Gesellschaft

Pressefreiheit à la Deutsche Welle: Wenn kritischer Tweet zu Präsident Bolsonaro zur Kündigung führt

Man kann bei der Deutschen Welle in aller Freiheit Wladimir Putin als "Mörder und Bandit" oder den venezolanischen Präsidenten als "korrupten Diktator" bezeichnen. Doch die leichte Entfremdung eines historischen Zitats führte nun zur Kündigung eines brasilianischen DW-Kolumnisten.
Pressefreiheit à la Deutsche Welle: Wenn kritischer Tweet zu Präsident Bolsonaro zur Kündigung führt© AFP/Reuters

von Florian Warweg

Anfang des 18. Jahrhunderts verfasste der einstige katholische Priester und spätere Religionskritiker und Frühaufklärer Jean Meslier sein berühmtes "Mémoire", es machte ihn zu einem der herausragenden Vorläufer des Zeitalters der Aufklärung. Sein wohl berühmtestes Zitat darin lautete: 

[...] dass all die Großen der Erde und alle Adligen mit den Gedärmen der Priester erhängt und erwürgt werden sollten.

Das Zitat steht in einem größeren Textzusammenhang: "Dies erinnert mich an den Wunsch, den ein Mann einmal äußerte, der weder die Wissenschaft kannte noch Bildung besaß, dem es aber offensichtlich nicht an Urteilskraft mangelte, um all die ekelerregenden Missstände und verabscheuungswerten Willkürherrschaften, die ich hier anklage, richtig einzuschätzen. [...] Er wünschte, dass all die Großen der Erde und alle Adligen mit den Gedärmen der Priester erhängt und erwürgt werden sollten."

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Der in Berlin lebende brasilianische Autor und feste Kolumnist beim deutschen Auslandssender Deutsche Welle (DW), João Paulo Cuenca, wagte es nun, dieses historische Zitat, in leicht abgewandelter und auf den brasilianischen Präsidenten gemünzter Form, am 16. Juni auf seinem privaten Twitterkanal zu veröffentlichen: 

Die Brasilianer werden erst frei sein, wenn der letzte Bolsonaro an den Eingeweiden des letzten Pfarrers der Weltkirche aufgehängt wird.

Nur zwei Tage später erklärte der deutsche Auslandssender, ohne vorherige Rücksprache mit dem bekannten brasilianischen Autor, die Aufkündigung seiner Kolumne und Mitarbeit. Zuvor gab es, initiiert von Unterstützern aus dem Bolsonaro-Umfeld, eine massive Diffamierungs- und Drohkampagne in den sozialen Medien gegen den preisgekrönten Autor. 

Die Deutsche Welle gibt bekannt, dass sie die vierzehntägliche Periskop-Kolumne von J. P. Cuenca nicht mehr veröffentlicht, nachdem der Kolumnist in einem privaten Profil in den sozialen Netzwerken eine Botschaft verfasst hat, die gegen unsere Werte verstößt.

Weiter hieß es:

Die Deutsche Welle lehnt selbstverständlich jede Art von Hassreden und Aufstachelung zur Gewalt ab. Das universelle Recht auf Presse- und Meinungsfreiheit wird natürlich nach wie vor gewahrt, aber es gilt nicht für solche Äußerungen.

Der betroffene Autor antwortete der Deutschen Welle und warf ihr unter anderem Feigheit sowie Verleumdung vor und fragte sich, wie sie wohl in Zeiten des deutschen Faschismus agiert hätte:

Ich habe gerade das verlogene, feige und verleumderische Kommuniqué von DW Brasilien gelesen. Es ist beunruhigend zu sehen, wie ein deutsches Medium in das Verfolgungsspiel faschistischer Elemente in Brasilien gerät, und sich zu fragen, ob es zu anderen Zeiten der deutschen Geschichte dasselbe getan hätte.

Zudem kündigte Cuenca rechtliche Schritte an:

Leider werde ich die entsprechenden Maßnahmen ergreifen und die Sache zu Ende bringen müssen. Ich lasse es nicht zu, von der angeblich freien und demokratischen Presse, die mich unterstützen sollte, in irgendeiner Weise verleumdet und diffamiert zu werden.

In einem Interview mit dem Observatório da Imprensa, dem brasilianischen Observatorium zur Situation der Pressefreiheit im Land, legt Cuenca ausführlich dar, wie die DW jede Art von Dialog verweigerte. 

