Europa

Wer ist Faschist, wer finanziert Nazi-Parteien? Rebecca Harms über ukrainischen Nationalismus

Die Heinrich-Böll-Stiftung der Grünen zieht in Berlin ihre historische Bilanz über den ukrainischen Euro-Maidan. Ehemalige Aktivisten konstatieren Müdigkeit und Enttäuschung, bleiben aber optimistisch. RT-Frage zu ukrainischem Neonazimus belebte die Diskussion.
Wer ist Faschist, wer finanziert Nazi-Parteien? Rebecca Harms über ukrainischen NationalismusQuelle: www.globallookpress.com

von Wladislaw Sankin

Diese Frage schwingt immer im Raum, wenn die Maidan-Apologetik zu überschwänglich wird. War die "Revolution der Würde" in der Ukraine vor fünf Jahren nicht etwa in Wirklichkeit eine ultra-nationalistische? Denn selbst die Revolutionäre von damals – wie Journalist Mustafa Najem – konstatieren jetzt, dass die Grundstrukturen der Macht in der Ukraine unerschüttert geblieben seien. Nun sitzt er im Parlament und weiß aus nächster Nähe darüber Bescheid.

Marginale Gesinnung oder Mainstream?

Aber wirklich gelungen ist den neuen Machthabern, den Geist des ukrainischen Nationalismus unter dem Deckmantel von Patriotismus und Nation im politischen Diskurs, im Bildungssystem und in der Öffentlichkeit fest zu verankern. Im Zuge des Ausmerzens kommunistischer Erinnerungen hat man ganze Regionen unbenannt, sämtliche Lenin-Denkmäler gestürzt und das Zeigen ehemals sowjetischer Symbole per Gesetz unter Strafe gestellt. Kommunistische Parteien und linke Bewegungen wurden ebenso verboten oder zerschlagen. Nationalistische Schläger setzen ihre Opponenten mit Gewalt unter Druck und werden von der Polizei daran nicht gehindert.

Aus der Geschichte kennt man das nur zu gut: Nach einem rechten Putsch wird zu allererst an der linken Flanke "aufgeräumt". Gleichzeitig geht in der Ukraine eine massive "Derussifizierung" vonstatten – ein langfristig angelegtes, umfassendes Umerziehungsprogramm, das am Ende für (mindestens) die Hälfte des Landes die Pflege der eigenen Sprache und Kultur in die "eigenen vier Wände" verbannt. Die Wissenschaftler belegen – Russen und Ukrainer als Teile eines größeren Ganzen – haben kulturhistorisch und anthropologisch untereinander eine weitgehend austauschbare Identität. Nichtsdestotrotz: die Gegner und Leidtragenden dieses "ukrainischen" Programms sprechen nicht ohne Grund von einem unaufhaltsamen Kulturgenozid. 

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Aber das aussagekräftigste Beispiel dieses "revolutionären" Programms ist die Besinnung auf das Erbe jener westukrainischen Nationalisten, die zu Zeiten des zweiten Weltkrieges angeblich gleich gegen zwei totalitäre Systeme – gegen das kommunistische und gegen das nazistische gekämpft haben sollen. Ihre Kollaboration mit Nazi-Deutschland sei nur ein kurzes Bündnis aus der Situation heraus und aus rein pragmatischen Gründen zustande gekommen. Am Ende habe man aber schließlich auch gegen die Deutschen gekämpft.

Allerdings kennt die Geschichte leider keine einzige nennenswerte Schlacht, bei der diese ukrainischen Partisanenverbände den deutschen Besatzern Schaden zugefügt hätten. Die Aktionen dieser in die Wälder zurückgezogenen Milizen in den Jahren 1943 und 1944, als die Hitler-Truppen bereits auf dem Rückzug waren, beschränkten sich auf Sabotageakte und Erbeuten des Proviants. In großen Teilen der West-Ukraine degenerierten diese Verbände zu Mörderbanden, massakrierten die polnischstämmige Landbevölkerung ebenso wie die Sowjet-Sympatisanten – mit am Ende Zehntausenden zum Teil bestialisch ermordeter Opfer. In derselben Zeit ihres erzwungenen Rückzuges gelang es den deutschen Besatzern andererseits sogar noch, zehntausende ukrainische Freiwillige für die Verbände der Waffen-SS zu gewinnen.

