Corona-Ausschuss: "Imperativ der Aufmerksamkeit" – Teil 1
Vorbemerkung: RT DE berichtet in einer eigenen Serie mit Artikeln und Podcasts über die Arbeit der Stiftung Corona-Ausschuss. Dabei geht es neben der Information eines möglichst breiten Publikums auch um die Dokumentation der Ausschussarbeit zur Corona-Krise als ein buchstäblich umwälzendes Ereignis. Die Berichterstattung zu den Anhörungen des Ausschusses erfolgt thematisch und nicht chronologisch. Sie bleibt durch das Geschehen an sich tagesaktuell – mit Blick auf die weiteren Entwicklungen sowie hinsichtlich einer Aufarbeitung der bisherigen Ereignisse.
In ihrer neunten Sitzung behandelte die Stiftung Corona-Ausschuss die Rolle der Medien in der Corona-Krise. Erklärtes Ziel der Ausschussarbeit ist es, die Corona-Maßnahmen der Regierungen von Bund und Ländern zu untersuchen und einer öffentlichen sowie rechtlichen Bewertung zugänglich zu machen.
Dafür kamen die Juristen des Ausschusses zu einer mehrstündigen Anhörung am 13. August in Berlin zusammen. Es berichteten der Psychologe und Journalist Patrick Plaga über die Lage in Schweden und die dortige wie internationale Berichterstattung über das skandinavische Land und dessen weniger strikten Kurs in der Corona-Krise (Teil I), der Kommunikationswissenschaftler und Medienforscher Prof. Michael Meyen sowie der Medienwissenschaftler Prof. Johannes Ludwig über die Situation der Medien und deren Berichterstattung in Deutschland, bei der es um grundlegende strukturelle und organisatorische Aspekte und ihren Einfluss auf die journalistische Arbeit ging (Teil II und Teil III).
Unterstützt wurde der Ausschuss auch in dieser Sitzung vom Lungenarzt und Epidemiologen Dr. Wolfgang Wodarg, der maßgeblich zur Aufklärung der Vorgänge rund um die sogenannte "Schweinegrippe" im Jahr 2009 beitrug und heute den Umgang mit der "Corona-Krise" kritisiert. Er selbst war dazu bereits als Experte in der ersten Ausschusssitzung ausführlich befragt worden.
Anlass dieser Anhörung ist dem Ausschuss zufolge die Diskrepanz zwischen der Realität, die die gängigen Medien mit ihrer Berichterstattung in Wort und Bild vom Geschehen in der Corona-Krise darstellen, und den verfügbaren zahlreichen Informationen zu Fakten, Statistiken und Stellungnahmen, die dieser vorherrschenden medialen Darstellung widersprechen.
Mehr zum Thema - Worte, Zahlen, Bilder, "Nachrichten" – zur "verlässlichen Faktenlage" in der Corona-Krise
Anhörung – Die Rolle der Medien
BERICHT DES PSYCHOLOGEN UND JOURNALISTEN PATRICK PLAGA AUS SCHWEDEN
Im Mai sei er von Deutschland nach Schweden gezogen, um dem aufgeheizten Klima in der Corona-Krise hierzulande zu entgehen. Dies habe sich für ihn als richtige Entscheidung erwiesen, da er in Schweden wesentlich besser und ruhiger lebe. Erst in Schweden habe er zudem begriffen, weshalb die Medien in Deutschland so berichteten, wie sie berichteten, was für ihn zuvor unverständlich gewesen sei. Während seiner journalistischen Arbeit vor Ort habe er kaum ausländische Korrespondenten wahrgenommen.
Das ist mir sehr schmerzhaft und ruckartig ins Bewusstsein gerufen worden, als ich bei der Pressekonferenz des Gesundheitsamtes war, bei der der mittlerweile weltberühmte [Staatsepidemiologe] Anders Tegnell regelmäig referiert, und ich dort von einheimischen Journalisten quasi belagert wurde, die in Erfahrung bringen wollten, warum ich denn hergekommen sei, wie mir das gelungen sei, aus meinem Land auszureisen und so weiter.
