Hunde sind mehr als nur sprichwörtlich die "besten Freunde des Menschen", sie bringen viel Freude und – wie die meisten Tiere – Unterhaltung sowie Ablenkung vom Alltag. Auch Videos und Geschichten von Katzen und anderen Tieren hatten als Gegenpol zu besorgniserregenden Nachrichten und allgemeinem Stress während der COVID-19-Pandemie Hochkonjunktur. Tiere schenken Trost, und nicht umsonst kommen sie sogar dienstlich als "Komfort-Tiere" für traumatisierte Menschen zum Einsatz. Auch andere Tiere, etwa Kühe, werden zunehmend wegen ihrer gesundheitsförderlichen Eigenschaften in den Dienst der Menschen gestellt. Hunde verlängern Langzeitstudien zufolge sogar das Leben ihrer Halter und haben nach neuesten Erkenntnissen bereits ab der Geburt besondere soziale Fähigkeiten.
Gerade während der Corona-Krise ist ein massiver Boom entstanden, in den Medien wurde vor einer drohenden “Haustier-Blase” gewarnt, Gesetzgeber in Großbritannien sahen sich veranlasst, dem zunehmenden Tierdiebstahl stärker entgegenzuwirken, während hierzulande der Fiskus Rekordeinnahmen von mehr als 330 Millionen Euro in den ersten drei Quartalen 2020 durch Hundesteuer verzeichnete. Doch nicht in allen Fällen sind Menschen auch die besten Freunde der Tiere.
Angesichts der entspannteren Corona-Lage geht die Nachfrage langsam an einigen Stellen zurück, auch könnten zahlreiche Abgaben der vierbeinigen Mitbewohner damit einhergehen. "Die Tierheime berichten bereits von einigen 'Corona-Abgaben'", sagte Lea Schmitz, Sprecherin des Deutschen Tierschutzbundes, der Deutschen Presse-Agentur in Berlin. Eine größere Abgabewelle gibt es laut Schmitz noch nicht, doch die Sorge sei groß. Im Berliner Tierschutzverein sind bereits Tiere gelandet, die erst während der ersten Corona-Welle zu den neuen Haltern gekommen waren, und die Tendenz ist demnach eher düster:
"Wir sind uns leider sehr sicher, dass wir Ende des Jahres die Tierheime bis unters Dach mit abgegebenen Tieren voll haben werden", so Annette Rost vom Berliner Tierschutzverein.
Das Tierheim in der Hauptstadt mit einer Fläche von 16 Hektar, 180 festangestellten Mitarbeitern und über 600 Ehrenamtlichen gilt als das größte Europas. Eine ähnliche Entwicklung zeigt sich zum Beispiel in München. In den letzten Wochen habe man bereits einige Tiere aufnehmen müssen, "die von bisherigen Haltern erst während der letzten zwölf bis 14 Monate, also während der Pandemie, neu angeschafft wurden", sagte eine Sprecherin des dortigen Tierschutzvereins.
Soziale Isolation als Motivation für Tierkauf
Eine der vorrangigen Motivationen für die massenweisen Anschaffungen von Haustieren in der Pandemie ist wohl auf die soziale Isolation und gefühlte Einsamkeit zurückzuführen, erklärt Rost im Gespräch mit RT DE. Und die Crux sei dabei unter anderem, dass Tiere menschliche Sozialpartner nicht ersetzen können. Auch hat die COVID-19-Pandemie den illegalen Welpenhandel "noch mal maßgeblich in einer ganz katastrophalen Art und Weise befördert".
Da bundesweit Tierschützer an ihre finanziellen, kapazitiven und emotionalen Grenzen gerieten, organisierten zahlreiche Vereine und Landestierschutzverbände mit Tierschutzpartnern die Kampagne "Süße Ware, schneller Tod: Welpenhandel stoppen!" Sehr viele Menschen wollten während der Pandemie auf einmal einen Hund haben, und viele wollten insbesondere Welpen, sodass seriöse Züchter oder Hundevereine schon früh "komplett leer" waren. Züchter hatten sehr lange Wartelisten und haben angesichts einer so immensen Nachfrage teilweise nicht einmal mehr das Telefon beantwortet. Daraufhin haben Menschen teils dieselbe Bezugsquelle wie für ihre Kleidungsteile gewählt – das Internet. Dadurch wurde der illegale Handel mit Welpen enorm beflügelt, der angesichts hoher Preise ein lukratives Geschäft ist und mit dem gleichzeitig ein unglaubliches Tierleid einhergeht, so Rost.
