könne von den Maßnahmen befreien, und tun so, als hätten sie mit den Maßnahmen nichts zu tun. Die Stimmung im Land nehmen sie nicht wahr. Den realen Demokratieverlust auch nicht.

von Dagmar Henn

Drei Stunden debattierte der Bundestag gestern über die Frage der Impfpflicht. Manche der Abgeordneten verstiegen sich gar zu der Bemerkung, es handele sich um eine Sternstunde der Demokratie, nur weil sie für die Debatte ausnahmsweise vom Fraktionszwang befreit waren. Es war aber das Gegenteil: ein Schaulaufen in Verantwortungsverweigerung.

Denn fast allen Debattenbeiträgen für eine Impfpflicht war eines gemein, egal, ob das Ergebnis nun eine Impfpflicht ab 18 oder erst eine ab 50 war: Sämtliche Maßnahmen wurden behandelt, als habe sie eine Gottheit oder ein Raumschiff voller Aliens vom Himmel herabgeworfen, als gebe es niemanden, der sie beschlossen hat, keine Notwendigkeit, sie zumindest zu überprüfen oder über das Verhältnis zwischen Nutzen und Schaden nachzudenken. Trotz unzähliger Studien, die die erforderlichen Informationen vorlegen, seitens der Krankenkassen beispielsweise.

Nun wurde also in epischer Breite die Impfpflicht als Erlösung von den Maßnahmen gepriesen. Von Maßnahmen, die in all ihrer Widersprüchlichkeit, bis hin zur offensichtlichen Unsinnigkeit, von ebendiesem Bundestag immer in breiter Mehrheit gestützt worden waren.

"Es gibt nur einen einzigen Gegner in dieser Pandemie, und das ist das Virus", erklärte die SPD-Abgeordnete Heike Baehrens und behauptete kühn: "Wir sind dabei zumeist mit weniger harten Einschränkungen als in den allermeisten Ländern ausgekommen." Wirklich? Die internationalen Vergleiche sagen etwas anderes. "Die Impfung ist gelebte Solidarität, und das ist genau, was dieses Land braucht: eine Solidaritätsspritze", meinte der SPD-Abgeordnete Rasha Nasr; und natürlich ist es deshalb solidarisch, sich impfen zu lassen, weil dann die Maßnahmen ...

Dabei hat es der Bundestag doch in der Hand, die Maßnahmen zu beenden. Er hat sie eingeführt – und tut jetzt so, als hätte er nichts damit zu tun. Weil die andere, verfassungsrechtlich völlig unbedenkliche Lösung, "aus der Pandemie herauszukommen", den ganzen Maßnahmenzirkus nämlich per Beschluss zu beenden, zur Voraussetzung hätte, das eigene Handeln in diesen zwei Jahren kritisch zu betrachten und Verantwortung für die getroffenen Fehlentscheidungen zu übernehmen. Als Beispiel könnte die Abriegelung der Pflegeheime dienen, die durch die Isolation mehr Todesfälle verursachte als die Krankheit, vor der sie schützen sollte.

Zugegeben, FDP und Linke waren in ihren Redebeiträgen gespalten, teils für, teils gegen die Impfpflicht. Mathias Birkwald von der Linken nannte die Impfpflicht eine "autoritäre Illusion" und wies darauf hin, dass Bußgelder immer eine soziale Schieflage hätten, weil sie es den Reichen erlaubten, sich freizukaufen, die Armen aber womöglich in Erzwingungshaft landen könnten. Gregor Gysi deutete an, die praktische Umsetzung einer Impfpflicht könnte schlicht scheitern. Wolfgang Kubicki von der FDP erklärte: "Einen massiven Grundrechtseingriff mit einer möglichen Mutante im Herbst, die wir noch nicht kennen, und einem Impfstoff, den wir noch nicht haben, zu begründen, sozusagen eine Impfpflicht auf Vorrat, halte ich auch aus rechtlicher Sicht nicht für vertretbar."