Aus einer mangelnden Präsenz vor Ort erkläre sich dann auch, weshalb die Berichterstattung im Ausland über Schweden derart fehlgehe. Auch sogenannte Auslandskorrespondenten bezögen ihre Informationen für die Berichterstattung dann hauptsächlich aus der Ferne über das Internet. Dabei könne man zwar über verfügbare Basisfakten wie Zahlen berichten, doch deren Bedeutung sowie die Stimmungslage am Ort des Geschehens selbst nicht einordnen beziehungsweise vermitteln und gewichten. Das betreffe speziell den Umgang der schwedischen Bevölkerung mit dem Kurs ihrer Regierung und Behörden in der Corona-Krise.
Das entspricht dem Eindruck, den er angesichts der Berichterstattung hierzulande über Schwedens Weg in der Corona-Krise selbst gewonnen hat, ergänzte ein Ausschussmitglied. Bei den sich bisweilen widersprechenden Meldungen über einerseits ein drohendes Katastrophenszenario mit vielen Toten und andererseits einen womöglich besseren schwedischen Weg sei für ihn klar gewesen: "Da stimmt was nicht!" Der Ausschuss fragte Plaga nach dessen unmittelbarer Wahrnehmung des tatsächlichen Geschehens in Schweden.
Im Mai habe er eine gewisse Grundanspannung in der Bevölkerung gespürt.
Aber es gab nicht den Level von Aggressionen, den ich in Deutschland wahrgenommen habe. Also, ich habe nirgends lautstarke Streitereien gesehen oder gar Menschen, die aufeinander zugerannt sind und sich angegriffen haben, wie das zum Beispiel ganz krass im Kampf um die Maske hervorgetreten ist.
Die von der Regierung empfohlenen Maßnahmen wie Abstands- und Hygieneregeln seien von der Bevölkerung freiwillig sehr diszipliniert und konsequenter umgesetzt worden als beispielsweise in Deutschland, wo die Verantwortlichen mit Verboten statt Freiwilligkeit agierten. Nach der anfänglichen Anspannung sei die Angstkurve daher auch im Sommer steil abgefallen und Corona mittlerweile nur noch ein politisches Ereignis von vielen und nicht das bestimmende, alleinige Thema wie in Deutschland.
Die ausländische Berichterstattung über Schweden werde dort als verzerrend, diskriminierend und demütigend erlebt.
Ich habe schon die Erfahrung gemacht, wenn ich mich mit Leuten unterhalten und sie gebeten habe, mir etwas zu erzählen, dann waren sie sehr aufgeschlossen. Wenn ich sie gefragt habe, ob ich das aufschreiben darf oder ob sie das ins Audiogerät sprechen wollen, dann wurden sie teilweise sehr ungehalten und haben befürchtet, dass ihnen schon wieder irgendetwas in den Mund gelegt wird. Das habe ich mehrfach so erfahren. Das war sogar die überwiegende Reaktion.
Im Weiteren kam Plaga auf die offizielle Darstellung der Statistiken zur Corona-Krise durch die jeweiligen zuständigen Gesundheitsbehörden zu sprechen. Diese erfolge in Schweden anders als etwa in Deutschland durch das Robert Koch-Institut (RKI) oder in den USA und weltweit durch die Johns Hopkins University. Bei der vom schwedischen Gesundheitsamt gewählten Darstellung werde deutlich, "dass COVID ein Problem alter Menschen ist". Diese Erkenntnis habe sich relativ schnell bei der Bevölkerung festgesetzt.
Dass Menschen in einem Alter an COVID-19 sterben, in dem sie ohnehin sterben würden, und dass es junge Menschen weitgehend gar nicht betrifft. Das wird hier durch die Statistik relativ übersichtlich aufgearbeitet.
Dazu trage auch die Orientierung der Grafiken bei. Durch eine horizontale Darstellung gebe es keinen unmittelbaren Eindruck ansteigender Tendenzen und werde eine für in Statistik unerfahrene Menschen leicht mögliche Fehlinterpretation vermieden. Ebenso liege der Fokus auf dem Rückgang der Zahlen der Sterbefälle, die in Schweden immer wichtiger gewesen seien als die der sogenannten Infektionen. Selbst das Wort "Infektionen" werde in der offziellen Darstellung nirgends verwendet. Schließlich wecke dies bei Laien "fürchterliche Assoziationen" an Filme über Horror- und Endzeitszenarien. Stattdessen verwende man neutralere Begriffe wie "Erkrankungsfälle" oder "bestätigte Fälle".
Insgesamt kommuniziere das Gesundheitsamt immer wieder:
Dass an COVID Menschen sterben, die schon sehr krank sind und auch ohne COVID mehr oder weniger in dem Alter gestorben wären, in dem sie letztlich auch gestorben sind.