Die Muttertiere müssen, teils nur in Verschlägen untergebracht, einen Wurf nach dem nächsten produzieren. Oft aus Osteuropa werden die Welpen dann viel zu früh von der Mutter weg genommen, in bedenklichen Umständen wie Ware über die Grenze geschmuggelt und hier teuer verkauft. Dahinter stecken mitunter geradezu mafiös agierende Netzwerke, wie Theresa Gessert vom Hamburger Tierschutzverein von 1841 e.V. erklärt. Zwar sieht das Gesetz den Schutz von Tieren vor. Für das Aussetzen und die Vernachlässigung können laut Tierschutzgesetz hohe Geld- oder gar Freiheitsstrafen verhängt werden. Allerdings wird das Tierschutzgesetz laut Gessert "zu milde und zögerlich, wenn überhaupt angewendet". Sie betont, dass dabei auch Beamte teils "Opfer ihres Systems" sind und es von den Behörden unterschiedlich gehandhabt wird. Eine Aktion, die sich direkt an das zuständige Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft wandte, kam in dieser Woche nicht zustande, weil das Ministerium einen geplanten Termin kurzfristig absagte.
Derweil sind Tierheime geradezu die "Auffangbecken" für die Folgen eines unbegrenzten Welpenhandels, so Gessert. Dieses Geldgeschäft mit fühlenden Lebewesen als Waren ist aus vielen Gründen problematisch – auch, weil bei solchen Käufen keine Beratung stattfindet. Die Tiere haben ihr eigenes Wesen, ihre eigene Persönlichkeit, die in Erfahrung gebracht werden sollte, bevor entschieden wird, ob das Tier überhaupt zu einem passt, so Gessert – ob es zum Beispiel eher aktiv ist und viel Bewegung braucht oder kuschelig und kinderlieb oder gar traumatische Vergangenheit hat.
Plattformen wie Ebay-Kleinanzeigen seien daher keine gute Quelle, sondern eher ein "Teil des Grundproblems", warnt Gessert, da keinerlei seriöse Kontrolle über Anzeigen und die Händler dahinter stattfindet. "Wenn dort Menschen gutgläubig niedliche Welpen beziehen möchten, haben sie wohl keine böse Vermutung", doch die Unterscheidung, wann es sich um illegale Händler handelt, ist schwer möglich. "Letztendlich ist es nichts anderes als ein Online-Flohmarkt, und auf einem Flohmarkt würden viele Menschen auch nicht einfach ein Tier kaufen", so Gessert. In einer Petition sprechen sich einige Menschen gegen den Handel mit Tieren auf der Plattform aus.
Vielen sei nicht klar, dass die Folgekosten bei dem Kauf aus illegalen Quellen astronomisch werden können, erklärt Rost. Auch, weil Tiere aus dem illegalen Welpenhandel viel zu früh von den Muttertieren getrennt werden und sie dadurch keine vernünftige Immunabwehr aufbauen, sie medizinisch nicht versorgt und teils nicht einmal entwurmt wurden, erleiden die Tiere nicht nur psychische Folgen, die sich ebenfalls in Verhaltensstörungen äußern können, sondern leicht vermeidbare und mitunter schwerwiegende Krankheiten. Die Parvovirose ist eine davon und laut Rost in 50 Prozent der Fälle tödlich, die Behandlung teuer.
"Unfassbare Verantwortungslosigkeit und Respektlosigkeit gegenüber Lebewesen"
Bei der Anschaffung werde insgesamt nicht immer langfristig zugunsten des Tiers gedacht, das man auch noch hat, wenn die Corona-Krise lange vorbei ist, kritisiert Rost. Zwar handeln viele Menschen verantwortungsvoll, haben sich im Vorhinein informiert und die Umstände auf Zukunftstauglichkeit geprüft. Doch andere haben sich einfach aus einer Laune oder der Einsamkeit heraus ad hoc einen kleinen Vierbeiner in ihr Leben geholt und nicht bedacht, was beispielsweise passiert, wenn sie nicht mehr im Homeoffice sind und das Tier nicht mit zur Arbeit kommen kann, oder aber auch, wenn man mit Freunden wieder ausgehen kann.
Laut der britischen Tierschutzorganisation RSPCA geht mit den Lockerungen ohnehin eine "Krise" für die zahlreichen Haustiere einher, weil viele daran gewöhnt seien, ihre Bezugsperson ständig um sich zu haben. Einige Halter realisieren laut Rost zudem erst spät, dass ein Hund nicht mit zur Arbeit, in jede gastronomische Einrichtung oder auf Reisen kann, oder dass Tierpensionen – wie auch die Haltung insgesamt – mehr Geld kosten als erwartet. Perspektivisch sei dies mit jedem Schritt absehbar, der wieder mehr "Normalität" erlaube. Dann erscheine der süße Corona-Begleiter womöglich plötzlich als lästig.
