Europa

Nach Triumph bei Regionalwahlen in den Niederlanden: Wer ist eigentlich Thierry Baudet?

Nur zwei Tage nach der Gewalttat von Utrecht wählten die Niederländer ihre Regionalparlamente. Die Wahl wurde zu einem Denkzettel für die Koalition in Den Haag. Das EU-skeptische Forum für Demokratie jubelt – doch wer steckt hinter der Partei?
Nach Triumph bei Regionalwahlen in den Niederlanden: Wer ist eigentlich Thierry Baudet?Quelle: AFP © Vincent Jannik

Die Mitte-Rechts-Koalition der Niederlande hat bei den Regionalwahlen eine schwere Schlappe erlitten. Die Regierung unter dem rechtsliberalen Premier Mark Rutte verlor nach ersten Prognosen deutlich ihre Mehrheit in der Ersten Kammer des Parlaments. Dies ergab der vom niederländischen Fernsehen am Mittwochabend veröffentlichte erste Trend auf der Grundlage von Wählerbefragungen. Die Erste Kammer ist mit dem deutschen Bundesrat zu vergleichen. Großer Gewinner ist nach der Prognose das Forum für Demokratie.

Die EU-skeptische Anti-Immigrationspartei wurde demnach auf Anhieb zweitstärkste Kraft mit rund 13 Prozent. Bislang war das Forum nicht in der Ersten Kammer vertreten und auch nicht in den Regionalparlamenten. Doch nun wird die Partei von Thierry Baudet in einigen Regionen nach ersten Prognosen sogar stärkste Kraft. Die Anti-Islam-Partei für die Freiheit von Geert Wilders erlitt dagegen deutliche Verluste. Starke Gewinne erzielten auch die niederländischen Grünen.

Die Wahl war von den tödlichen Schüssen in Utrecht vom Montag überschattet worden. Die Niederländer wählten die 570 Abgeordneten ihrer Regionalparlamente und bestimmten damit zudem indirekt die Zusammensetzung der Ersten Kammer. Die rechtsliberale VVD von Premier Rutte musste Verluste hinnehmen und bleibt wohl mit rund 16 Prozent stärkste Kraft. Stärker verloren aber seine Koalitionspartner. Der Verlust der Mehrheit in der Ersten Kammer des Parlaments wird als deutliche Schwächung der Regierung unter Rutte bewertet. Sie ist nun auf die Unterstützung der Opposition angewiesen, um Gesetzesvorhaben durchzusetzen.

Am Montag hatte ein Mann in Utrecht in einer Straßenbahn drei Menschen erschossen und drei weitere schwer verletzt. Die Polizei schließt ein terroristisches Motiv nicht aus. Hauptverdächtiger ist ein 37 Jahre alter türkischstämmiger Mann. Die Vorsitzenden des Forums für Demokratie und der Partei für die Freiheit hatten die Regierungsparteien für die Todesschüsse mitverantwortlich gemacht und einen direkten Bezug zur Einwanderung hergestellt.

Baudet gilt als der kommende Mann in der niederländischen Politik. Innerhalb weniger Jahre hat er Geert Wilders im rechten Spektrum der niederländischen politischen Landschaft den Rang abgelaufen. Baudet ist ein Enkel des berühmten niederländischen Historikers und Kriegsreporters Ernest Henri Philippe Baudet (1919–1998). Dessen Vater war der Mathematiker Han Baudet. Über seine Urgroßmutter väterlicherseits ist Thierry Baudet indischer Abstammung. Die Wurzeln der Familie liegen jedoch in Frankreich.

Doch wofür steht Baudet genau? Der 36-jährige Politiker gilt als Euroskeptiker und lehnt den sogenannten Multikulturalismus ab. Im Jahr 2014 hielt er eine Rede auf der flämischen nationalistischen Veranstaltung IJzerwake. Er sprach auch auf mehreren Konferenzen der belgischen Seperatisten Vlaams Belang. Baudet hat erklärt, dass seine konservativen politischen Überzeugungen weitgehend von zwei Ereignissen in seinem ersten Jahr als Student der Geschichte in Amsterdam beeinflusst wurden: den Anschlägen vom 11. September und der Ermordung von Pim Fortuyn.

Pim Fortuyn war praktisch der Vorläufer von Geert Wilders in der Rolle des islam- und immigrationskritischen "Bürgerschrecks". Der offen homosexuell lebende Fortuyn sagte 2006 auf die Frage warum er eine muslimische Einwanderung ablehne: "Ich habe nicht den Wunsch, die Emanzipation von Frauen und Homosexuellen noch einmal durchzugehen." Schon fünf Jahre zuvor, im August 2001, hatte er in einem Zeitungsinterview erklärt: "Ich bin auch für einen Kalten Krieg mit dem Islam. Ich sehe den Islam als eine außerordentliche Bedrohung, als eine feindliche Religion." Er wurde am 6. Mai 2002 von dem Umwelt- und Tieraktivisten Volkert van der Graaf ermordet. Ohne die Vorarbeit Fortuyns wären die späteren Wahlerfolge von Geert Wilders kaum denkbar gewesen. Nun also die Wachablösung durch Baudet, der sich auch schon mal ganz unbescheiden als "wichtigsten Intellektuellen der Niederlande" bezeichnet.

