Der dreizehnte Mann: Eine rechte Terrorzelle und die "Strategie der Spannung"
Das Massaker von Hanau verdeutlicht erneut die "Gefahr von rechts". Der Täter handelte aus einem fremdenfeindlichen Motiv. Zugleich war er getrieben von einer pathologischen Paranoia und litt offenkundig unter psychischen Problemen. Nach bisherigen Erkenntnisstand handelte er allein und auf eigene Faust.
Von einem ganz anderen Kaliber ist hingegen die sogenannte "Gruppe S.". Spezialkräfte der Polizei gingen am vergangenen Freitag bei Razzien gegen die mutmaßliche rechte Terrorzelle vor. Bei der Gruppierung soll es sich demnach um einen Zusammenschluss von 13 rechtsextremen Männern handeln, von denen fünf die eigentliche Terrorzelle bildeten und acht als sogenannte Unterstützer gelten. Nach den Razzien in sechs Bundesländern wurden Haftbefehle gegen zwölf Männer erlassen. Vier mutmaßliche Mitglieder der Gruppe und acht mutmaßliche Unterstützer sind in Untersuchungshaft.
Die Gruppe um den 53-jährigen Werner S. aus dem Raum Augsburg soll Anschläge auf Politiker, Asylbewerber und Muslime ins Auge gefasst haben, um "bürgerkriegsähnliche Zustände" auszulösen und so die Gesellschaftsordnung ins Wanken zu bringen. Werner S. galt den Behörden demzufolge als rechtsextremer Gefährder. Nach Medieninformationen bildete sich die "Gruppe S." im September 2019. Nach dpa-Informationen lernten sich die Beschuldigten in einer Telegram-Chatgruppe kennen und trafen sich in der Folge lediglich zweimal persönlich.
"Gruppe S." wurde intensiv observiert
Von Anbeginn wurde die Gruppe intensiv observiert, wobei neben der Polizei auch der Verfassungsschutz beteiligt gewesen sei. Wie sich anhand von Recherchen von SWR und ARD-Hauptstadtstudio herausstellte, habe es innerhalb der "Gruppe S." einen Informanten der Polizei gegeben. Demzufolge handele es sich um eine dreizehnte Person, die im Zuge der Razzien allerdings nicht festgenommen worden sei. Laut der Bundesanwaltschaft gehörte diese Person zum Kern der rechtsextremen Gruppierung.
Dem Bericht zufolge soll deren Kontakt zur Polizei in der vergangenen Woche abgerissen sein. Das federführende Landeskriminalamt Baden-Württemberg habe daher einerseits um deren Sicherheit gefürchtet, andererseits Sorge vor spontanen Taten der Gruppe gehabt. Deshalb sei der Zugriff der Polizei erfolgt.
Wie die Welt am Sonntag mit Verweis auf Ermittlerkreise berichtete, agierte die Gruppe unter dem Namen "Der harte Kern". Die Männer hätten unter anderem Beziehungen zu der rechtsextremen Gruppierung "Soldiers of Odin" (SOO) gehabt, einer 2015 in Finnland gegründeten rechtsextremistischen Bürgerwehr, die sich auch nach Deutschland ausbreitete.
Verfassungsschutz erklärt Uniter zum "Prüffall"
Zeitgleich erschüttert ein weiterer Fall von Rechtsextremismus auch die Spezialkräfte von Polizei und Bundeswehr. Für den von aktiven oder ehemaligen Angehörigen militärischer und polizeilicher Spezialeinheiten gegründeten Verein Uniter e.V. interessiert sich demzufolge jetzt auch der Verfassungsschutz. Uniter war nach Ermittlungen zu rechten Netzwerken in die Schlagzeilen geraten.
Laut Spiegel erklärte das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) den Verein zum sogenannten "Prüffall". Der Verfassungsschutz darf über sogenannte Prüffälle, bei denen der Einsatz von V-Leuten und anderer nachrichtendienstlicher Mittel nicht gestattet ist, nicht öffentlich berichten. Das hatte ein Gericht zuletzt im Zusammenhang mit dem Blick der Behörde auf die AfD festgestellt.
Das Bundesamt erklärte auf Anfrage, Uniter sei derzeit kein Beobachtungsobjekt des BfV. In Erfüllung seines gesetzlichen Auftrags bewerte das BfV jedoch "fortlaufend verschiedene Personenzusammenschlüsse hinsichtlich des Vorliegens von tatsächlichen Anhaltspunkten für eine Bestrebung gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung".
Uniter und der Fall Franco A.