Der Ausschuss verwies hierzu auf die Erkenntnisse, die in Deutschland der Hamburger Rechtsmediziner Prof. Klaus Püschel durch Obduktionen sogenannter "Corona-Toter" gewonnen hat. So sei das Lebensalter nicht als solches ein ausschlaggebender Risikofaktor, sondern der mit höherem Alter zumeist einhergehende schlechtere Gesundheitszustand mit möglichen schweren Vorerkrankungen und einem schwächeren Immunsystem.
Plaga zufolge ist eine derartige tiefergehende Betrachtung des Krankheitsgeschehens und seiner Hintergründe in Schweden nicht so wichtig gewesen und komme daher nicht vor.
Man hat sich relativ früh darauf verlassen, dass es Leute an der Spitze gibt, in der Führung, die was davon verstehen, die wissen, was sie machen und warum sie das machen – und denen kann man vertrauen.
Das Ausmaß der Verunsicherung wie in Deutschland habe in Schweden nicht existiert, wobei es auch dort verunsicherte Menschen gebe. Schließlich liege die Zustimmung der Bevölkerung zur Regierungslinie nicht bei einhundert Prozent, sondern bewege sich im Bereich von 50 bis 65 Prozent. Diejenigen, die nicht einverstanden seien, unterteilten sich zudem in weitere Lager. Für die einen gingen die Maßnahmen zu weit, für die anderen nicht weit genug und für wieder andere seien sie relativ egal. Insgesamt unterstütze daher eine überwältigende Mehrheit die Corona-Politik ihrer Regierung. In Schweden habe es nicht diese "Flut an Informationen" gegeben, die bei den Menschen zu einer Reizüberflutung und einer Verunsicherung durch Expertenmeinungen geführt habe.
Der Ausschuss fragte dann explizit nach der Kommunikation der Verantwortlichen wie unter anderem des Staatsepidemiologen Tegnell gegenüber der Bevölkerung, insbesondere im Vergleich zum sogenannten "Panikpapier" des deutschen Bundesinnenministeriums. Dieses setzt zur Kommunikation und Durchsetzung der Corona-Maßnahmen ausdrücklich auf Angsterzeugung in der Gesellschaft durch drastische Szenarien, bei denen Kinder dafür verantwortlich seien könnten, dass Familienangehörige "qualvoll zu Hause sterben", und auf die "verstörenden Bilder" aus Italien.
In Schweden seien alle Einschätzungen der Situation kommuniziert worden. So seien etwa Virologen, denen der Regierungskurs nicht strikt genug war, öffentlich im staatlichen Fernsehen und den großen Zeitungen zu Wort gekommen.
Das ändert aber nichts daran, dass die Bevölkerung meint, dass ihre staatlichen, unabhängigen Beamten letztlich maßgeblich und vertrauenswürdiger sind als irgendwelche freiberuflichen Wissenschaftler oder Lobbygruppen.
"Verbalinjurien, wie sie in Deutschland üblich geworden sind" habe er weder in den Medien noch in Gesprächen mit der Bevölkerung wahrgenommen. Gerade Tegnell konzentriere sich sehr auf die Sache selbst und spreche nicht über andere Personen, sondern über die Krankheit und deren Umstände. Er stelle auch andere Positionen dar, habe eine Gegenposition aber niemals angegriffen. Das sei aufgenommen und allgemeiner Umgangsstil geworden. Eine Hysterie wie in anderen Ländern Europas habe es nicht gegeben.
Es gibt natürlich Menschen, die unzufrieden sind. Die auffälligste Äußerung, die ich gesehen habe, waren fünf Demonstranten, die vor dem Gesundheitsamt für härtere Maßnahmen wie einen Lockdown demonstriert haben. (...) Die Größenordnung sagt ja viel.
Zurückkommend auf die Wahrnehmung der ausländischen Berichterstattung über Schweden, und dass diese dort weit verbreitet und schmerzlicherweise als diffamierend erlebt werde, nannte Plaga das Beispiel des Vorgängers von Tegnell im Amt des Staatsepidemiologen, Johan Giesecke. Diesem sei einmal angesichts der Berichte über "verrückte Schweden" der "Kragen geplatzt".
