Europa

Bosnien und Herzegowina: Der Streit um die Rückkehr von IS-Kämpfern und ihren Angehörigen

Bosnien und Herzegowina (BiH) ist eine Hochburg islamischer Extremisten in Europa. Viele von ihnen zogen mitsamt Ehefrauen in den Nahen Osten, um für den IS zu kämpfen. Nun wird die Frage nach einer Rückkehr der Kämpfer und ihrer Familienangehörigen immer drängender.
Bosnien und Herzegowina: Der Streit um die Rückkehr von IS-Kämpfern und ihren AngehörigenQuelle: Reuters

von Marinko Učur, Banja Luka 

In kurdischen Lagern im Norden und Nordosten Syriens leben offiziellen Angaben zufolge derzeit 100 Personen (überwiegend Frauen und Kinder) mit der Staatsbürgerschaft Bosnien und Herzegowinas (BiH). Dabei handelt es sich konkret um Familienangehörige islamistischer Terroristen, die dort für den "Islamischen Staat" (IS) im Einsatz waren. 

Wie der Autor aus Geheimdienstquellen erfahren konnte, soll die Anzahl der in Syrien inhaftierten Personen aus Bosnien und Herzegowina mindestens doppelt so hoch sein. Während den IS-Kämpfern entweder die Auslieferung an bosnische Behörden oder aber ein Prozess in Serbien bevorsteht, hoffen deren Frauen und ihre Kinder, die in einem der Ausbildungslager der Terroristen geboren wurden, auf eine Begnadigung. Diese würde es ihnen ermöglichen, zurück in ihr Herkunftsland deportiert zu werden. 

Daher schreiben sie von Zeit zu Zeit wie Büßer an die BiH-Behörden, ihre Situation bitte zu verstehen, sie zurück ins Land zu bringen und ihnen eine neue Chance zu geben. Ein solcher Brief gelangte in die Hände von Journalisten, die ihn sofort veröffentlichten und von den zuständigen Institutionen eine Erklärung forderten, ob eine Möglichkeit bestünde, sich um diese Personen zu kümmern, die in den kurdischen Lagern al-Hol und Roj untergebracht sind. In dem Brief heißt es:

Wir wenden uns erneut an die zuständigen Behörden mit der Frage, warum wir uns noch immer im kurdischen Gefängnis befinden. Vor mehr als einem Jahr wurde dies mit der Feststellung unserer Identität – ob wir Bürger von Bosnien und Herzegowina sind oder nicht – begründet. Danach wurde dies mit unseren hier in Syrien geborenen Kindern begründet, und nach der Gesetzgebung Bosnien und Herzegowinas steht diesen Kindern das Recht auf die BiH-Staatsbürgerschaft dann zu, wenn mindestens ein Elternteil Staatsbürger Bosnien und Herzegowinas ist.

Wir erinnern Sie daran, dass uns als Bürgern Bosnien und Herzegowinas Menschenrechte zustehen, dass unsere Kinder in Zelten auf dem Boden leben, sie nicht wissen, was Möbel, Bäder, Toiletten usw. sind, und dass unsere Kinder nicht zur Schule gehen.

Wer wird für die Verletzung von Kinderrechten verantwortlich sein? Sind wir es als Mütter unserer Kinder, oder die Kurden, die uns seit knapp zwei Jahren hier festhalten, oder Sie, die über unsere Rückkehr entscheiden?

Jeder macht Fehler im Leben, aber jeder hat das Recht auf eine zweite Chance. Es gibt viele Gründe, warum jemand nach Syrien gekommen ist, es gibt viele Geschichten, die nie erzählt wurden, und missverstandene Männer und Frauen.

Wir brauchen eine Antwort auf die Frage, wann wir nach Hause gehen werden, aber diesmal fordern wir die Wahrheit, weil die Wahrheit weniger schmerzhaft ist als Lügen. Wir haben zumindest verdient, dass uns gegenüber gesagt wird, wann wir anfangen werden, ein normales Leben zu führen, wann wir ohne Angst, dass die Armee in unsere Zelte eindringen könnte, einschlafen werden und unseren Kindern nicht mehr erklären müssen, was Spielplätze sind, sondern dass sie diese selbst sehen, dass wir versuchen, alle Beleidigungen, Schläge und Demütigungen, die wir erlitten haben, zu vergessen und einfach in Frieden zu leben.