Bei den bisherigen Corona-Rückgaben, so Rost, ist dieses Phänomen bereits zu verzeichnen. Da haben sich während der ersten Pandemie-Welle die Besitzer Welpen angeschafft, "aber überhaupt nicht damit auseinandergesetzt". Beispielsweise schien dabei Frage, was aus Welpen wird, wenn sie ausgewachsen sind, offenbar vergessen worden zu sein. Und aus den süßen kleinen Tierchen können dann stattliche Hunde werden, die auch entsprechende Ansprüche haben, die der Charakter des Hundes dann mitbringt. "Und wenn ich dem nicht gerecht werde, wird der Hund mit Verhaltensauffälligkeiten reagieren", so Rost. Dies war bei den abgegebenen Corona-Hunden der Fall.
Die Aufgabe kann sehr hart sein für die Tiere. Einige Hunde stellen laut Rost das Fressen ein, weil sie von einer so großen Traurigkeit erfasst werden und es für sie ein traumatisches Erlebnis ist, vom Besitzer zurückgelassen zu werden. Nur mit viel Mühe können solche Tiere von den Pflegen wieder zum Fressen gebracht und ihnen etwas Hoffnung gegeben werden. Immerhin konnte der Berliner Tierschutzverein von sechs abgegebenen Hunden bereits fünf in ein gutes Zuhause vermitteln, ein Hund suche noch.
Doch steht die Feriensaison noch bevor. Nach Einschätzung der Tierschutzstiftung "Vier Pfoten" werden erfahrungsgemäß Hunde vermehrt um die Urlaubssaison abgegeben. Auch Gessert erklärt, dass Ferienzeiten die kritischen Phasen sind, in denen mit mehr "Abgaben" von Tieren zu rechnen ist und Tiere auch immer wieder ausgesetzt werden. Teils trauen sich Halter nicht oder schämen sich beim Gang zum Tierheim, oder aber die kleine, bei der Abgabe übliche Schutzgebühr ist es ihnen nicht wert, denn, so Gessert zu RT DE: "Leider sind einigen Haltern die Tiere derart egal, dass sie sie lieber entsorgen." Die Tiere landen dann zum Beispiel achtlos im Busch oder sogar im Müllbeutel, was die Gefahr birgt, dass die Tiere ersticken oder in der Müllpresse landen.
Zwar ist für alle Tiere die Abgabe auch im Tierheim traumatisch, da sie ihre Bezugsperson verlieren. Auch Gessert kennt es, dass die Tiere dann aus Trauer nicht mehr fressen, das Vertrauen in Menschen verlieren, passiv oder gar aggressiv werden, weil sie so verunsichert sind und vielleicht unschöne Erfahrungen gemacht haben – "Tiere können ja nicht sprechen".
"Der Verlust ihrer Bezugsperson geht mit Kummer einher, den man sieht. Das macht was mit Tieren", so Gessert.
Doch so traurig es für die Vierbeiner ist, eine Abgabe an Tierheime sei nicht ganz so entsetzlich wie das Aussetzen – und dabei wird der Halter deshalb nicht "verurteilt". Auch Rost betont, dass bei der Abgabe eines Tiers im Heim keinerlei Rechtfertigung notwendig ist. Nur ist es hilfreich, damit der Hund sich einfinden kann, so viele Informationen wie möglich insbesondere zu medizinischen Konditionen wie Allergien oder Vorerkrankungen des Tiers zu bekommen. Dies bringe auch bessere Aussichten für die Vermittlung.
"Deshalb ist es sehr feige, wenn Menschen sich entschließen, das Tier auszusetzen", dies sei eine "unfassbare Verantwortungslosigkeit und Respektlosigkeit gegenüber dem Lebewesen". Denn wenn ein ausgesetztes Tier kommt, wissen die Pfleger nichts darüber – nicht einmal den Namen, auf den gerade Hunde stark reagieren.
Nach Informationen des Kölner Tierschutzvereins können sich Einrichtungen meist "nur schlecht" auf eine mögliche Abgabewelle vorbereiten. Sollten die Befürchtungen eintreffen, sei nicht auszuschließen, dass einzelne der mehr als 550 Tierheime in Deutschland die Tiere nicht sofort aufnehmen könnten. Doch selbst wenn ein Heim ein Tier nicht aufnehmen kann, gibt es "zum Glück" ein sehr gutes Netzwerk, die "Tierheime unterstützen sich in vorbildlicher Weise gegenseitig", auch unabhängig von der Pandemie gibt es eine große Solidarität, so Rost. Doch wer sich die Corona-Zeit mit einem Welpenkauf erträglicher machen wollte, steht nun vor "unbedachten Herausforderungen", wie die Sprecherin von "Vier Pfoten" sagte. "Die Leidtragenden sind stets die Tiere."
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