Uniter war im Zuge der Ermittlungen zu Franco A. ins Visier der Behörden geraten, ohne dass er selbst dort Mitglied war. Der Bundeswehroffizier hatte sich als syrischer Flüchtling ausgegeben. Er steht im Verdacht, aus einer rechtsextremen Gesinnung heraus Anschläge geplant zu haben.
Andre S., Spitzname "Hannibal", ist ein Mitgründer vom Uniter-Verein. Er war lange im Kommando Spezialkräfte (KSK) eingesetzt und wurde ab dem Sommer 2017 bis zu seiner Versetzung zu einer anderen Einheit als "Auskunftsperson" vom Militärischen Abschirmdienst (MAD) befragt. Im vergangenen September war er aus der Bundeswehr ausgeschieden. Uniter wurde nach eigenen Angaben im Jahr 2010 aus zwei Netzwerken für Kommandoeinheiten der Bundeswehr und der Polizei sowie einer Gruppe aus dem europäischen NATO-Kommando Shape gegründet. Dem Verein gehören aktuell – nach Angaben eines Mitgliedes – noch knapp 1.000 Personen als Vereinsmitglieder an. Viele frühere Mitglieder seien nach der Berichterstattung über vermeintliche rechtsextreme Verstrickungen aus dem Verein ausgetreten.
Unterdessen steht weiterhin die Frage im Raum, was den Soldaten Franco A. dazu veranlasste, sich eine Scheinidentität als Flüchtling zuzulegen. Die Ermittler schließen demnach nicht aus, dass er und seine möglichen Komplizen im Zuge eines Anschlags beabsichtigten, eine falsche Fährte zu dem vermeintlichen Asylbewerber zu legen, um so die Stimmung gegen Flüchtlinge anzuheizen.
Auch wenn dies vorerst Spekulation bleibt, wäre es nicht das erste Mal, dass Rechtsextremisten mit Anschlägen "unter falscher Flagge" die politische Stimmungslage zu beeinflussen versuchen – wie Beispiele aus der jüngeren Geschichte zeigen.
Neonazis "unter falscher Flagge"
So deckte die belgische Polizei im Jahr 2006 eine Verschwörung von rechtsextremen Armeeangehörigen auf, die auf einen Staatsstreich abzielte. Bei Razzien in fünf Kasernen und 18 Privatwohnungen wurden seinerzeit 17 Neonazis festgenommen. Die Männer gehörten einer Geheimorganisation namens Bloed-Bodem-Eer-Trouw (Blut-Land-Ehre-Ruhm) an – einem Ableger des militant-rechtsextremen Netzwerks Blood and Honour.
Mindestens zehn von ihnen waren aktiv im belgischen Militär, ihre paramilitärischen Übungen hielten die Neonazis auf einem Armeegelände ab. Bei den Durchsuchungen fanden die Ermittler neben Propagandamaterial ein umfangreiches Waffenarsenal sowie eine einsatzbereite Rucksackbombe.
Zudem wurden detaillierte Aufzeichnungen über geplante Anschläge, einschließlich bereits vorgefertigter Bekennerschreiben, sichergestellt. Im Rahmen der Strategie der Spannung plante die konspirative Gruppe demnach die Ermordung des Vorsitzenden der rechtsextremen Partei Vlaams Belang. Das Attentat sollte durch entsprechende Spuren Muslimen in die Schuhe geschoben werden. Anschließend sollte ein Vertreter einer islamischen Organisation getötet werden. Damit sollte eine Gewaltspirale in Gang gesetzt werden, die auf die Destabilisierung des Staates abzielte. Die Behörden sprachen seinerzeit von einer gezielten Unterwanderung der Armee.
Ähnliche Umsturzpläne konnten die italienischen Behörden vor drei Jahren vereiteln. Im Dezember 2014 nahm die Polizei 14 Mitglieder eines neofaschistischen Netzwerkes fest, das laut Behördenangaben durch Attentate das Land zu destabilisieren beabsichtigte. Gegen 40 weitere Personen wurde ermittelt.
Als Vorbild diente den Neonazis die italienische neofaschistische Terrororganisation Ordine Nuovo (Neuer Orden), die zu Beginn der 1970er Jahre mehrere Bombenattentate mit zahlreichen Toten durchführte, die sich gegen "weiche Ziele" wie Marktplätze oder etwa den Bahnhof in San Benedetto Sambro-Castiglione Pepoli richteten. Die Behörden machten damals zunächst – wie erhofft – Linksextremisten für die Bluttaten verantwortlich. Erst Jahre später wurde bekannt, dass der faschistische Orden für die Terrorakte verantwortlich war – und dabei von staatlichen Stellen gedeckt wurde, da er im Rahmen der NATO-Geheimarmeen in Italien unter dem Namen Gladio agierte.
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(rt/dpa)
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