Vor nicht allzu langer Zeit forderte Alema Dolamić, Schwester der Ehefrau des gefallenen Dschihadisten Nermin Jahić, die Behörden von Bosnien und Herzegowina schriftlich auf, Schritte einzuleiten, damit ihre Schwester und drei weitere Frauen mit insgesamt neun Kindern aus dem kurdischen Lager evakuiert werden. Aber vergebens. Es hat sich nichts geändert, und die verzweifelte Dolamić teilte den Behörden mit:

All jene wissen, dass sie einen Fehler begangen, dass sie sich und ihre Kinder in Gefahr gebracht haben, aber ist das die größte Sünde der Welt? Wenn sie schuldig sind, sollen sie zur Rechenschaft gezogen werden, dann soll ihnen der Prozess gemacht werden, dann sollen sie in Gefängnisse in ihrem eigenen Land gebracht werden, und nicht in Lager eines anderen Landes, zusammen mit minderjährigen Kindern!

Regierungsbeamte sagen, dass sie mit dieser Situation vertraut sind, gestanden aber auch eine gewisse Hilfslosigkeit ein. So heißt es in einer Mitteilung des Sicherheitsministeriums:  

Familienangehörige von Menschen in Lagern sollten sich der Tatsache bewusst sein, dass der Schlüssel zur endgültigen Lösung nicht nur in den Händen Bosnien und Herzegowinas und seiner Institutionen liegt, sondern dass dies von einer Reihe von Faktoren und Umständen auf internationaler Ebene abhängt, die Bosnien und Herzegowina entweder überhaupt nicht oder nur begrenzt beeinflussen kann. Wir werden weiterhin nach den besten Lösungen suchen und in diesem Bereich eng mit allen anderen Partnern zusammenarbeiten.

Der Sicherheitsminister von Bosnien und Herzegowina, Dragan Mektić, äußerte sich dazu weniger zurückhaltend:

Wir können hier kein Reservat für jene sein, denen plötzlich einfällt, nach Bosnien und Herzegowina zu kommen, als hätten sie nicht unter der Flagge des Terrorismus gekämpft. Die aber dann, wenn es für sie lebensgefährlich wird, die Rückkehr ins Land einfordern. Wessen Staatsbürger sind deren Ehemänner? Welche Staatsbürgerschaft haben ihre inzwischen geborenen Kinder? Wir werden alles überprüfen, und wenn wir jemanden annehmen werden, müssen wir zunächst sicher sein, dass jener keine Straftat begangen hat, und erst dann können wir über eine neue Chance für diesen Menschen und seine Familienangehörigen sprechen, die sich nun in Syrien befinden.

Es scheint, dass die zuständigen Vertreter der BiH-Behörden kein Verständnis für die Hilferufe der Familienangehörigen ehemaliger Kämpfer des Islamischen Staates haben und dass die Ehefrauen gefallener IS-Kämpfer noch lange auf eine Rückkehr und eine neue Lebenschance warten müssen. 

Zudem ist völlig unklar, wo mögliche Rückkehrer untergebracht werden könnten. Bislang gibt es dazu keine Vereinbarung, da Kroaten und Serben absolut dagegen sind, dass sie in den von ihnen kontrollierten Gebieten unterkommen. 

Der einzige potenzielle Standort ist das Flüchtlingslager Salakovac, das abgeschieden in der Bergregion südlich von Sarajevo liegt. Dort könnten die Ehefrauen und Kinder von Dschihadisten – und zu einem späteren Zeitpunkt auch ehemalige Kämpfer – untergebracht werden, nachdem sie strafrechtlich verfolgt wurden und etwaige Gefängnisstrafen verbüßten. Auf diese Weise könnten die Sicherheitsdienste auf einfache Weise und an einem Ort zentralisiert radikale Islamisten kontrollieren und ihnen und ihren Familien zugleich eine Chance für einen Neuanfang geben. 

In einem Land mit prekären wirtschaftlichen und politischen Verhältnissen führen solche Fragen zu zusätzlichen Spannungen unter den nationalen Eliten, von denen sich jede auf eigene Weise von jeglichen Beziehungen zu ehemaligen IS-Kämpfern und ihren Familienmitgliedern distanzieren. Im Grunde handelt es sich bei dem Problem um eine Erblast aus dem Bürgerkrieg der 1990er-Jahre. Damals öffnete der bosnisch-muslimische Kriegsherr Alija Izetbegović arabischen Extremisten die Tür, um die Serben zu bekämpfen. Seitdem konnten sich islamischer Fanatismus und Radikalismus in Bosnien und Herzegowina etablieren. 

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