Gesellschaft

Im Kampf gegen Corona sitzen Arm und Reich nicht im selben Boot

Auf den ersten Blick kann es jeden treffen. Aber bei genauerem Hinsehen infizieren sich jene Menschen, die sich den Luxus eines Homeoffice nicht leisten können, häufiger mit dem Coronavirus. Und in den meisten Fällen gehören diese der unteren sozialen Schicht an.
Im Kampf gegen Corona sitzen Arm und Reich nicht im selben BootQuelle: AFP © Stephanie Keith / Getty Images

"Wir sitzen alle im selben Boot" – der Spruch scheint für die Coronakrise zu stehen wie kein anderer. Das Virus hat nicht haltgemacht vor dem Schauspieler Tom Hanks, Prinz Charles oder dem britischen Premier Boris Johnson. Im Weißen Haus in Washington rückt Corona immer näher an Präsident Donald Trump heran, ein Bediensteter infizierte sich, zuletzt wurde auch die Pressesprecherin des Vize-Präsidenten positiv getestet. "We are in this together", heißt es in den USA. Doch dort wird auf dramatische Weise deutlich, dass das Virus eben nicht alle gleichermaßen trifft.

In den USA ist es – wie zum Beispiel auch in Großbritannien – üblich, bei Ämtern oder beim Arzt die ethnische Zugehörigkeit anzugeben. Die Daten sollen offenlegen, welche Unterschiede zwischen den gesellschaftlichen Gruppen bestehen, um gezielt gegen die Ungleichheit vorzugehen.

"Es ist verheerend", sagte Chicagos Bürgermeisterin Lori Lightfoot, nachdem sich abgezeichnet hatte, dass das Coronavirus Afroamerikaner besonders stark betrifft. In Chicago sind nach Behördenangaben fast 50 Prozent der Corona-Toten dunkelhäutig, dabei machen sie nur 30 Prozent der dortigen Bevölkerung aus. In der Hauptstadt Washington waren von mehr als 300 Toten über 250 Afroamerikaner. New York City verzeichnete mehr als 60 Prozent der Toten als Schwarze und Latinos, die nach einer Corona-Infektion starben, Weiße machten dort weniger als 30 Prozent aus (Stand: 6. Mai 2020).

Experten zeigen sich alarmiert angesichts dieser Zahlen. Für Afroamerikaner hätten schon immer gesundheitliche Ungleichheiten bestanden, sagte der Berater von Präsident Trump, der Immunologe Anthony Fauci, Anfang April. Doch nun zeige sich einmal mehr, wie inakzeptabel das sei. Eine Krise wie die aktuelle werfe manchmal "ein helles Licht auf einige echte Schwächen in der Gesellschaft".

Es gibt eine Vielzahl von Gründen, warum das Risiko in der Corona-Krise für Afroamerikaner und andere Minderheiten ungleich größer ist: Dazu gehören Lebens- und Arbeitsbedingungen, Vorerkrankungen und der Zugang zur Gesundheitsversorgung, wie eine Auflistung der Gesundheitsbehörde CDC verdeutlicht.

Aus einer Erhebung der Stadt New York geht hervor: Schwarze und Latinos machen einen Großteil der unverzichtbaren Beschäftigten in der Krise aus, der "Frontarbeiter", wie sie derzeit immer wieder genannt werden. In der Gebäudereinigung sind 60 Prozent des Personals Latinos. Bei Fernfahrern, Lagerarbeitern oder Mitarbeitern der Post sind 33 Prozent Schwarze und 27 Prozent Latinos. Mehr als 40 Prozent der Beschäftigten im Öffentlichen Nahverkehr sind dunkelhäutig. All das sind Jobs, die nicht von zu Hause aus erledigt werden können und in denen die Menschen verhältnismäßig weniger verdienen.

Angehörige von Minderheiten leben zudem öfter auf engem Raum und in Mehr-Generationen-Haushalten zusammen, wie der oberste Gesundheitsbeamte der US-Regierung, Vizeadmiral Jerome Adams, erklärte. Das mache es ungleich schwieriger, soziale Distanz zu wahren oder Risikogruppen vor einem hochansteckenden Virus wie SARS-CoV-2 zu schützen.

Hinzu kommt, dass Schwarze häufiger unter Diabetes, Herz- und Lungenerkrankungen litten, sagte Adams, der selbst Afroamerikaner ist. Die CDC führt Gesundheitsunterschiede unter anderem auf finanzielle und soziale Bedingungen zurück. Adams sagte, an seinem persönlichen Beispiel werde deutlich, was es bedeute, in Amerika "arm und schwarz aufzuwachsen": Er habe Bluthochdruck, Asthma und eine Herzerkrankung. Das Risiko für einen schweren Verlauf der Krankheit COVID-19 sei für ihn und viele andere schwarze Amerikaner höher.

"Die heutigen Ungleichheiten mit Blick auf die Gesundheit ergeben sich direkt aus den gestrigen Wohlstands- und Chancenunterschieden", schreibt Kolumnist Jamelle Bouie in der New York Times. Der Journalist George Packer fasst es in der Zeitschrift The Atlantic so: In reichen Städten gebe es eine Schicht global vernetzter Schreibtischarbeiter, "die von einer Klasse prekärer und unsichtbarer Arbeitskräfte abhängig sind".

Das war die Landschaft, die das Virus angreifen konnte.

Die US-Regierung hat einen Bericht in Aussicht gestellt, der aufschlüsseln soll, warum das Coronavirus Minderheiten so viel härter trifft als andere Amerikaner. Das Problem ist jedoch nicht US-spezifisch: In Großbritannien stellten Experten fest, dass Schwarze im Fall einer Corona-Infektion ein mehr als vierfach höheres Sterberisiko haben als Weiße.

Die nationale Statistikbehörde ONS fand solche Auffälligkeiten auch bei anderen Gruppen wie gebürtigen Indern, aber nicht so deutlich. Die Unterschiede bezeichnen Experten als "Ergebnis sozioökonomischer Benachteiligung und anderer Umstände" wie Armut und Wohnort – aber nicht alles sei damit erklärbar. Selbst um solche Faktoren bereinigt war das Risiko für Schwarze doppelt so hoch. David Lammy, Abgeordneter der oppositionellen Labour-Partei, nannte das Ergebnis "entsetzlich" und forderte, die Menschen mehr zu schützen.

Eine Studie von Forschern der Universität Oxford und der London School of Hygiene and Tropical Medicine kam zu einem ähnlichen Ergebnis. Sie analysierten dafür Gesundheitsdaten von über 17 Millionen erwachsenen Briten und 5.707 Todesfällen in Kliniken. Die Forscher wollen den Zahlen nun weiter auf den Grund gehen. Liam Smeeth, einer der beteiligten Wissenschaftler, betonte, man brauche "sehr exakte Daten" zu den Risikogruppen. Nur so könnten die am meisten gefährdeten Patienten besser versorgt werden.

Die Zahlen zeigten, "dass wir alle denselben Sturm überstehen müssen, aber nicht im selben Boot sitzen", sagte Helen Barnard von der Wohltätigkeitsorganisation Joseph Rowntree Foundation. Soziale Unterschiede und solche mit Blick auf Vorerkrankungen, die zu Ungleichheiten in Bezug auf die Gesundheit und Lebenserwartung führen, habe es immer gegeben – das Virus habe sie aber freigelegt, sagte Riyaz Patel, Privatdozent für Kardiologie am University College in London, der New York Times. "Diese Pandemie war nicht der große Gleichmacher. Sie war gewissermaßen der große Verstärker."

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(rt/dpa)

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