Gesellschaft

Zur Verteidigung der freien Meinung: Whistleblower-Skulptur "Anything to Say?" in Köln

Der Kölner Karlspreis wurde dieses Jahr an den Journalisten Julian Assange verliehen, sein Vater nahm ihn stellvertretend für den Inhaftierten entgegen. Der italienische Künstler Davide Dormino war geladen, um mit seiner Skulptur "Anything to Say?" einen würdigen Rahmen zu gestalten.
Zur Verteidigung der freien Meinung: Whistleblower-Skulptur "Anything to Say?" in Köln© Felicitas Rabe

Am Freitagnachmittag wurde vor dem Kölner Dom der Kölner Karlspreis für engagierte Literatur und Publizistik der Neuen RheinischenZeitung verliehen. Anneliese Fikentscher von der NRhZ moderierte die Ausstellungseröffnung und die Preisverleihung.

Der Kölner Karlspreis ging in diesem Jahr an die Eventmanagerin und Sängerin Sabiene Jahn aus Koblenz und den australischen Medienaktivisten und Journalisten Julian Assange. Seit elf Jahren lebt Julian Assange in Gefangenschaft, weil er über die Internetplattform WikiLeaks geheime Dokumente veröffentlichte, die US-Kriegsverbrechen belegen.

Stellvertretend für seinen Sohn Julian nahm dessen Vater John Shipton den Preis in Köln persönlich in Empfang. Julian Assange befindet sich seit anderthalb Jahren im Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh in London in Isolationshaft. Ihm droht weiterhin die Auslieferung in die USA, wo ihn eine lebenslange Freiheitsstrafe wegen Hochverrats erwarten würde.

Für einen würdigen Rahmen zur Preisverleihung wurde der italienische Künstler und Bildhauer Davide Dormino aus Rom eingeladen, an diesem Wochenende seine Skulptur Anything to Say? vor dem Kölner Dom zu präsentieren. Mit der Skulptur, die bereits in 15 europäischen Städten ausgestellt wurde, möchte er den drei bekanntesten Whistleblowern unserer Zeit ein Denkmal setzen. Um an die Opfer- und Risikobereitschaft im Kampf um die Presse- und Meinungsfreiheit von Edward Snowden, Chelsea Manning und Julian Assange zu erinnern, hat er diese in Bronze auf Stühlen stehend lebensgroß nachgebildet. Ein vierter, leerer Stuhl lädt das Publikum ein, sich ihnen anzuschließen.

Im Interview mit Felicitas Rabe erläutert Davide Dormino den politischen und künstlerischen Hintergrund seiner Skulptur.

Herr Dormino, können Sie etwas dazu sagen, was Sie mit der Skulptur Anything to Say? zum Ausdruck bringen wollten und warum Sie diese Skulptur immer wieder auf neuen Plätzen in Europa ausstellen?

Grundsätzlich sind Künstler dazu verpflichtet, sich für Meinungsfreiheit einzusetzen und die Freiheit des Ausdrucks zu verteidigen. Als ich 2013 durch den US-amerikanischen Journalisten Charles Glass über die Geschichte von WikiLeaks erfuhr, war ich so beeindruckt, dass ich mich entschloss, als Künstler etwas dazu zu schaffen. So kam mir zunächst die Idee zu einer Zeichnung mit den drei auf Stühlen stehenden Helden. Menschen, die etwas ändern wollen, die sich für etwas einsetzen, stehen für etwas – sie sitzen nicht. Der vierte leere Stuhl ist für die Öffentlichkeit und hat Appellcharakter „Stehe auch Du für etwas ein, werde Teil des Kampfes für Meinungsfreiheit, unterstütze das Veröffentlichen der Wahrheit.“

Ein besonderer Aspekt dieser Skulptur besteht darin, dass sie nicht wie andere Skulpturen fest an einem Ort steht. Normalerweise besuchen Menschen eine Statue, ein Kunstwerk an einem Ort – sie bewegen sich auf das Kunstwerk zu, weil sie sich damit auseinandersetzen möchten. In diesem Fall ist es umgekehrt: Die Skulptur bewegt sich und geht auf unterschiedliche Plätze, besucht unterschiedliche Menschen und fordert sie damit auf, sich mit ihr auseinanderzusetzen.

Neu war für mich bei dieser Arbeit auch die Realisierung der Kosten. Ich entschied mich erstmals dafür, die teure Bronze durch Crowdfunding zu finanzieren und arbeitete dafür im Jahr 2014 vier Monate lang an einer Video-Präsentation der Idee für das Kunstwerk. Durch das Video konnte zunächst ein Teil des benötigten Geldes gemeinschaftlich aufgebracht werden. 2015 traf ich erstmals Julian Assange und berichtete ihm von der Idee. Danach erhielt das Projekt mehr öffentliche Aufmerksamkeit und es folgten Interviews unter anderem mit dem Journalisten und Filmemacher Gavin MacFadyen. So kam das benötigte Geld schließlich insbesondere durch die Förderung von zwei Großspendern zusammen.

