EU-Reformpläne: Macron will "Demokratiepolizei" gründen
von Hasan Posdnjakow
Der französische Präsident Emmanuel Macron hat auf der Webseite des Präsidialamtes einen programmatischen Text zur Zukunft der Europäischen Union veröffentlicht. Im Dokument, das er "Für einen Neubeginn in Europa" betitelte, warnt er davor, dass "Europa" in großer Gefahr sei.
Beispielhaft dafür nennt er die demokratische Entscheidung des britischen Volkes, aus der EU auszutreten. Er folgert allerdings daraus nicht, dass etwa die neoliberale, kapitalfreundliche Politik der EU oder ihre kriegstreiberische Politik im Widerspruch zu den Grundinteressen der Völker der EU-Staaten stehen und das Staatenbündnis daher immer unbeliebter wird. Nein, schuld sind Lügner und Verantwortungslose, die über die EU lästern:
Wer hat den Briten die Wahrheit über ihre Zukunft nach dem Brexit gesagt? Wer hat ihnen gesagt, dass sie keinen Zugang mehr zum europäischen Markt haben werden? … Jene, die mittels falscher Behauptungen die Wut der Menschen ausnutzen, versprechen alles Mögliche und dessen Gegenteil"
Er beschwört, dass die einzige Alternative zur EU die "nationalistische Abschottung" sei, und dass diese "Falle … ganz Europa" bedrohe.
Statt ernsthaft auf die Sorgen der durch desaströse EU-Politik Abgehängten einzugehen, schiebt er die ganze Schuld auf ominöse Manipulierer. Gegen genau diese Manipulation "müssen wir", so appelliert der umstrittene französische Staatschef, "uns zur Wehr setzen." Überhaupt sei die EU ein "einzigartiges Projekt für Frieden, Wohlstand und Freiheit." Nur so könnten sich die Mitglieder der EU gegen die "aggressiven Strategien der Großmächte" wehren.
Symbolisch für die EU steht laut Macron unter anderem "ein renoviertes Gymnasium, eine neue Straße, ein schneller Zugang zum Internet, der endlich eingerichtet wird". Millionen Bundesbürger hierzulande, für die schnelles Internet und 4G noch Fremdwörter sind und deren Kommunikationsgeschwindigkeiten auf dem Niveau der 1990er Jahre verharren, werden sich wohl jetzt fragen, ob Macron je in der Bundesrepublik war oder ob Frankreich in einem anderen Jahrhundert lebt als Deutschland.
Ein wenig Selbstlob erlaubt sich der neue Sonnenkönig auch noch. So erklärt er beispielsweise:
Ich führe (den Kampf für die EU) im Namen Frankreichs ohne Unterlass, um Europa voranzubringen und sein Modell zu verteidigen."
Der französische Präsident sieht stets dunkle Verschwörungen am Werk und erklärt etwa, dass "bei jeder Wahl fremde Mächte unser Wahlverhalten zu beeinflussen suchen". Um sich gegen diesen unbestimmten, aber stets präsenten Feind zu verteidigen, schlägt Macron die Gründung einer "europäischen Agentur für den Schutz der Demokratie" vor. Das ist schon ein verdächtig kreativer Einfall! Im früheren sogenannten "Ostblock" trugen die Geheimdienste immer so langweilige, öde Bezeichnungen wie "Ministerium für Staatssicherheit" oder ähnliches. Eine neue Geheimpolizei ganz leger als einen Demokratiewächter zu bezeichnen, das ist genial! Die Beamten dieser neuen Organisation gleich für die ganze EU sollen die Wahlen in den einzelnen Mitgliedsstaaten vor "Hackerangriffen und Manipulation" schützen.
Zudem soll es politischen Parteien in der EU verboten werden, sich durch "fremde Mächte" finanzieren zu lassen. Und auch eine Internet-Zensur leuchtet Macron ein:
Wir müssen durch EU-weite Regelungen Hass- und Gewaltkommentare aus dem Internet verbannen, denn die Achtung des Einzelnen ist die Grundlage unserer Kultur der Würde."
Am Anfang desselben Abschnittes hatte er freilich noch beschworen, dass "das europäische Modell" auf der "Freiheit des Menschen" und der "Vielfalt der Meinungen" beruht. Wer definiert eigentlich, was genau als Hass- oder Gewaltkommentar eingestuft wird? Vielleicht eine neue europäische Agentur für politische Korrektheit? Die Vielfalt der Meinungen findet ihr Ende dann eben doch, wenn der Meinungsäußerer es wagt, außerhalb des vom Möchtegern-Sonnenkönig genehmigten Rahmens zu treten. Dann wird er aus sozialen Medien ausgesperrt oder bekommt ein EU-zertifiziertes und somit demokratiefreundliches Gummigeschoss gegen sein Kommunikationsinterface, sinnbildlich also gegen Hände oder Gesicht.
Überhaupt scheint der französische Präsident die Lösung in einer Art "Flucht nach vorn" zu sehen. Neben der EU-Demokratiepolizei möchte er auch eine "gemeinsame Grenzpolizei" und gleich noch ein Asyl-Amt auf EU-Ebene. Auch ein "Europäischer Rat für innere Sicherheit" darf in den kühnen Wahn-, pardon, Reformvorstellungen von Macron nicht fehlen. Ob dann der Hohe Rat die Sicherheit auch jener Tausenden verletzten französischen Demonstranten garantiert? Ob er verhindert, dass Hunderte ihre Augen, Hände oder sonstige Organe verlieren, aufgrund menschenverachtenden Gewalteinsatzes durch die Polizei?
Auch für die internationale Politik hat Macron frohe Botschaft. Er fordert, die Militärausgaben noch weiter zu erhöhen, ganz im Einklang mit den "sanftmütigen Empfehlungen" der USA gegenüber den restlichen NATO-Staaten. Auch sollen Unternehmen in der EU bestraft oder gar verboten werden können, "die unsere strategischen Interessen und unsere wesentlichen Werte untergraben". Ein klareres Signal der Lust zu streiten hätte man wohl an China und Russland nicht senden können.
Außer einer vagen Idee einer EU-weiten "sozialen Grundsicherung", verbunden mit einem einerseits EU-weit geltenden, andereseits allerdings länderspezifischen Mindestlohn, hat der französische Präsident sozialpolitisch nichts zu verkünden. Der Grieche ist genügsam.
Sein großangelegtes Projekt für die kommenden EU-Wahlen will Macron mit einer Scheinbeteiligung der Bevölkerung in Form von "Bürgerpanels" schmücken. Auch Placebo soll ja bisweilen angeblich Wunder wirken. Solche von den Politikern selbst ausgewählten Gremien spiegeln freilich in keiner Weise Demokratie wider, weder die reale soziale Zusammensetzung des Volkes noch dessen politische Ansichten. Kritische Fragen sind auch weder erwünscht noch zu erwarten.
Macrons Reformvorhaben lässt sich leicht zusammenfassen: Viel Gerede und nichts dahinter.
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