Als verrückt oder gestört abgetan zu werden, das hat sehr geschmerzt. Vor allem, weil es gerade im Widerspruch zur eigenen Wahrnehmung steht. Zur von Tegnell ausgegebenen und auch von Giesecke vertretenen Losung gerade evidenzbasiert, wissenschaftlich vorzugehen und nicht in einem verrückten Aktionismus alles Mögliche zu tun, was man möglicherweise tun könnte.
Schweden habe insbesondere früher als andere Länder wie etwa Deutschland mit Maßnahmen und einer sogenannten Strategie der Bereitschaft reagiert. Auch dies sei im Ausland kaum wahrgenommen worden. Insgesamt habe das Land eine Mittellinie gefahren: zwischen einerseits gar nichts tun und damit totaler Normalität, die angesichts der weltweiten berichteten Vorgänge vielen Menschen Angst gemacht hätte, und andererseits einem aktionistischen Überreagieren mit einem Schlingerkurs zwischen Hinein und Hinaus bei diesen und jenen Maßnahmen. Man habe sehr schnell eine klare Linie entwickelt, an der man langfristig festhalte und weder nach oben noch nach unten ausschere. Diese Strategie werde als erfolgreich erlebt, und so kommuniziere dies Tegnell auch auf die üblicherweise zurückhaltende Art.
Dazu gehöre ebenso die schon erwähnte schnelle Information über den Umstand, dass es sich bei dem Krankheitsgeschehen um ein Problem hochbetagter Menschen kurz vor ihrem ohnehin bevorstehenden Ableben handelt. Daher sei auch die Untersuchung und Unterscheidung eines Todes "an" oder "mit Corona" nicht relevant. Reaktionen, dass diese Sterbefälle eine Katastrophe und schlimm und unbedingt zu verhindern seien, habe er noch nie erlebt. Im Gegenteil. Ihm gegenüber hätten mehrere Menschen davon gesprochen, dass die Betroffenen "froh über ihre Erlösung" gewesen seien. Gleichwohl sei das erhöhte Schutzerfordernis älterer Menschen mit entsprechenden Maßnahmen wie Kontaktbeschränkungen berücksichtigt worden. Auch diese Maßnahmen hätten auf der Kultur der Freiwilligkeit basierend auf Empfehlungen der Experten beruht.
Ein Verdacht, dass bei solchen Entscheidungen auch "eigene Interessen" politischer und wirtschaftlicher Natur im Spiel sein könnten, gebe es in Schweden so nicht. Insbesondere suche das Gesundheitsamt selbst nach möglichen Verbindungen, die zu Interessenkonflikten führen könnten. Exemplarisch seien dafür die Vorgänge, die Rolle des früheren Staatsepidemiologen Giesecke und dessen Einfluss auf den Umgang mit dem aktuellen Krankheitsgeschehen zu untersuchen. Er solle dem Gesundheitsamt bereits Ratschläge erteilt haben, bevor er dort offiziell als Berater im aktuellen Corona-Geschehen eingestellt worden sei.
In Schweden gebe es ein "Vertrauen in die Sauberkeit der staatlichen Institutionen". Diese sei sogar kodifiziert.
Es gibt im schwedischen Verfassungsrecht die Bestimmung, dass die Regierung die Behörden auf ihrem Fachgebiet nicht anweisen darf. Also sie kann nicht – wie es [der britische Premier] Boris Johnson gemacht hat (...) Großbritannien hatte ja am Anfang eine ähnliche Strategie wie Schweden eingeschlagen und ist dann nach einiger Zeit davon abgekommen und hat dann den Weg des Lockdowns gewählt. Dazu ist festzuhalten, dass die Behörde von der Regierung angewiesen wurde, der Regierung die Empfehlung zu geben, in den Lockdown zu gehen. Sodass die Regierung das machen konnte, was sie wollte, und sich die rechtfertigende Empfehlung bei der Fachbehörde [National Health Service] einholen konnte. Und das ist in Schweden nicht möglich, weil solche Anweisungen durch die Regierung an die Behörden nicht zulässig sind.
Dem Ausschuss zufolge könnte dies eine Erklärung für die besondere Heransgehensweise der schwedischen Politik und Berichterstattung sein, speziell mit Blick auf Deutschland. So habe vor drei Jahren ein deutscher Rechtsprofessor in einem Beitrag für eines der maßgeblichen Leitmedien unter dem Titel "Legitimität durch Lügen. Das Vertrauen in den Staat zerfällt" geschrieben:
Die Ursachen für diesen Verfall sind komplex: Sie reichen von spezifischen Befindlichkeiten nach der Wiedervereinigung über erlebte wie gefühlte Hartz-IV-Ungerechtigkeiten, die Bankenrettung und die Sparpolitik der vergangenen Jahre (...).
