Europa

Will Frankreich bei Nord Stream 2 plötzlich gegen Deutschland stimmen?

Einem Medienbericht zufolge will sich Frankreich beim Thema Nord Stream 2 gegen Deutschland stellen. Kurz vor einer Abstimmung in der EU könnten die plötzlichen Sorgen Frankreichs - wegen einer vermeintlichen "Abhängigkeit von Russland" - jedoch auch ein Manöver sein.
Will Frankreich bei Nord Stream 2 plötzlich gegen Deutschland stimmen?Quelle: AFP

von Timo Kirez

Die Süddeutsche Zeitung berichtet am Donnerstag unter Berufung auf französische Regierungskreise, dass Paris plane, bei einer für diesen Freitag angesetzten EU-Abstimmung, die für die Zukunft des Pipeline-Projekts entscheidend ist, gegen das Vorhaben zu votieren. "Wir wollen nicht die Abhängigkeit von Russland verstärken und dabei noch den Interessen von EU-Ländern wie Polen und der Slowakei schaden", zitiert die Zeitung französische Regierungskreise. Weder aus Paris noch in Brüssel gab es dafür zunächst eine Bestätigung.

Das von Deutschland unterstützte Projekt des russischen Energiekonzerns Gazprom werfe "strategische Probleme" im angespannten Verhältnis der Europäer zu Moskau auf, will die Süddeutsche Zeitung aus französischen Regierungskreisen erfahren haben. Mit Nord Stream 2 soll russisches Erdgas durch die Ostsee nach Deutschland geliefert werden. Die baltischen Staaten und Polen sehen die Trasse als vermeintliche Gefahr für ihre Sicherheit. Der polnische Premier Mateusz Morawiecki ging auf einer Konferenz zur "Zukunft der transatlantischen Beziehungen" (FOTAR) in Hamburg im vergangenen Jahr sogar so weit, Moskau Angriffspläne gegen Kiew zu unterstellen, sollte Nord Stream 2 in Betrieb genommen werden. Da die Ukraine dann "keine so wichtige Rolle" für Russland mehr spielen werde, würde Moskau nichts mehr "daran hindern, nach Kiew einzumarschieren", so Morawiecki.

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Die Ukraine fürchtet jedoch vor allem, ihre milliardenschweren Einnahmen dank der Rolle als Transitland für russisches Gas in die EU einzubüßen. Der Vertrag, nach dem europäische Staaten das russische Erdgas über das ukrainische Rohrleitungssystem beziehen, wird am 31. Dezember 2019 planmäßig auslaufen. Um in diesem Punkt zu einer Einigung zu kommen, verhandelte eine "trilaterale Kommission" aus den Vertretern der EU-Kommission, Russlands und der Ukraine am 21. Januar in Brüssel über die künftige Transit-Durchleitung russischen Erdgases durch die Ukraine. Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte ihre Unterstützung des Pipeline-Projekts Nord Stream 2 mit der weitestmöglichen Auslastung des ukrainischen Transits auch in Zukunft verkoppelt. Begründung: "... damit der Ukraine Einnahmequellen nicht entgehen". Daher vermittelt seit Juli 2018 die EU-Kommission zwischen den zwei zerstrittenen Partnern.

Auch die USA sind - wenig überraschend - schon länger gegen den Ausbau der Gaspipeline Nord Stream. Der US-Botschafter in Berlin, Richard Grenell, war sich in dieser Angelegenheit auch nicht zu schade, am Ausbau beteiligten deutschen Unternehmen in einem Brief offen mit Sanktionen zu drohen. "Firmen die im Bereich des russischen Energie-Exportsektors arbeiten, riskieren eventuelle Sanktionen", sagte Grenell auch gegenüber der in Düsseldorf erscheinenden Rheinischen Post.

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Die US-Regierung und der US-Kongress hätten "klare Vorbehalte bezüglich Energiesicherheit und geopolitischer Auswirkungen von Nord Stream 2". Dass es jedoch noch einen weiteren, deutlich handfesteren Grund für den Druck aus Washington gibt, erwähnte Grenell noch nicht. Darauf verweist aber der frühere Bundeskanzler Gerhard Schröder in seinem Interview mit der Welt am Sonntag:

Das tun sie [die USA] nicht aus ihrer Liebe zur Ukraine, sondern weil sie selbst Gas nach Deutschland liefern wollen – Flüssiggas, das qualitativ schlechter, dafür aber teurer ist als Pipelinegas. […] Iran, China, Russland: Wenn das so weitergeht, dann dürfen wir bald zu niemandem mehr Wirtschaftsbeziehungen haben. Das ist für ein exportabhängiges Land wie Deutschland inakzeptabel. Das muss man den Amerikanern auch sagen, bei allem Respekt und bei aller Freundschaft.

Paris würde mit der Ablehnung des Ausbaus der Pipeline nach Deutschland in Kauf nehmen, dass es zum Streit zwischen diesen beiden wichtigen EU-Partnern kommt, deren Zusammenarbeit entscheidend ist für Europa, schreibt die Südddeutsche nun. Seit seinem Amtsantritt hatte Staatspräsident Emmanuel Macron stets die enge Partnerschaft mit Bundeskanzlerin Angela Merkel betont. Allerdings scheint seine Regierung fest entschlossen zu sein: "Wir stehen zu der Entscheidung", zitiert die Süddeutsche nun angeblich aus französischen Regierungskreisen. Nur wenn sich Macron noch persönlich einschalte, könne es zu einer Änderung der neuen Position kommen.

Bei der Abstimmung am Freitag geht es, der Zeitung zufolge, um eine Revision der sogenannten Gas-Richtlinie. Deutschland will die Verordnung unbedingt verhindern. Die Europäische Kommission bekäme damit eine Handhabe gegen Nord Stream 2. Brüssel will mit der Richtlinie erreichen, dass die Regeln für Pipelines innerhalb der EU auch für Gasleitungen außerhalb der Gemeinschaft gelten. So müssten etwa der Betrieb und die Lieferungen durch Erdgas-Pipelines strikt getrennt werden. Der russische Energieriese Gazprom hat bei Nord Stream 2 aber beides in der Hand.

Um eine Blockade der Pipeline zu verhindern, vertraute Berlin laut Süddeutscher Zeitung bisher auf Frankreich, damit eine von Berlin angestrebte Sperrminorität zustande kommt. Ohne Paris werde es für die Bundesregierung in der Abstimmung schwierig, ihren Willen durchzusetzen. Es könnte jedoch auch sein, dass Frankreich nur mit einem "Non" droht, um Deutschland bei irgendeinem anderen Thema zu Zugeständnissen zu bewegen. Die Liste der von Macron seit seinem Amtsantritt hinsichtlich der EU vorgeschlagenen Ideen umfasst unter anderem: eine Steuer für Internetkonzerne (Digitalsteuer), ein eigenständiges Euro-Zonen-Budget und ein neues Urheberrecht. Bisher reagierte Deutschland auf diese Vorschläge Macrons nur ausweichend oder gar nicht.

Auch wenn es um die zukünftigen Ausgaben für die "Europäische Verteidigung" geht, verlangt Paris ein größeres Engagement von Berlin. Die Zusage zu Nord Stream 2 könnte da als Verhandlungsmasse für Bewegung sorgen. 

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(Dieser Beitrag entstand unter Verwendung von dpa-Material)

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