Im Jahr 2015 wurde Anything to Say? erstmals ausgestellt, und zwar am 1. Mai, dem Feiertag für die Rechte von Arbeiterinnen und Arbeitern, auf dem Alexanderplatz in Berlin. Nach Anfangsschwierigkeiten mit behördlichen Genehmigungen für Skulpturen auf öffentlichen Plätzen stellte sich heraus, dass sie im Rahmen von angemeldeten Demonstrationen einfacher erteilt werden. Darauf folgten vermehrte Anfragen und Ausstellungen in mittlerweile 15 europäischen Städten und bei Kunstfestivals. Nur die Stadt London hat bisher die Ausstellung nicht genehmigt. Dennoch wird weiter versucht, sie auch in die britische Hauptstadt zu stellen. Anfragen gibt es sogar aus den USA und Kanada, aber der teure Transport konnte bislang nicht finanziert werden.

Wie bewerten Sie die öffentliche Resonanz durch das Publikum und das Interesse der Medien an ihrem Werk? Haben Sie den Eindruck, dass Ihre Idee und ihre Motivation verstanden werden, und können sie feststellen, dass die Resonanz sich an unterschiedlichen Orten unterscheidet?

Der Aufforderungscharakter wird überall sofort verstanden. Ständig nehmen Menschen auf dem vierten Stuhl Platz. Sie realisieren damit die demokratische Intension des Kunstwerks, obwohl es auch Leute gibt, die die volle Bedeutung nicht verstehen. Dabei heißt demokratisch prinzipiell für mich, dass man sich auch auf den Stuhl stellen kann, wenn man mit der Aussage des Künstlers nicht einverstanden ist. Mir geht es vor allem darum, dass die Menschen für ein paar Sekunden realisieren, was WikiLeaks für die Gesellschaft und die Meinungsfreiheit getan hat. Die Skulptur soll die Geschichte und Bedeutung von WikiLeaks vermitteln.

In internationalen Medien erschienen bislang tausende von Beiträgen, die größtenteils positiv über die Ausstellungen berichtet haben. Nur in Kunstmagazinen wurde so gut wie gar nichts dazu veröffentlicht. Dabei war der Direktor des Centre Pompidou in Paris ganz begeistert, als Anything to Say? vor seinem Museum ausgestellt wurde.

Besonders groß ist die öffentliche Resonanz auf die Skulptur in Deutschland, weil es in Deutschland sehr viele Aktivisten für die Meinungsfreiheit und den Kampf für die Freilassung von Julian Assange gibt. In vielen anderen Ländern wird sein Schicksal komplett ignoriert. Aber auch in Australien, wo Assange herkommt, und in Frankreich gibt es viel öffentliche Unterstützung. Und in jüngster Zeit wächst die Anteilnahme auch in Italien.

Worin sehen Sie die Aufgabe von Künstlern in der Gesellschaft? Was beinhaltet die Philosophie Ihrer Arbeit?

Mit meinen Arbeiten möchte ich universelle menschliche Werte aufzeigen. Mein kreativer Prozess basiert auf der Gestaltung von grundlegenden humanitären Anliegen.

Bei der Kunst geht es zudem immer um Politik. Zeitgenössische Kunst sollte unsere Wahrnehmung der Gegenwart beeinflussen und ändern. Dadurch definiert sich ihre Rolle für die Gesellschaft.

Schließlich besteht die Aufgabe der Kunst auch darin, den Geist einer Zeit sichtbar zu machen. Ohne die Kunst könnten einige Phänomene des Lebens nicht zum Vorschein gebracht werden.

Welche Bedeutung hat für Sie die Presse- und Meinungsfreiheit? Sehen Sie die Meinungsfreiheit aktuell in Gefahr?

Die Aufgabe des Journalismus besteht darin, die Demokratie aufrecht zu erhalten und auszubalancieren. Wenn Journalisten von der Regierung kontrolliert werden, wird die Wahrheit über Regierungsoperationen nicht ans Tageslicht kommen. WikiLeaks ist deshalb so wichtig, weil dort die Wahrheit veröffentlicht wird. Sollte Julian Assange an die USA ausgeliefert werden, werden damit alle Journalisten eingeschüchtert. Damit steht die Presse- und Meinungsfreiheit für uns alle auf dem Spiel. Aber ich bin zuversichtlich, dass WikiLeaks stärker ist.

Das Interview führte Felicitas Rabe.

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