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Bedingung für NATO-Beitritt Mazedoniens: Nationale Demütigung und Souveränitätsverlust

Das Referendum in Mazedonien ist am Volkswillen gescheitert – zum Ärger der NATO und der EU. Entgegen antirussischer Vorwürfe war es der Westen, der sich einmischt. Von außen geschürte ethnische Spannungen könnten einen militärischen Konflikt auslösen.
Bedingung für NATO-Beitritt Mazedoniens: Nationale Demütigung und SouveränitätsverlustQuelle: Reuters

Cvetin Chilimanov ist ehemaliger politischer Berater des Präsidenten von Mazedonien Gjorge Ivanov. Gegenwärtig arbeitet Chilimanov als Journalist und politischer Kommentator in der Hauptstadt Skopje.Das Interview führte Ali Özkök.

Während die Mehrheit für den Beitritt stimmte, lag die Wahlbeteiligung nur bei rund 36 Prozent. Eine Beteiligung von 50 Prozent wäre jedoch notwendig gewesen. Warum war die Wahlbeteiligung so niedrig, und warum haben die Menschen beschlossen, nicht abzustimmen?

Das Thema der Namensänderung Mazedoniens war in der Öffentlichkeit immer sehr unbeliebt, denn sie wird als großer Verlust der Souveränität sowie als Schwächung der nationalen Einheit und als demütigender Ausdruck von Schwäche angesehen. Wir wissen, dass die Namensänderung nur zu noch mehr Druck und aggressiven Aktivitäten gegen uns führen wird. Die gegenwärtig regierende sozialistische Partei SDSM hat sich gedacht, wenn sie das Umbenennungsreferendum mit dem Beitritt zur NATO und EU kombiniert, dann wäre die Erreichung der notwendigen Beteiligungsrate von 50 Prozent möglich. Das Glücksspiel ging spektakulär nach hinten los. Passend dazu erklärte Präsident Gjorge Ivanov am Montag, dass der Schritt der Regierung, die verschiedenen Fragen zu kombinieren, auch noch die eigentliche Unterstützung für die EU und NATO auf nur 36 Prozent in den Keller gerissen habe. Das war ein großer strategischer Fehler.

Welche Teile der mazedonischen Gesellschaft haben für das Referendum gestimmt, und aus welchen spezifischen Gründen?

In der Hauptstadt Skopje und den albanisch besiedelten Regionen des Landes war die Zustimmung für das Referendum im landesweiten Vergleich etwas stärker. Doch auch in diesen Regionen lag die Wahlbeteiligung meist unter 50 Prozent.

Die Erklärung für das vergleichbare Hoch in Skopje ist, dass in der Hauptstadt die öffentliche Verwaltung angesiedelt ist. Diese kann leicht von der Regierung erpresst werden. Auch wenn diese gegen das Referendum gestimmt hat, war das gut. Hätten die Bürokraten und Beamten die Abstimmung boykottiert, dann würde das schnell durchsickern, und die Regierung hätte einen Grund, ihren Verwaltungsapparat zu bestrafen.

Es gibt zahlreiche Berichte über Drohungen vor dem Wahltag, die von der Leitung öffentlicher Institutionen ausging, die ihre Mitarbeiter daran erinnerten, unbedingt abzustimmen. Dieser Umstand macht das Boykottlager, das sich durchgesetzt hat, in der Rückschau umso heldenhafter.

In den albanischen Gebieten stören sich die ethnischen Albaner natürlich wenig daran, ein Abkommen zu unterstützen, das nur die ethnischen Mazedonier und ihre nationale Identität schwächt. Das ist auch eine Entwicklung, von der Griechenland profitiert. Athen hat viel investiert, um Albaner und Mazedonier zu spalten, was die Schwächung Mazedoniens als Staat zusätzlich zementiert. Albanische Politiker spielen leider dabei mit, indem sie das Referendum öffentlich unterstützen. Es gab einige albanische Gebiete, in denen wir eine Wahlbeteiligung von 95 Prozent sahen, doch aufgrund der hohen Auswanderungsrate der ethnischen Albaner erreichte sie im Allgemeinen in diesen Orten ebenfalls keine 50 Prozent.

Das Referendum ist nicht verbindlich, sondern muss nun vom mazedonischen Parlament beschlossen werden. Was sind die Hürden für die Anhänger des Referendums, und wie wahrscheinlich ist es, dass die Ziele des Referendums letztendlich scheitern werden?

Die Regierung unter Premierminister Zoran Zaev gibt sich zuversichtlich und besteht darauf, dass das Abkommen trotz der abgrundtief niedrigen Wahlbeteiligung umgesetzt wird. Zaevs Partei SDSM verlor zuletzt eine Reihe von Wahlen, und sie ist nur dank der enormen, undiplomatischen Unterstützung und Einmischung der US-Regierung und einer Reihe von EU-Beamten an der Macht. Also kann er jetzt nicht zurücktreten, schließlich wurde er ja an die Macht gebracht, um das Referendum durchzubringen. Seine Regierung durfte eine Reihe gestaffelter Prozesse gegen Beamte der konservativen VMRO-Partei einleiten. Die VMRO ist der größte Block innerhalb des Nein-Lagers. Und es wird erwartet, dass Zaevs nächster Schritt darin bestehen wird, VMRO-Abgeordnete mit leichtfertigen Anklagen zu erpressen, um sie dazu zu bringen, den Deal in letzter Instanz zu unterstützen, denn Zaev braucht 81 Stimmen im Parlament. Er ist nur zehn Stimmen von seinem Erfolg entfernt.