Einen solchen Zerfall des Vertrauens in staatliche Institutionen gibt es in Schweden definitiv nicht, so Plaga. In Deutschland sei eine politische und interessengesteuerte Handhabung der Maßnahmen erkennbar und verunsichere die Bevölkerung. Ein Beispiel hierfür sei der Umgang mit den Masken. Anfänglich hieß es, sie seien nicht ratsam. Passend zu politischen Erfordernissen habe sich von einem Tag auf den anderen die Wissenschaft geändert, und plötzlich seien Masken nützlich. Diese Verunsicherung provoziere bei der Bevölkerung Angst und entsprechende Reaktionen.
Dass sie dann sagen: Ich will die maximale Absicherung. Um auf Nummer sicher zu gehen, will ich den Lockdown und den Mindestabstand und die Maske und bitte noch viel mehr. Weil man keinem vertrauen kann, dass das, was er sagt, unabhängige Wissenschaft ist und nicht irgendwelcher Lobbyeinfluss. Und diese Unruhe aufgrund dieser Unsicherheiten und Ängste gibt es hier [in Schweden] nicht.
So gebe es dann auch in Schweden keine Angriffe gegen Behörden oder verantwortliche Amtsträger. Die erwähnte Untersuchung im Fall Giesecke betreffe Formalien, zeige aber das, was man sich wünschen sollte, nämlich wie sehr man auf die Unabhängigkeit von Behörden achte. Er selbst denke, dass Giesecke sehr guten Rat gegeben habe. Andererseits sei es für ihn ein gutes Zeichen, dass mögliche Fehler problematisiert werden. Man sehe daran, wie gut die Medien in Schweden funktionierten. Diese befänden sich nicht im "Würgegriff der Angst".
Sonst hätten sie sich nicht getraut, diejenigen anzugreifen, von denen sie die Führung und das Sicherheitsgefühl brauchen. Dann hätten sie sich wie in Deutschland zurückgehalten und das alles unterdrückt und gesagt: Ich will aber glauben können, dass die unabhängig sind. Also unterdrücke ich all das, was nicht zu diesem Bild passt. Solange es irgendwie geht. Und solange, wie das klappt, und jedes Anzeichen, dass diese Unabhängigkeit nicht da ist, unterdrückt und als Verschwörungstheorie oder Aluhutträgerei und dergleichen diffamiert wird, solange sieht man, dass die Journalisten selber im Würgegriff einer extremen Angst sind, dass sie nicht in der Lage sind, die Menschen anzugreifen, von denen sie sich Führung versprechen.
Die bereits angesprochenen regierungskritischen Positionen einiger Virologen hätten in den gängigen Medien ihren angemessenen Raum erhalten. Diffamierende Angriffe gegen diese Positionen und deren Vertreter habe er in diesen Medien nicht erlebt. Wenn überhaupt, dann gebe es so etwas auf privaten Kanälen etwa im Internet, in denen diese Regierungskritiker beispielsweise als "Landesverräter" bezeichnet worden seien.
Der Ausschuss kam noch einmal auf die Darstellung der Zahlen und Statistiken durch das schwedische Gesundheitsamt zu sprechen. Diese unterscheide sich von denen in anderen Ländern, wodurch entsprechend beruhigende beziehungsweise alarmierende und damit vollkommen verschiedene Wirkungen und Wahrnehmungen des Geschehens beim Betrachter erzeugt würden. Sowohl die Farbgebung in einem neutralen Grün als auch die grafische Darstellung ist betont sachlich, so Plaga.
Es ist auf jeden Fall nicht so gemacht wie bei Johns Hopkins, wo die unwichtigste Zahl den größten Raum bekommt, nur weil sie die größte ist und dann noch in Rot hervorgehoben wird, obwohl sie unbedeutend ist. Und die wichtigsten Zahlen dann weiß oder grün unauffällig gemacht werden.
Diese manipulative Technik gebe es in der schwedischen Darstellung nicht. Man gebe den Leuten die Option verschiedener Darstellungen, ziehe jedoch die alarmierende nicht als "diejenige, die man als Erste ins Auge bekommt", in den Vordergrund. Das sei für ihn beeindruckend und durchdacht. Es gehe auf den Einfluss des genannten Giesecke zurück. Dieser habe davon gesprochen, dass er viele Epidemien in seinem Leben gesehen habe, und die große Angst, die sie hervorrufen. Weshalb es sehr wichtig sei, mit diesen Ängsten verantwortungsvoll umzugehen.