Inwieweit bei den Freiwilligen eher eine faschistische Gesinnung oder der Sold eine Rolle gespielt haben mögen, ließe sich nur individuell rückverfolgen. Zum Beginn der Okkupation der Sowjetunion durch die Deutschen war allerdings die Stimmung bei den Anhängern der OUN – der Organisation der ukrainischen Nationalisten, einer nach damaligen Maßstäben klassischen faschistischen Partei – euphorisch. Sie begrüßten "den größten Führer Adolf Hitler" in ihrer Presse und hofften, dass er dabei helfen möge, die ukrainische Großmacht im Verbund seines Neuen Europas zu etablieren. Selbstverständlich verschrieben sie sich dafür auch dem Kampf gegen das Judentum und gegen den Bolschewismus.

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Stepan Bandera war dabei nur einer der Anführer dieser militanten Bewegungen, sein Name steht jedoch sprichwörtlich bei den einen für den Unabhängigkeitskampf, bei den anderen für den Nazismus ukrainischer Prägung. Insgesamt belief sich die Zahl der nationalistischen Paramilitärs und Nazi-Kollaborateure auf einige Hunderttausend. Fast alle stammten aus den ehemaligen Gebieten Österreich-Ungarns und Polens. Andererseits kämpften in den Reihen der sowjetischen Roten Armee, die die Hitler-Truppen endlich bis nach Berlin zurückschlagen konnte, aber auch bis zu sieben Millionen Bürger aus der Sowjet-Ukraine.

Lange galt die nationalistische Seite der ukrainischen Geschichte als marginal und nicht gerade ehrenvoll. Seit den Zeiten des Maidans änderte sich das grundlegend. Die nationalistischen Parolen wurden zu gängigsten Grußformeln, nun sind sie sogar ganz offiziell auch in der ukrainischen Armee eingeführt. Das haushohe Bildnis Stepan Banderas schmückte mehrere Monate lang den Ort des Geschehens – des Euro-Maidans mit seiner "Revolution der Würde".

Die Ex-Aktivisten des Maidans, die am 27. März bei der Heinrich-Böll-Stiftung gemeinsam mit der prominentesten deutschen Ukraine-Fürsprecherin Rebecca Harms ihre Bilanz "einer pro-europäischen Revolution" zogen, stellten sich zu Beginn auf dem Podium diesem Problem sogar freiwillig. Das beschränkte sich allerdings nur auf die Übernahme einiger "fragwürdiger" Slogans wie etwa "Ruhm der Ukraine – Nation über alles – Tod den Feinden". Diese seien für sie eher "befremdlich" gewesen, räumte eine der Maidan-Teilnehmerinnen ein. Vielmehr sei es aber dennoch eine brüderliche "politische Liebe" gewesen, die den Geist der Maidan-Bewegung auszeichnete.

Was im ukrainischen Parlament propagiert wird

Ich nutzte am Ende dieser Veranstaltung die Möglichkeit, eine Frage direkt an Rebecca Harms zu richten. Zur Einleitung meiner Frage wies ich darauf hin, dass der jetzige Sprecher des ukrainischen Parlaments Andrej Parubij, der übrigens die nationalistischen Milizen der "Maidan-Selbstverteidigung" angeführt hatte, einer der Gründer der protofaschistischen Partei "Swoboda" sei. Die Abgeordnete Rebecca Harms warb auf ihrem Twitter-Account für seinen Besuch beim EU-Parlament am 28. November. Eine andere Tatsache sprach ich ebenfalls noch an: In den Räumen jenes Parlaments gab es im Sommer 2018 eine Ausstellung, die an die Gründer des Ukrainischen Staates im Jahre 1941 erinnerte. Dieser Staat sollte dank der Okkupation und "Hilfe" der Hitler-Truppen installiert werden. Auf den Titelblättern der damaligen Zeitungen rühmten die Gründer dieses ukrainischen Staates Nazi-Deutschland und dessen "Führer". Von einer Distanzierung war in dieser Ausstellung keine Spur zu entdecken.