Aber dass es die Abgeordneten selbst waren, die die Menschen dieses Landes in eine Gefangenschaft geschickt haben, aus denen sie dann erst die Impfung, dann das Boostern und jetzt die Impfpflicht befreien können soll; dass also der Gefängniswärter, der den Schlüssel besitzt, immer neue Anforderungen stellt, um die Zelle zu öffnen, aber dabei gleichzeitig vom Schlüssel in seiner Hand ablenkt – diese grundsätzliche Pervertierung jeder Vorstellung von Volksvertretung kam kaum zur Sprache. Nach wie vor besitzt niemand von jenen, die die Maßnahmen beschlossen hatten, den Mut, zumindest zuzugestehen, dass an vielen Stellen nur unnütze Quälereien über die Menschen verhängt wurden, wie Maskenpflicht in kalten Klassenzimmern.

Der einzige Abweichler bei der CDU/CSU, der Abgeordnete Tino Sorge, schaffte es zumindest, eine einfache Wahrheit auszusprechen: "Niemand, gerade bei den Bürgern, hat Lust, sich alle drei oder vier Monate boostern zu lassen." Und er erklärte: "Solange kein Instrument mit absolutem Schutz zur Verfügung steht, wäre auch eine absolute Impfpflicht der falsche Weg." Die übrigen Redner seiner Fraktion bemängelten höchstens, dass die Impfpflicht nicht schon längst beschlossen wurde, und forderten für die Umsetzung dieser Impfpflicht ein zentrales Impfregister.

Sogar die reichlich bizarre Argumentation der Wohlfahrtsverbände fand ihren Weg in diese Debatte. Diese fürchten mit Blick auf die Folgen der Impfpflicht in Pflegeberufen in den Nachbarländern weitere Personalverluste – ziehen daraus aber nicht die Konsequenz, diese berufsbezogene Impfpflicht zu bekämpfen, weil sie das Problem verschärft, sondern fordern als Lösung eine Impfpflicht für alle. Als würde das die Pflegekräfte dann animieren, in den Beruf zurückzukehren. Als Stimme der Pflegeheimbetreiber betätigte sich der SPD-Abgeordnete Takis Mehmet Ali.

Die Restlinke im Bundestag hat es wieder einmal vor lauter vorauseilender Regierungsfähigkeit versäumt, die sozialen Fragen jenseits des Bußgelds auch nur aufzuwerfen. Sie überließ das bereitwillig Alice Weidel von der AfD: "Es gibt andere, vernünftige und zielführende Wege, um die Gesundheitsversorgung aufrechtzuerhalten, zum Beispiel, indem die Gesundheitsminister im Bund und in den Ländern ihren Job machen und für anständige Arbeitsbedingungen, ordentliche Bezahlung und mehr Personal in den Kliniken sorgen." Wie überhaupt Kritik an dem Maßnahmen einzig von der AfD geäußert wurde. Noch mal Weidel: "Sie klammern sich an die Impfpflicht, weil Sie sich komplett verrannt haben, verrannt in eine Politik der Bevormundung und Entrechtung. Zwei Jahre rigide Corona-Politik, gebaut auf falschen Zahlen, manipulierten Statistiken, widersprüchlichen Behauptungen, haben Ihre Glaubwürdigkeit gründlich ramponiert."

Ja, die Glaubwürdigkeit. Damit wird es schon schwierig, wenn auf das Versprechen begrenzter Maßnahmen immer neue Maßnahmen folgen. Wenn man jeden Schritt verweigert, der verlässliche Zahlen ermöglichen würde. Wenn man die Auswahl verfügbarer Impfstoffe nach den Interessen deutscher Konzerne ausrichtet und mit dem Problem der Impfnebenwirkungen alles andere als transparent umgeht.

Gysi ist das Glaubwürdigkeitsproblem auch aufgefallen. Er hat es allerdings geradezu zwanghaft staatstragend vorgetragen: "Statt einer Impfpflicht benötigen wir deutlich mehr Vertrauen; sonst wird die Demokratie immer mehr Schaden nehmen. 23,4 Prozent Nichtwählende, 10,3 Prozent AfD-Wählende, und 8,7 Prozent wählten bewusst Parteien, die nicht in den Bundestag einziehen – sie alle, alle diese Gruppen, sind fertig mit der etablierten Politik, und zwar von der CSU bis einschließlich der Linken. Darüber müssten wir uns sehr viel mehr Gedanken machen. 37,5 Prozent der Bevölkerung vertrauen der etablierten Politik nicht mehr." Sein Lösungsvorschlag? "Überwindung des Lobbyismus".