Ich bot [der DW] an, einen Text zu verfassen, der diese Geschichte verdeutlicht und erklärt, was eine Metapher ist, was die französische Aufklärung ist, den historischen Kontext dieses Satzes, zu erläutern, was Tyrannenmord im Laufe der Geschichte ist und was dieser Satz in diesem aktuellen Kontext darstellen würde, was nicht als Aufforderung zum Handeln interpretiert werden kann, was er offensichtlich nicht ist. In diesem Fall habe ich eine Satire auf eine Metapher verfasst. Aber ich hatte keine Möglichkeit zum Dialog.

Das brasilianische Presse-Observatorium kommt in einem Beitrag zu dem Vorfall zu der Schlussfolgerung:

Die Kommunikationspolitik der DW hat sich als katastrophal erwiesen. Warum gab es keine Möglichkeit, das Problem kollegial zu lösen oder zumindest die Zusammenarbeit mit  J.P. Cuenca auf würdevolle Weise zu beenden?

Der Schritt der Deutschen Welle, zudem ohne zuvor das Gespräch mit dem Autor gesucht zu haben, wirft zahlreiche Fragen auf. Zunächst fallen die eklatanten Doppelstandards auf, mit denen die DW hier agiert.

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Während es in der russischen Ausgabe der Deutschen Welle keinerlei Konsequenzen hat, wenn im Rahmen der DW der russische Präsident massiv beschimpft wird – "Bandit" und "Mörder" ist da noch die kleinere verbale Nummer – oder Russland mit Nazi-Deutschland gleichgesetzt wird, führt im Falle des brasilianischen Präsidenten scheinbar bereits die metaphorische Abwandlung eines historischen Zitats zur unmittelbaren Kündigung einer Kolumnistentätigkeit.

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Von der Absurdität, die belegte historische Äußerung eines Frühaufklärers des 18. Jahrhunderts als "Hassrede" im aktuellen Kontext zu werten, ganz zu schweigen. In logischer Folge würde auch, völlig losgelöst vom Zeitgeist und geschichtlichen Kontext, eine Referenz auf die legendäre französische Chanson-Interpretation von Édith Piaf "Ah! Ça ira" unter diese Kategorie fallen, schließlich heißt es dort unverblümt:

Ah, wir werden es schaffen,
Die Adeligen an die Laterne!
Ah, wir werden es schaffen,
Die Adeligen werden wir aufknüpfen!

Während sich Intellektuelle und Journalisten weltweit mit Cuenca solidarisierten, wurde die Entscheidung der Deutschen Welle vom ultrarechten Bolsonaro-Lager in den höchsten Tönen gelobt. So beglückwünschte der Kongressabgeordnete Eduardo Bolsonaro, dritter Sohn von Präsident Jair Bolsonaro, die Entlassung Cuencas mit den Worten:

Herzlichen Glückwunsch DW Brasilien. Es gibt noch Hoffnung in einigen Segmenten der Medien, die ethische und minimal respektvolle Arbeit leisten wollen. Darüber hinaus stehe ich mit meinem Rechtsbeistand in Kontakt, um ihn zu verklagen. 

Der Beifall für die DW kommt von einer Person, die angesichts der anhaltenden Protestwelle in Lateinamerika in einem Fernsehinterview im Oktober 2019 damit gedroht hatte, die Regierung Bolsonaro könnte "einen neuen AI-5" einführen. Mit dem am 13. Dezember 1968 verhängten Dekret AI-5 ermächtigte sich die damalige Regierung, Grund- und Bürgerrechte für eine Dauer von bis zu zehn Jahren aufzuheben. Diese Form des Ermächtigungsgesetzes war der Auftakt einer blutigen staatlichen und paramilitärischen Verfolgungswelle, die zu Hunderten toten und Tausenden gefolterten Oppositionellen führte. 

Wer solche Freunde hat ...

Der deutsche Auslandssender Deutsche Welle, welcher auf eine Anfrage von RT Deutsch zum Vorfall bisher nicht reagierte, hat hier einen Präzedenzfall der Einflussnahme von Regierungen und rechten Lobbygruppen geschaffen. Dies bestätigt auch Cuenca:

Am gravierendsten ist der Präzedenzfall, dass diese faschistischen Lobbygruppen nach Köpfen von Schriftstellern und Intellektuellen verlangen können, in Mediengruppen sogar außerhalb Brasiliens. Es ist ein tragischer Präzedenzfall und eine sehr feige und kriminelle Haltung der Deutschen Welle.

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