Gesellschaft

"Schande für alle Künstler" oder nicht radikal genug? Hollywood streitet zu Oscar-Diversitätsquote

Für eine Oscar-Nominierung in der Kategorie "Bester Film" ist bald neuerdings eine Diversitätsquote einzuhalten, die die Verpflichtung von Künstlern mit bestimmtem demografischen Hintergrund vorschreibt. Diese Neuregelung der Motion Picture Academy sorgt für rege Polemik.
"Schande für alle Künstler" oder nicht radikal genug? Hollywood streitet zu Oscar-DiversitätsquoteQuelle: Reuters © Mike Blake/File Photo

Mit einer neuen Reihe von "Inklusionsnormen" für künftige Oscar-Verleihungen hat die Motion Picture Academy einen wahren Feuersturm von einer Debatte entfacht: Diese Normen verpflichten Filmemacher dazu, Talente aus bestimmten demografischen Bereichen einzustellen, um für den Oscar in der Kategorie "Bester Film" nominiert werden zu können.

Die neuen Standards wurden am Dienstag verabschiedet und legen Regeln für die Oscar-Verleihungen ab 2024 fest, die "die Vielfalt beim Kinopublikum besser widerspiegeln sollen", so die entsprechende Erklärung. Allerdings sollen sie ausdrücklich nur für die Kategorie "Bester Film" angewandt werden. David Rubin und Dawn Hudson – Präsident und Geschäftsleiterin der Akademie – erklärten:

Wir müssen 'breitere Blenden' einsetzen, um unsere vielfältige Weltbevölkerung sowohl bei der Schaffung von Kinofilmen als auch beim Publikum, das sich mit ihnen verbindet, widerzuspiegeln. Die Akademie hat sich verpflichtet, eine entscheidende Rolle dabei zu spielen, dies in Tat umzusetzen.

Die Regeln sollen "ein Katalysator für einen lang anhaltenden, wesentlichen Wandel in unserer Branche werden", so die Funktionäre weiter.

Die neuen Standards verlangen, dass Filmemacher eine Mindestquote an Schauspielern und anderen Mitarbeitern aus im Hinblick auf Rasse, ethnische Zugehörigkeit, Geschlecht und sexuelle Orientierung "unterrepräsentierten Gruppen" verpflichten. Um ab 2024 für die begehrte Auszeichnung "Bester Film" qualifiziert werden zu können, muss ein Film ab dem Jahr 2024 alle Kriterien aus mindestens zwei der vier von der Akademie festgelegten detaillierten Listen erfüllen. Zwar wird die Jury bei der Filmbewertung für weitere vier Jahre noch nicht an diese Standards gebunden sein – doch in der Zwischenzeit müssen alle Einreichungen unabhängig davon schon einmal ein Formular mit "Einschlussstandards" enthalten.

Die Entscheidung hat online einen heftigen Streit ausgelöst, sowohl beim durchschnittlichen Kinobesucher als auch unter Brancheninsidern – darunter Autoren, Schauspieler, Regisseure und Produzenten. Schauspielerin Kirstie Alley (Saavik im Film "Star Trek II: Der Zorn des Khan") twitterte:

Das ist eine Schande für Künstler auf der ganzen Welt... können Sie sich vorstellen, Picasso vorzuschreiben, was auf seine verdammten Gemälde gehört? Leute, ihr habt doch den Verstand verloren. Künstler kontrollieren, individuelle Gedanken kontrollieren... OSCAR ORWELL.

Schauspieler James Woods (Salvador, Das Attentat, Family Guy, Simpsons) fasste sich wenig wortreich:

Wahnsinn.

Val Wayne, allem Anschein nach die Professorin für mittelenglische Literatur an der University of Hawaii und Mutter der Schauspielerin Sarah Wayne Callies (The Walking Dead), antwortete ihm etwas ausführlicher:

Oscars sind keine Oscars mehr, sondern nur noch ein rassen-/identitätsbezogenes Quotenprogramm, das nichts mit Qualität, Kunst oder der Herstellung eines großartigen Films zu tun hat. Naja, wenigstens wird jetzt das Casting wichtiger, wo es doch darum geht, das aktuell anerkannteste Opfer (oder Opferklasse) zu casten. Langweilig!

Francis J. Beckwith, Philosoph, Wissenschaftler und Dozent (Baylor University) und Buchautor (Politically Correct Death; Defending Life) stichelte:

Zu viele Italiener in 'Der Pate'.