Aber die Erfahrung, dass sich der Großteil der mazedonischen Bevölkerung überhaupt weigerte abzustimmen, dürfte das VMRO-Lager deutlich stärken. Schließlich handelte es sich um eine stille Boykottkampagne der VMRO, die sich gegen die offenen Aufrufe und Einmischungen Dutzender EU-Politiker, angefangen bei der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel, durchgesetzt hat.

Wie hat das Referendum die Beliebtheit der NATO und Europäischen Union in Mazedonien beeinflusst?

Die Mazedonier haben die NATO-Mitgliedschaft weitgehend unterstützt, aber da der Druck vom Westen auf uns zunahm, nahm die Unterstützungsrate von 90 Prozent allmählich ab. Gegenwärtig wird die Unterstützung für die NATO unter Mazedoniern auf unter 50 Prozent geschätzt.

Es wird oft behauptet, dass die Mitgliedschaft in der NATO und der EU Stabilität und Wohlstand bringen würde. Das ist fraglich, da Mazedonien 2001 indirekt von der NATO angegriffen wurde. Albanische Guerilla-Einheiten aus dem Kosovo, wo die NATO-Mission für die Sicherheit verantwortlich war, lieferten sich wochenlange Gefechte mit mazedonischen Sicherheitskräften. Und 2015, auf dem Höhepunkt der politischen Krise, folgte ein weiterer großer Guerillaangriff aus dem Kosovo, die ausgelöst wurde, um die VMRO-Regierung zu stürzen. Die NATO wird in diesen Krisen nicht als Hilfe angesehen.

Auch der Wohlstand kommt nicht aus dem Westen, sondern vor allem von unserer eigenen harten Arbeit, die Wirtschaft zu reformieren und ausländische Investitionen anzuziehen. Zum Vergleich sind jene Länder, in denen die EU und NATO besonders präsent sind, wie das Kosovo oder Griechenland, kaum Erfolgsgeschichten einer euro-transatlantischen Integration. Letztendlich müssen wir uns entscheiden, ob unserer Stabilität besser gedient ist, wenn wir der NATO beitreten, oder wenn wir ein solides Maß an nationaler Einheit und Souveränität bewahren. Im Idealfall hätten wir gerne beides, aber wir werden gezwungen, eine ernsthafte nationale Demütigung und den Verlust der Souveränität für den NATO-Beitritt vorzunehmen. Ein gedemütigtes Mazedonien führt zu neuen Konflikten, und es wird uns nicht viel helfen, ob wir in der NATO sind oder nicht, wenn die Substanz des Nationalstaates verloren geht.

Es ist bekannt, dass sich Albanien und das Kosovo zu einer Art Großalbanien zusammenschließen wollen. Mazedonien hat auch eine große albanische Bevölkerung. Ist diese Angst vor einer solchen Entwicklung auch bei der nicht-albanischen Bevölkerung in Mazedonien vorhanden?

Eine starke nationale Identität in Mazedonien ist unerlässlich, um die Entstehung des Projekts Großalbanien zu verhindern, was eine sehr reale Perspektive ist. Die Entstehung von Großalbanien wurde zu einem verheerenden Krieg auf dem Balkan führen. Dies ist der wohl wichtigste Grund, warum der Deal von Zaev mit Griechenlands Tsipras zur Umbenennung Mazedoniens abgelehnt werden sollte. Eine starke mazedonische politische Figur in Gestalt von Nikola Gruevski, der in der orchestrierten politischen Krise abgesetzt wurde, ist für die regionale Stabilität eigentlich notwendig.

Welche internationalen Akteure profitieren von einer solchen Entwicklung, in der alle albanischen Bevölkerungsgruppen auf dem Balkan zumindest politisch näher zusammenrücken?

Albaner sind in der jüngeren und weiter zurückliegenden Geschichte bekannt dafür, ihre politische Loyalität gegenüber stärkeren Akteuren schnell auszutauschen. Albanien war der enthusiastischste Anhänger des Kommunismus, erklärte den Stalinismus für zu verwässert und bewegte sich dann stark in Richtung einer totalen Loyalität gegenüber den Vereinigten Staaten. Ganz zu schweigen von den historischen Orientierungsschwankungen wie dem hohen Anteil der Islamisierung unter den Osmanen, nachdem sie zunächst den mutigsten Widerstand gegen die osmanische Expansion geleistet hatten. Es ist also schwer vorherzusagen, in welche Richtung sich ein Großalbanien orientieren würde; klar ist, dass der Versuch seiner Gründung ein enormes Maß an Blutvergießen mit sich bringen wird.