Der neugeformte ukrainische Staat wird eng mit dem nationalsozialistischen Großdeutschland zusammenarbeiten, unter der Führung von dessen Führer Adolf Hitler, der eine neue Ordnung in Europa und in der Welt formt und dem ukrainischen Volk hilft, sich selbst von Moskaus Besatzung zu befreien.

Genau dieser Originalzeitungsausschnitt mit der Unabhängigkeitserklärung und der Referenz an die Nazis wurde zum 30. Juni 2018 im ukrainischen Parlament in Kiew zur Gedenkfeier an diesen 77. Jahrestag kommentarlos ausgestellt.

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Am Ende wies ich noch auf die letzte UN-Abstimmung hin, bei der die Ukraine - übrigens zusammen mit den USA - der einzige weitere Staat war, der sich geweigert hat, den Nazismus zu verurteilen. Meine eigentliche Frage richtete sich an Rebecca Harms heute als Politikerin der Grünen: Für ihre Partei sei doch Nationalismus an sich ein böses Übel.

Warum die Grünen Nationalismus in Deutschland und Europa geißeln würden, aber von einem antirussisch ausgerichteten Nationalismus in der Ukraine wegsehen?", lautete mein Frage konkret.

"Wer im Glashaus sitzt…"?

Von der Frage fühlten sich jedoch auch einige Teilnehmer des Podiums angesprochen, die keine Mitglieder der Partei der Grünen sind. So ergriff zunächst die deutsche Geigerin Marina Bondas, die aus Kiew stammt, das Wort. Aus ihrer Sicht gehöre diese Art Frage zu dem üblichen "Trolling" von Seiten russischer Medien. "Idioten gibt es überall" sagte sie mit Verweis auf ihr sicheres Empfinden als Jüdin in der Ukraine. Auch könne sie dort Russisch sprechen. Das Publikum im Saal amüsierte sich sichtlich befriedigt, "russische Propaganda" wiederlegt zu haben.

Der endgültige "Sieg" blieb jedoch Rebecca Harms vorbehalten. Ohne auch nur irgendwie auf die Ideologie der Grünen, auf die Person Andrej Parubij, auf neonazistische Gesinnung oder jene Abstimmung  bei der UNO einzugehen, holte die gewiefte Rednerin zum direkten Gegenangriff aus. Zuvor räumte sie jedoch ein, dass dieses Problem durchaus "nicht zu ihren Lieblingsthemen" gehöre. Sie sehe jedoch an dieser Stelle gar keinen Unterschied zu anderen Ländern. Im Gegenteil,  

gemessen daran, wie die Ukraine angegriffen wird, finde ich, dass die 'Nazis' recht schwach sind", sagte Harms und verwies auf eine angeblich seit 2014 andauernde russische "Aggression".

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Außerdem finanziere ja Russland Nazi-Parteien überall in Europa, was belegt sei (Beifall im Saal). An dieser Stelle empfahl mir die Politikerin, dies "im Interesse russischer Bürger" zu untersuchen. Doch die größte Dreistigkeit der heutigen russischen Führung bestünde darin, dass sie selbst faschistisch handele, während sie die Ukraine des Nazismus beschuldige.

Für mich ist das bis heute erschütternd, dass ich erlebt habe, dass die Ukraine angegriffen wurde mit einem faschistischen Motiv, nämlich mit dem Motiv des Einsammelns russischer Erde", sagte Harms.

Zum Schluss verwies sie auf den Namensgeber der Stiftung der Grünen: auf Heinrich Böll. Er würde diese Art des Journalismus, die RT Deutsch und andere russische Sender betreiben, nicht gutgeheißen haben. Nichtsdestotrotz bot sich das Mitglied des EU-Parlaments überraschenderweise für ein Interview an, um "nicht vom Podium herab zu sprechen". Nehmen wir Frau Harms an dieser Stelle beim Wort!

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