Das ist gerade mit Blick auf Deutschland bemerkenswert, ergänzte ein Ausschussmitglied. Schließlich werde hier Panik verbreitet, beispielsweise durch das allgegenwärtige Maskentragen und die Fernsehmeldungen, "wie schlimm das alles ist". Das mache etwas mit den Menschen und wirke sich zudem auch immunsupprimierend aus, sodass letztlich ein Teufelskreis entstehe.
Davon sind auch Journalisten betroffen, betonte Plaga, umso mehr, da sie durch ihre Arbeit tagtäglich Mitteilungen über Schlimmes und Gefährdendes in einer besonderen Ballung erfahren. Normalbürger beschäftigten sich weit weniger mit solchen "schlimmen Nachrichten" als Journalisten. Deren Ängste fänden allein aus Zeitgründen weit weniger Raum für einen gesunden Ausgleich. Das wiederum könne zu bekannten Mechanismen eines Hinwendens zu Führungspersonen, die Sicherheit versprechen, bewirken, und zu einem Ausblenden all dessen, das dieses Sicherheitsgefühl infrage stellen könnte. Dieses Muster sei in Deutschland wie in Schweden zu finden.
Und hier ist dann der Führer durch den Dschungel jemand gewesen, der verantwortungsbewusst damit umgegangen ist, eben vor allem besagter Anders Tegnell. Man kann als Journalist in Schweden, wenn man in die Pressekonferenz des Gesundheitsamtes geht, im Prinzip mit den Informationen, die man dort bekommt, die komplette Berichterstattung machen – über Schweden, über Europa, über Amerika, über die Welt. Da werden alle Zahlen und Entwicklungen aus der ganzen Welt vorgestellt, nicht nur aus Schweden.
In Gefahrensituationen operiere der Organismus im Angstmodus und müsse schnell reagieren, weshalb eine "Reduktion der Realitität und Information" stattfinde. Es gehe dann um Handlungssteuerung "ohne eigene Expertise". Diese Expertise könnten dann Führungsfiguren vermitteln. In Schweden hätten der Bevölkerung einerseits alle nötigen Informationen für die Bildung einer eigenen Expertise vorgelegen, doch andererseits brauche man dies nicht wirklich zu tun, da man der Expertise des Führungspersonals vertrauen könne, ohne Panik.
Das ist, denke ich, was die meisten von uns am liebsten gemacht hätten. Die keine Experten sind, die sich mit Medizin und Statistik nicht auskennen, die diese Dinge nicht selber einordnen können. In Deutschland ist es, wie ich es wahrgenommen habe, ganz schnell dazu gekommen, dass Menschen gedacht haben, ich muss Virologe werden, ich muss Statistiker, ich muss Epidemiologe werden, um all diese Dinge selbst zu bewerten. Eine Moderatorin hat in einer Talkshow gesagt: 'Wir sind ja jetzt alle Virologen.'
Eine solche umfassende Entscheidungskompetenz überfordere allerdings die einzelnen Mitglieder einer Gesellschaft und erscheine ihm eher als ein Ausdruck vorherrschender Ideologie.
Damit eine Gesellschaft funktioniert, brauchen Menschen Institutionen, auf die sie sich verlassen können, weil sie nicht in der Lage sein werden, das alles selber zu machen. Das ist diese neoliberale Illusion, das man selber alles in der Hand hätte, das man alles regeln könnte, das man alles bewältigen kann. Und die funktioniert nicht. Schweden ist auf Gemeinsinn aufgebaut, im Unterschied zu diesem typisch angelsächsischen Liberalismus. Schweden wäre nicht den schwedischen Weg gegangen, wenn hier die Überzeugung wäre, dass jeder seine Probleme für sich allein löst.
