Europa

Unterschlupf für Wahlverlierer oder die Bühne für Poroschenko im Kanzleramt

Vom ersten Blick: übliche Schnörkel und diplomatische Nettigkeiten: Es war auch bei früheren Treffen von Angela Merkel und Petro Poroschenko schon alles gesagt worden. Doch die kurze Strippvisite des ukrainischen Staatsoberhaupts in Berlin war diesmal einer besonderen Art.
Unterschlupf für Wahlverlierer oder die Bühne für Poroschenko im KanzleramtQuelle: www.globallookpress.com

von Wladislaw Sankin 

Die Gastgeberin Angela Merkel redete nur fünf Minuten, damit war dies einer ihrer kürzesten Presseauftritte mit einem ausländischen Staatsoberhaupt. Ihr Gast, der noch amtierende ukrainische Präsident Petro Poroschenko, nahm sich doppelt so viel Zeit, denn in seinem Land tobt derzeit brutaler Präsidentschaftswahlkampf, und auf ihn sind viele Fernsehkameras ukrainischer Sender gerichtet.

Sein Herausforderer, der Komiker Wladimir Selenskij, treibt den Amtsinhaber mit frechen Videos und absurden Vorschlägen wie etwa Blut- und Urintests vor sich her. Petro Poroschenko wirkt immer orientierungsloser, seine Umfragewerte nach der Schlappe in der ersten Wahlrunde sind nun noch miserabler als erwartet. Sein Team und seine Medien machen vor lauter Ratlosigkeit täglich immer mehr Fehler. Sie suchen bei Selenskij vergeblich nach kompromittierendem Material und versteigen sich zu offenen Drohungen. Eine ganz sichere Nummer sollte dagegen der Besuch bei der Bundeskanzlerin werden.

Außer, dass sich Merkel und Poroschenko als Teil der Normandie-Gruppe auf die Waffenruhe über Ostern – inzwischen eine Tradition an Feiertagen – verständigt hatten, gab es dabei nichts Neues, das nicht schon in den letzten Jahren von den beiden verkündet worden wäre. Eine Waffenruhe braucht man nicht nur im Osten des Landes – am Ostersonntag findet in der Ukraine die Stichwahl statt.

Merkel lobte die Ukrainer erneut für ihren Mut bei der "Maidan-Revolution", ermutigte sie zum Festhalten an Reformen, die "schmerzen", die ukrainische Wirtschaft lobte sie für die Stabilisierung, die sie für Finanzmärkte attraktiv mache. Von Russland forderte die Kanzlerin die Freilassung der ukrainischen Matrosen, die im November 2018 wegen Manövern in russischen Gewässern festgesetzt wurden. Die Minsker Vereinbarungen, die im Januar 2015 beschlossen wurden, nannte sie sinnvoll, weil sie den bewaffneten Konflikt eindämmen konnten.

Mehr zum Thema - Poroschenko und Selenskij liefern sich Schlagabtausch am Telefon

Petro Poroschenko schaffte es dabei wieder, in mehrere Rollen zu schlüpfen. Als seiner Rolle als Bittsteller bedankte er sich neunmal bei der Kanzlerin – für die Behandlung der ukrainischen Soldaten im Bundeswehr-Krankenhaus, die Hilfe bei Reformen und die Unterstützung, ohne die es die Ukraine wahrscheinlich heute nicht mehr gäbe. Als Wertepartner und Ideologe sprach er erneut von der "Rückkehr der Ukraine in die europäische Familie", von Freiheit und Demokratie und dem sicheren Weg in NATO und EU. Auch die Rede vom "russischen Aggressor[en]" durfte nicht fehlen, da unterstrich er wieder die Wichtigkeit der Sanktionen, die die sonst bereits fast vergessene G7 gegen Russland verhängt hatte.

In seiner dritten Rolle war der Präsident Wahlkämpfer. Sein eigener privater Fernsehkanal Prjamij stellte in Anspielung auf das Telefongeplänkel zwischen ihm und Selenskij vom Vortag eine Frage. Poroschenko trat unerwartet in einer Live-Show des Fernsehsenders 1+1 auf und rief seinen Rivalen Selenskij an. Die beiden stritten um den Termin für das Rededuell, keiner wollte nachgeben, und der Schauspieler beendete das Gespräch mit den Worten: "Doch jetzt bin ich fertig: am 19. im Olympiastadion. Punkt. Auf Wiedersehen."

"Gestern hatten wir eine Mini-Debatte im Fernsehsender Ihres Opponenten (gemeint ist der Oligarch Igor Kolomoiski – Anm. der Red.). Was ist das für ein Mensch, der nicht zu Ende zuhören kann und einfach den Hörer auflegt? Kann man mit so einem über die ernsten Fragen auf der internationalen Bühne sprechen?", fragte die Korrespondentin.

Glauben Sie, dass ich das kommentieren muss? Ich glaube, Sie haben die Sendung gesehen, und sie werden die richtigen Schlüsse aus diesem Verhalten ziehen. Danke für die Frage", antwortete Poroschenko sichtlich vergnügt.

Dabei schielte der Präsident ganz kurz zur Bundeskanzlerin, die mit versteinerter Miene dem offenbar durchdirigierten Dialog lauschte.

Bei diesen kurzen Presseauftritten sind die Fragen besonders kostbar. Regierungssprecher Steffen Seibert vergab nur je zwei Fragen. Die Deutsche Presse-Agentur konnte dabei mit zwei kritischen Fragen punkten. "Warum ergreifen Sie einseitig Partei für den amtierenden Präsidenten und treffen sich nicht auch mit dem anderen Kandidaten?", fragte der Journalist die Kanzlerin. "Was haben Sie falsch gemacht in ihren fünf Jahren, dass ein Komiker so an Ihnen vorbeizeihen konnte?", wollte er von Poroschenko wissen.

Angela Merkel zeigte sich unvorbereitet. Dass man "sich öfters sieht und im Gespräch bleibt", war ihr einziges "Argument". Poroschenko zeigte sich schlagfertiger und eilte ihr zu Hilfe. Dringende Fragen wie die Sicherheit der Ukraine oder das Investitionsklima für deutsche Unternehmen könnten nicht auf Eis gelegt werden, deutete er an, dass diese "Eiszeit" infolge seiner Abwahl zwangsläufig erfolgen werde.

Seinen möglichen Nachfolger nannte Poroschenko einen "virtuellen Kandidat[en]" und "eine Katze im Sack". Es sei aber nicht allein ein ukrainisches Phänomen, dass "systemferne" Politiker an die Macht kommen. Dies sei auch in Europa mitunter der Fall.

Das Interessante dabei ist: Poroschenko hatte an dieser Stelle Recht. Der Komiker Selenskij mied bislang geschickt den direkten Schlagabtausch mit Poroschenko in einer Debatte, in der das politische Schwergewicht ihn womöglich durch staatstragende Rhetorik schlagen kann – und gewinnt. Er ist in der Tat ein "virtueller Kandidat" und eine "Katze im Sack". Und 71,4 Prozent der bereits entschiedenen Wähler wollen ihn haben. 28,6 Prozent würden für den amtierenden Präsidenten stimmen. Die Tendenz zeigt: Am 21. April könnten es noch weniger sein. Und ein Auftritt im Kanzleramt kann wenig daran ändern.

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