Weniger weichgespült hätte das ein Ansatz für eine gute Oppositionsrede sein können. Denn man könnte hinzufügen, dass dieser Vertrauensverlust ebenso wenig vom Himmel gefallen ist wie die Maßnahmenpakete und dass er schon statistisch nicht darauf beruhen kann, dass die Bevölkerung zu dumm sei, die weisen Entscheidungen der Regierung zu verstehen. Da hätte man darauf hinweisen können, dass die Maßnahmen sich im Geldbeutel wie auch bei der Lebensfreude der Menschen unangenehm bemerkbar machen. Man hätte die ungezählten Korruptionsskandale erwähnen können, das komplette organisatorische Versagen, die soziale Schieflage vieler Maßnahmen.

Aber die Linke sitzt tief im Burgfrieden der Pandemie, will jetzt Lobbyismus "überwinden", statt ihn zu bekämpfen, so wie sie die NATO "überwinden" will, hat sich zum Glauben an die Wohltätigkeit der Pharmakonzerne bekehren lassen und säuselt, wenn überhaupt, nur leise Kritik am Maßnahmenregime. Denn natürlich gilt die gleiche Kritik der sozialen Unausgewogenheit genauso für all die Hunderttausenden Bußgelder, die wegen Spaziergängen, nicht getragener Masken, nicht eingehaltener Abstände oder ähnlichen Unfugs verhängt wurden.

Eine Sternstunde der Demokratie? Davon sind wir weit entfernt. Diese Demokratie ist schwer angeschlagen; das zeigt sich täglich in ihrem Umgang mit dem absolut grundlegenden Recht der Versammlungsfreiheit. Die mittlerweile beeindruckend großen Proteste gegen die Maßnahmen fanden nicht den leisesten Widerhall in dieser Debatte; die einzige Reaktion, die die Politik bisher zu bieten hat, ist die Suche nach immer neuen Wegen, sie zu erschweren oder unmöglich zu machen. Es geht längst um Tausende Demonstrationen jede Woche, mit Hunderttausenden Teilnehmern; Pflegekräften und Medizinern ebenso wie Bauarbeitern und Lastwagenfahrern, Musikern und Buchhaltern.

Für den Bundestag und seine Debatten hat das alles keine Bedeutung. Dabei beginnt erst dann, wenn diese Stimmen gehört werden und die Maßnahmen fallen, die Rückkehr zur Demokratie; Sternstunden wären erst zu erwarten, wenn die Schäden des Corona-Notstands behoben sind. Ob der Bundestag nun über eine Impfpflicht ab 50 oder ab 18 debattiert, oder selbst, wenn er sie beschließt, ändert daran nichts.

RT DE bemüht sich um ein breites Meinungsspektrum. Gastbeiträge und Meinungsartikel müssen nicht die Sichtweise der Redaktion widerspiegeln.

Mehr zum Thema - Medizinerverein von Sucharit Bhakdi macht Kritik an Pandemiedarstellung in Medien öffentlich

Information:

Sicherheit und Wirksamkeit der Corona-Impfstoffe sind umstrittene Themen. Zahlreiche Experten in Wissenschaft, Politik und Medien schätzen diese als sicher und effektiv ein, da sie das Risiko einer schweren COVID-19-Erkrankung weitgehend verhindern und die Vorteile einer Corona-Impfung die Risiken und Nebenwirkungen überwiegen. Langzeitnebenwirkungen der Impfungen sind generell nicht bekannt. Nebenwirkungen wie der ADE-Effekt (antibodydependent enhancement, auf Deutsch: infektionsverstärkende Antikörper) wurden bisher bei weltweit Milliarden verabreichter Impfstoff-Dosen nicht berichtet. Auch, dass Gensequenzen von beispielsweise mRNA-Vakzinen in die menschliche DNA eingebaut werden, gilt unter zahlreichen Experten als ausgeschlossen. Stellungnahmen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) und der bundesdeutschen Ständigen Impfkommission (STIKO) beim Robert Koch-Institut (RKI) lassen sich hier und hier nachlesen.