Bei der Insitution der Medien in Deutschland und deren Funktion als Kommunikator der Krise ist allerdings für ihn hauptsächlich ein Panikmodus auf der Linie des "Panikpapiers" des Bundesinnenministeriums zu erkennen, betonte einer der befragenden Juristen. Darüber hinaus gebe es offenkundige und leicht nachprüfbare Falschmeldungen und "Fake News", wie etwa über die Teilnehmerzahlen an den Großkundgebungen gegen die Corona-Politik im August in Berlin. Auch für ihn sei dies bei der Kundgebung am 1. August unmittelbar erkennbar und aus der Fläche des Veranstaltungsortes und der Teilnehmeranzahl leicht nachzurechnen gewesen, ergänzte Plaga. Denn die Auflösung der Veranstaltung sei mit dem Nichteinhalten der Mindestabstände begründet worden. Das sei aber bei der offiziell genannten Teilnehmerzahl auf dieser Fläche mathematisch unglaubwürdig, da sich für jeden Teilnehmer eine Fläche von mehr als vier Quadratmetern und damit ausreichend Abstand voneinander ergebe.
Das Problem, glaube ich, ist nicht, ob es nun mehr oder weniger waren, sondern dass egal welche Argumentation jetzt die staatliche Behördenseite in Berlin wählt, sie irgendwie in der Bredoullie ist. Entweder es sind viel mehr Menschen gewesen. Oder es sind ganz wenige gewesen. Dann war aber die Auflösung überhaupt nicht rechtmäßig und an den Haaren herbeigezogen.
Plagas Einschätzung nach wäre eine solche Panikberichterstattung der Medien wie in Deutschland prinzipiell auch in Schweden möglich gewesen. Dass Schweden in der gegenwärtigen Situation einen anderen Weg eingeschlagen habe, liege nicht an einer irgendwie gearteten kulturellen Besonderheit. Schließlich seien die übrigen nordischen Staaten von Island bis Finnland, die zum ähnlichen Kulturraum zählen, dem schwedischen Beispiel nicht gefolgt. Wenn der Kurs der Regierung und Behörden in Schweden so gewesen wäre wie in Deutschland, dann wäre es auch dort zu einer solchen Panikberichterstattung gekommen.
Entscheidend sei für ihn die Art und Weise der Führung durch solche Gefahrensituationen, in der es durch Angst und Überforderung bei den Menschen und eben auch bei den Journalisten zum Rückfall in kindähnliche Verhaltensmuster kommen könne. Den betreffenden Führungspersönlichkeiten komme dann eine besondere Vorbildfunktion zu.
Und da sind für die deutschen Journalisten Herr Wieler und Herr Drosten die Führer durch den Wald geworden, und für die schwedischen Medien sind es Herr Tegnell und Herr Giesecke geworden, die das ganz anders gemacht haben. Und hätte Herr Wieler es anders gemacht, dann wäre es in Deutschland sicher auch anders gegangen.
Eine solche Berichterstattung auf der Linie des "Panikpapiers" hätte sich auch in Schweden ergeben können, wenn es ein vergleichbares Kommunikationsszenario gegeben hätte. Allein aus der dadurch erzeugten Stimmung, die dann von den maßgeblichen Experten auf die vergleichsweise unwissenden und der Expertise vertrauenden Journalisten übergesprungen wäre, und nicht unbedingt aus der Umsetzung einer Art "Führerbefehl" von oben.
Doch ein solches Szenario habe es in Schweden nicht gegeben, und Experten wie Tegnell seien persönlich ganz anders aufgetreten als ihre Pendants in Deutschland. Tegnell sei immer ruhig und bediene sich einer zurückhaltenden Rhetorik.
Und dann weiß man, warum die Menschen ihn so lieben. Gerade die, die große Angst vor Corona hatten. Das ist das, was die Menschen in Deutschland völlig falsch einordnen. Die [Schweden] fühlen sich gerade nicht verraten. Sondern sie fühlen sich gut behütet. Da gibt es zum Beispiel einen Tätowierer in Stockholm, der Anders-Tegnell-Tatoos macht. Und der hat gesagt: 'Anders erinnert uns an unsere Mütter und Väter.'
Hinzu komme ein offenerer, ehrlicherer und freundlicherer Umgang der Schweden miteinander, der schon bei Kindern auf Erklärungen auch von unangenehmen Dingen statt auf Maßregelungen und Verbote setze. Außerdem würden in Schweden Gefühle auch verbal gezeigt. Anders als in Deutschland, "wo die Menschen sehr hart und aggressiv miteinander umgehen, nur auf Rationalität gestützt, und ihre Emotionen in der Regel in Angriffe auf andere packen".
In Schweden sei ihm immer wieder vermittelt worden, wie sicher und geborgen sich die Menschen bei Tegnell fühlten.