Baudet studierte Geschichte und Rechtswissenschaften und arbeitete zunächst an der Universität Leiden als wissenschaftlicher Mitarbeiter. Im Jahr 2012 promovierte er und war danach als Postdoc an der Universität Tilburg tätig. Er schrieb Artikel für das NRC Handelsblad, und wurde unter anderem auch in der französischen Tageszeitung Le Monde veröffentlicht. Er setzt sich nicht nur für den Austritt der Niederlande aus der Europäischen Union ein, sondern möchte auch deren Auflösung. Beim Thema Einwanderung macht er Migranten schon mal gerne für eine "homöopathische Verwässerung" verantwortlich und spricht sich für "ein dominantes weißes und kulturelles Europa" aus.

Doch genauso wie Fortuyn und Wilders kann man Baudet nicht allein mit "konservativ" umschreiben. Denn wie bei den beiden anderen hat auch Baudet eine stark ausgeprägte libertäre Seite. Laut Eigenauskunft möchte er auch "für ein offenes, tolerantes und demokratisches Niederlande [stehen], in dem die Menschen nach ihren individuellen Eigenschaften beurteilt werden, nicht nach ihrer sozialen Klasse, Hautfarbe, Rasse oder sexuellen Präferenz". Es sei seine Pflicht als Politiker, mit Menschen auf allen Seiten des politischen Spektrums zu sprechen, "von links nach rechts, von Mainstream zu weniger Mainstream", so Baudet.

Auch außenpolitisch tanzt er gerne aus der Reihe. Baudet ist gegen den Beitritt der Ukraine zur Europäischen Union. Das Forum für Demokratie richtete das Referendum im Jahr 2016 über das niederländische Assoziierungsabkommen zwischen der Ukraine und der Europäischen Union mit ein. Im November 2016 unterzeichnete Baudet ein Schreiben des deutschen Journalisten Billy Six, in dem Donald Trump aufgefordert wurde, auf eine neue Untersuchung zum Flug MH17 zu drängen.

Interessenterweise legt der sonst eher libertäre Baudet ausgerechnet beim Thema Kunst eine stockkonservative Sicht an den Tag. In seinem Buch "Oikofobie, De angst voor het eigene" ("Oikophobie, die Angst vor dem eigenen") kritisiert er den "Selbsthass" der Linken und erklärt, dass nicht-westliche Kunst und die westliche Moderne ab dem 20. Jahrhundert als minderwertig zu bezeichnen seien. Atonale Musik lehnt er ab, genauso wie die moderne Architektur nach 1950.  Seine erste Rede im Parlament begann er auf Latein. 

Im Februar 2018 wurde Baudet in einer Debatte mit Femke Halsema mit der Frage konfrontiert, ob es einen Zusammenhang zwischen IQ und Rasse gebe. Theo Hiddema, Parteimitglied seit 2016 und Yernaz Ramautarsing, die Nummer zwei auf Baudets Liste für die niederländischen Kommunalwahlen im Jahr 2018 in Amsterdam, erklärten, sie hielten das für wahr, während Baudet sich weigerte, die Frage zu beantworten. Die stellvertretende Premierministerin der Niederlande Kajsa Ollongren erklärte daraufhin, dass das Forum für Demokratie eine größere Bedrohung sei als Wilders Partei für die Freiheit und dass die Mitglieder eine ungesunde Faszination für Rassenunterschiede hätten. Baudet legte Beschwerde wegen Diffamierung auf einer Amsterdamer Polizeistation ein. Hiddema unterstützte ihn als seinen Anwalt. In einer Debatte einige Tage später weigerte sich Baudet jedoch nicht mehr, die heikle Frage zu beantworten und erklärte, dass er die Meinung von Ramautarsing zu diesem Thema teile.

Er pflegt Kontakte zu konservativen Intellektuellen wie Theodore Dalrymple, Roger Scruton und Paul Cliteur und besuchte häufig Douglas Murray, Jeremy Rabkin und Alain Finkielkraut. Allerdings scheute er auch nicht den Kontakt mit offen rassistischen Persönlichkeiten wie dem US-Journalisten Jared Taylor, der sich für Rassentrennung einsetzt und davon ausgeht, dass es Unterschiede im "IQ zwischen den Rassen" gibt. Laut Taylor sind "Schwarze im Allgemeinen weniger intelligent als Lateinamerikaner, während Lateinamerikaner im Allgemeinen weniger intelligent sind als Weiße, und Weiße im Allgemeinen weniger intelligent sind als Ostasiaten". Auch Kontakte zu Milo Yiannopoulos, Jean-Marie Le Pen und dem belgischen rechtsextremen Filip Dewinter, sind dokumentiert.

Ständen heute Parlamentswahlen in den Niederlanden an, käme sein Forum laut Umfragen auf 20 Sitze, die regierende VVD auf 23 und die PVV von Geert Wilders auf 15. Damit würde Baudet automatisch zum Königsmacher. Sollten auch die Niederlande demnächst einen EU-skeptischeren Kurs fahren, würde Bundeskanzlerin Merkel einen ihrer engsten Verbündeten für ihre Flüchtlings- und Wirtschaftspolitik verlieren. Für politische Beobachter steht nun die spannende Frage im Raum, wie der amtierende Ministerpräsident Mark Rutte mit der Situation umgehen wird.

 

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