"Ich kann bestätigen, dass dies authentisch ist", erklärte WikiLeaks-Chefredakteur Kristinn Hrafnsson aus Reykjavik am Donnerstag in Bezug auf eine Aufnahme von Assanges Gespräch mit Cliff Johnson, einem Juristen des US-Außenministeriums, die vom konservativen Nachrichtenmedium Projekt Veritas Anfang dieser Woche veröffentlicht wurde.
"Dies sollte enormes Gewicht haben", wenn es um Assanges Auslieferung geht, fügte der isländische Enthüllungsjournalist hinzu. Es gehe um "absolut überwältigende Beweise gegen die US-Klage in ihrer Gesamtheit":
"Der Aufnahme sollte enormes Gewicht zugemessen werden: Im Wesentlichen verwirft sie das Argument, das Teil des Narrativs des Justizministeriums und der Anklage ist und das sie benutzen, um von Großbritannien Assanges Auslieferung zu erwirken. Dabei geht es um unverantwortliches Verhalten und Gefährdung von Menschenleben."
Während die Weltöffentlichkeit die vollständige Aufnahme erst jetzt hören konnte, enthüllte Hrafnsson, dass sie den britischen Gerichten im September zur Verfügung stand und daher in die Entscheidung über die Auslieferung von Assange an die USA hätte einfließen müssen:
"Nun ist dieses Beweismaterial, das Sie gehört haben und von dem ich bestätigen kann, dass es echt ist, für die britischen Gerichte keine Neuigkeit. Ein Transkript dieser Unterhaltung wurde dem Gericht im September vorgelegt. Es zeigt, dass Julian Assange nicht untätig blieb und versuchte, die Veröffentlichung der unredigierten Nachrichten zu verhindern.
Das Projekt war zu diesem Zeitpunkt um neun Monate fortgeschritten. Obwohl WikiLeaks die Veröffentlichung dieser diplomatischen Nachrichten in Kooperation und mithilfe von über 100 Partnermedien sehr sorgfältig überwachte, war dies nicht der Kontrolle durch Julian oder WikiLeaks unterworfen. Dies war ein Akt des Verrats durch einen ehemaligen Partner und durch ein Partnermedium, den Guardian. Dies sollte eigentlich zeigen, dass größte Vorsicht geübt wurde und man versuchte, Schäden zu vermeiden und eine Mitwirkung zur Vermeidung oder Beschränkung jeglicher Schäden angeboten wurde. Doch dieses Angebot wurde ignoriert. Das US-Außenministerium stellte keinerlei Anfragen bezüglich weiterführender Information an Julian und tat anscheinend nichts auf Grundlage dieser Warnung."
Obwohl WikiLeaks die Nachrichten erst veröffentlichte, nachdem sie auf der US-basierten Webseite Cryptome und einem Pirate Bay Torrent online gestellt worden waren, macht Washington Assange für ihre Veröffentlichung verantwortlich.
Hrafnsson führt dazu aus: "Man darf nicht vergessen, dass der Vorwurf lautet, dass Julian und WikiLeaks im September 2011 50.000 unredigierte diplomatische Nachrichten veröffentlichten. Doch WikiLeaks und Julian waren nicht diejenigen, die zu dieser Zeit die primäre Veröffentlichung dieses Materials vornahmen. Es wurde unwiderlegbar festgestellt, dass cryptome.org, eine Internetseite mit Sitz in den USA, die primäre Veröffentlichung vornahm. Die sekundäre nahm pirate bay über einen torrent-Verteiler vor. Und erst danach legte WikiLeaks den gesamten Nachrichtenfundus online offen."
Die Aufnahme zeigt deutlich, dass Assange das US-State Department unter Außenministerin Hillary Clinton vor der Bereitschaft eines ehemaligen Mitarbeiters von WikiLeaks gewarnt hatte, die Nachrichten der US-Diplomaten ohne Redaktion oder Schwärzung veröffentlichen zu wollen. Außerdem bot Assange Hilfe bei der Begrenzung eines möglichen Schadens an. Doch "das Angebot wurde ignoriert", so Hrafnsson gegenüber RT. Das US-Außenministerium kam nie auf das Gespräch zurück:
"All diese Warnungen an das State Department, die nicht die ersten Warnungen waren, denn es gab fast ein Jahr zuvor ein Kooperationsangebot an das State Department, stehen in völligem Widerspruch zum Narrativ der Anklagen. Und sie zeigen, dass WikiLeaks und Julian Assange bei der Veröffentlichung des Materials sehr verantwortungsvoll vorgingen."
Der WikiLeaks-Mitbegründer suchte im Jahr 2012 Zuflucht in der ecuadorianischen Botschaft in London, weil er, wie sich später herausstellte, zurecht befürchtete, dass die vagen Anschuldigungen seitens Schweden wegen angeblicher sexueller Übergriffe lediglich ein Vorwand waren, um ihn an die USA auszuliefern.
Nachdem sein Asyl im April 2019 widerrufen wurde, wurde Assange festgenommen und in Belmarsh, einem Hochsicherheitsgefängnis im Süden Londons, inhaftiert. Dort ist er nun mit einem COVID-19-Ausbruch und eisigen Temperaturen konfrontiert. Die USA begründeten das Auslieferungsgesuch mit einer Anklage wegen "Verschwörung zum Einbruch in Computersysteme" im Jahr 2010 unter Beteiligung der Geheimdienstanalytikerin der US-Armee Chelsea Manning. Im Fall einer Verurteilung drohen Assange bis zu 175 Jahre Gefängnis.
Versuche, Klarheit darüber zu schaffen, wie die kommende Biden-Regierung den Fall Assange betrachtet, haben bisher nichts gebracht, bemängelte Hrafnsson gegenüber RT. Assanges Anwälte ersuchten offiziell seine Begnadigung durch US-Präsident Donald Trump.
Mehr zum Thema - Offener Brief an Amnesty International Deutschland zum halbherzigen Einsatz für Julian Assange