Und das macht man nicht damit, indem man den Leuten ständig neue Maßnahmen um die Ohren haut, wie sie Sicherheit bekommen könnten, und Versprechungen über die Zukunft gibt, sondern indem man sie ernst nimmt. (...) Und das hat Tegnell auch gemacht, indem er den Menschen vieles gesagt hat, was man vielleicht nicht unbedingt hören möchte. Wie zum Beispiel, dass der Impfstoff eine trügerische Illusion ist, weil niemand vorhersagen kann, wann ein Impfstoff zur Verfügung steht. Oder wenn Johan Giesecke sagt: 'Es gibt keine Möglichkeit, diesen Virus aufzuhalten. Viruserkrankungen verbreiten sich immer. Man muss mit ihnen leben und sie hinnehmen. Sie werden sich verbreiten und man kann versuchen, irgendetwas zu machen, um sie aufzuhalten, wie einen Lockdown, dann geht die Zahl vielleicht etwas runter, danach wird sie aber garantiert wieder hoch gehen und es wird auf lange Frist überhaupt nichts bewirken.' Solche Dinge haben sie immer gesagt. Aber zurückhaltend und verständnisvoll und ohne Angriffe auf die andere Seite.
Dieses Sich-verlassen-können auf die staatlichen Institutionen ist von bestimmten Bedingungen abhängig, fügte Wodarg abschließend hinzu. Dazu gehöre insbesondere Transparenz des Handelns. Wenn die Bevölkerung jederzeit Einblick und Wissen bezüglich der Vorgänge habe und auf relevante Informationen zugreifen und danach fragen könne, dann kann sie zurecht beruhigt sein. Nicht jedoch, wenn das Ganze so laufe wie im RKI, in dem die Basis wissenschaftlich sauber forsche und arbeite, doch der RKI-Präsident sich an der Politik und seinem ihm unmittelbar vorstehenden Bundesminister für Gesundheit ausrichte. Das passe nicht zusammen. So verspiele man das Vertrauen in eine solche Institution.
Eine Institution ist dann korrupt, wenn sie entweder von der Politik oder von der Wirtschaft gesagt bekommt, was sie tun und wie sie entscheiden soll. Und wenn der Einfluss der Politik und Wirtschaft zu groß wird, dann kann man der Institution selber, die wir uns eigentlich geschaffen haben, damit sie uns berät, dann kann man der Institution nicht mehr vertrauen. Dann ist sie überflüssig. Dann schadet sie mehr, als sie nützt.
Das habe man in Deutschland in ganz vielen Bereichen. Er erinnere sich daran, wie man immer auf andere Länder geschaut und die dortige Korruption kritisiert habe, weil man sich unter solchen Bedingungen auf niemanden verlassen könne. Jede Bundesregierung habe davon gesprochen, dass ein Staat funktionierende Organe brauche. Doch Deutschland sei mittlerweile "wahnsinnig abgesackt" und befinde sich in einem Zustand wie in einem Entwicklungsland, wo die Medien korrupt sind und politische und wirtschaftliche Einflüsse den Medien praktisch die Luft zum Atmen nähmen. Wo die staatlichen Behörden und Untersuchungen korrumpiert seien.
Zum Beispiel die ganze Testszene, die privaten Firmen gegeben wird. Wo man sich nicht einmal darum kümmert, welche Qualität da abgeliefert wird. Das heißt, da ist unheimlich viel aus dem Ruder gelaufen. Da kann man alles kaufen in Deutschland. Wenn man genug Geld hat, dann kann man den Spiegel dazu bringen, dass er berichtet. Dann kann man andere Zeitungen dazu bringen, oder CORRECTIV (...). Es gibt so viele direkte Einflussnahmen auf wichtige Institutionen, auf die wir uns bisher glaubten, verlassen zu können, die jetzt ihr richtiges Gesicht zeigen. Und die jetzt zeigen, dass wir uns eben nicht auf sie verlassen können. Die institutionelle Korruption in Deutschland müssen wir bekämpfen, wenn wir das Vertrauen wiedergewinnen wollen.
Das sei bei uns inzwischen nicht anders als in vielen anderen Ländern, die wir gerne kritisierten. Auch bei uns mische sich Wirtschaft und Politik.
Manchmal mischt sich das ja schon auf der politischen Ebene, wenn ich mir Herrn [Bundesgesundheitsminister Jens] Spahn anschaue.
Fortsetzung: Corona-Ausschuss: "Imperativ der Aufmerksamkeit" – Teil 2
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