Sogar einige, die das Ganze vom Konzept her unterstützen, fragten sich, ob die Regeln nicht bloß noch mehr "Platzhalter und Stereotypen auf dem Bildschirm" fördern würden. Sie befürchten, es könnte sich eher zu einem von einem Geist der Faulheit geleiteten Quotensystem entwickeln als zu einem Weg, auf dem man Vielfalt und Integration sinnvoll voranbringen könnte. Eine Twitter-Nutzerin schrieb:

Ich bin ja sehr für die Diversifizierung von Filmen. Aber irgendetwas an dieser Oscar-Sache fühlt sich so an, als würde man ab jetzt einfach zufällige Figuren in die Filme hinzuverbauen, um eine Quote zu erfüllen – anstatt sie auf dem Bildschirm tatsächlich zum Leben zu erwecken. Naja, wir werden’s ja sehen.

Der Freelance-Filmkritiker Matt Cipolla (The Spool) sieht es ähnlich:

Das ist sicherlich ein Schritt nach vorn, aber ich befürchte immer noch, dass dies die Menschen nur dazu ermutigen wird, noch mehr Platzhalter und Stereotypen auf den Bildschirm zu strahlen. Ich würde es sicherlich jemandem zutrauen, Oscar-Köder auszulegen – und mehr Farbige für Nebenrollen einzustellen, um eine Quote zu erfüllen. Ja, das System ist kaputt.

Erwartungsgemäß erfuhren die neuen Standards jedoch auch reichlich Unterstützung, unter anderem vom altgedienten Filmjournalisten, Skriptautoren und Filmproduzenten Axel Kuschevatzky, der an mehr als 80 Spielfilmen mitwirkte (hier eine Auswahl):

Als Produzent unterstütze ich voll und ganz die neuen Repräsentations- und Inklusionsstandards der Academy für die Oscar-Qualifikation. Bitte lesen Sie die neuen Richtlinien, um das gesamte Ausmaß der Initiative zu verstehen – und warum sie so wichtig ist.

Auch Kevin C. Johnson befürwortet die neuen Richtlinien:

Die neuen Oscar-Standards verlangen, dass die besten Bildbewerber inklusiv sein müssen, um am Wettbewerb teilnehmen zu können. Einige wird das wütend machen. Aber alle Filme hätten von Anfang an inklusiver sein sollen.

Manche brachten wiederum eine ganz andere Art von Kritik ein: Etwa der Komikerin und Autorin Allison Kilkenny gehen die neuen Regeln nicht annähernd weit genug. Sie setzten eine "lächerlich niedrige Messlatte" für die Diversität im Film. Andere Kritiker auf Twitter nannten sie "lächerliche Anbiederung ohne echte Veränderung":

Die neuen Oscar-Standards zur Diversität sind dermaßen lächerlich niedrig angesetzt – aber es ist schon sehr aufschlussreich, dass sich manche Leute dennoch aus blanker Wut darüber die Hose vollmachen.

Ein weiterer User twitterte:

Das trägt nichts zur Bekämpfung der Systeme bei, die in Hollywood die Barrieren für marginalisierte Menschen geschaffen haben. Jetzt wird es bloß heißen, dass man POC/LGBT/behinderten Schauspielern nur dafür Rollen gibt, um eine Quote für einen Oscar zu erfüllen. Lächerliche Anbiederung ohne wirkliche Veränderung – so was von absolut typisch.

Und eine Userin äußerte:

Damit diese Änderung wirklich sinnvoll ist, müsste die Oscar-Jury meines Erachtens, anders als jetzt, nicht überwiegend weiß sein. Denn ich befürchte, dass dies nur zu einem Haufen von Filmen mit Möchtegernrepräsentation ohne Tiefgang führen wird – und Filmemacher aus Minderheiten werden weiterhin ignoriert.

Während die Motion Picture Academy ihre neuen Inklusionsregeln einführt, versuchen Aktivisten "progressiver" Couleur sowohl innerhalb als auch außerhalb Hollywoods alles potenziell "anstößiges" Material aus Film und Fernsehen zu verbannen. Das veranlasste HBO (Home Box Office) sogar dazu, den 1939er-Klassiker "Vom Winde verweht" aus dem Streaming-Angebot zu entfernen, da der 81 Jahre alte Film – Schockschwerenot – die im Jahr 2020 geltenden Standards für Rassengerechtigkeit nicht erfüllte.

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