Welche Rolle spielten westliche Thinktanks wie die Konrad-Adenauer-Stiftung bei der Beeinflussung der öffentlichen Meinung zum Referendum?

Die Konrad-Adenauer-Stiftung und andere konservative Thinktanks waren sehr zurückhaltend, was verständlich ist, wenn man bedenkt, dass Deutschland seine Außenpolitik in gewisser Weise an die SPD ausgelagert hat und in den USA in acht der letzten zehn Jahre eine linke Regierung unter Barack Obama das Sagen hatte. Die westlichen Diplomaten in Skopje haben sich ausschließlich auf die Seite unserer linken SDSM gestellt. Das führte auch dazu, dass linke Thinktanks viel stärker in Mazedonien aktiv sind. Zehn Millionen US-Dollar an USAID-Geldern gingen beispielsweise an das vom umstrittenen Milliardär George Soros geführte FOSM-Institut in Skopje. Dabei wurden Proteste gegen die konservative VMRO-Regierung bezahlt und die politische Forderung nach offenen Grenzen zu einer Zeit finanziert, als Mazedonien das Schlüsselland der Flüchtlingstransitroute aus dem Nahen Osten nach Europa war. Infolgedessen wird die Meinungsbildung und -förderung in Mazedonien von der Linken dominiert, obwohl die überwiegende Mehrheit der Öffentlichkeit die Linke ablehnt, wie wir am Sonntag gesehen haben.

Westliche Medien berichteten oft, dass Russland angeblich aktiv in Mazedonien interveniert habe. Griechenland hat sogar russische Diplomaten ausgewiesen. Inwieweit war es eine Strategie, das Nein-Lager sozusagen als "Vasallen" Russlands zu brandmarken?

Es gibt nur sehr wenige Hinweise auf eine russische Einmischung in Mazedonien. Diese Hinweise verblassen im Vergleich zu dem außergewöhnlichen Ausmaß der völligen Kolonisierung durch westliche Diplomaten, die in Skopje als Vizekönige walten. Mein Eindruck ist, dass das Narrativ der russischen Einmischung propagiert wird, um die zahlreichen Kampagnen zu rechtfertigen, die durchgeführt wurden, um die VMRO von der Regierung zu entfernen. Ich glaube, dass der schwerfällige und herablassende westliche Ansatz, ihr offener Angriff auf die populäre, reformistische und rechtmäßig gewählte VMRO-Regierung und ihr Angriff auf die mazedonische nationale Identität einen großen Teil der Mazedonier dazu veranlasst haben, sich vom Westen abzuwenden, ohne dass russische oder andere Einmischung erforderlich wäre, um das zu vollbringen.

Experten gehen davon aus, dass das Referendum für die Energiepolitik der EU von besonderer Bedeutung ist, und wollen den Westbalkan in ihre Energie-Union aufnehmen. Inwieweit kann das Referendum als EU-Strategie verstanden werden, um Hindernisse für außereuropäische Energieprojekte auf dem Balkan wie die Turkish-Stream-Pipeline zu schaffen?

Eines der wenigen Themen, bei denen Mazedonien (und Griechenland, Bulgarien, Serbien, Ungarn, Österreich) sich von der Ausrichtung seiner Außenpolitik auf die Interessen des Westens abgewandt hat, ist das Projekt South bzw. Turkish Stream, bei dem wir sowohl die ursprüngliche Version – eine kleine Versorgungsleitung nach Mazedonien zu haben – als auch den späteren Vorschlag unterstützt haben, wonach Mazedonien Teil der Hauptroute wird. Mazedonien braucht eine stabile Energieversorgung. Unsere Städte werden im Winter immer noch mit Holz beheizt, was zu giftigem und dichtem Nebel in den Städten führt. 

Wenn es einen realistischen Vorschlag gäbe, US-amerikanische Quellen für sauberes Gas in der Region zu beziehen, wäre ich dafür. Doch seit dem Kosovo-Krieg 1999 hatte der Westen nicht die strategische Weitsicht, uns eine westlich zugelassene Quelle für saubere und erschwingliche Energie zu bieten. Und wenn dann Russland sein Gas anbietet, was immer noch ein sehr geringes Niveau unseres Außenhandels ausmachen würde, das vom Handel mit der EU dominiert wird, befehlen uns westliche Diplomaten urplötzlich, das abzulehnen.

Wenn ich bezüglich der westlichen Doppelstandards noch konkreter werden darf: Die US-Botschaft war tatsächlich so dreist, hirnrissige Social-Media-PR-Kampagnen zu fördern, um die Öffentlichkeit über die Gefahren der Winterverschmutzung zu informieren, während sie aktiv gegen diesen einen Lösungsvorschlag aus Russland agitierte und keine eigene Lösung vorschlug.

Was sind die geopolitischen Gründe dafür, dass Athen so begierig darauf ist, einer anderen Nation einen neuen Namen aufzuzwingen? Schließlich hat Griechenland eine der größten Armeen der Region, was einen Territorialkonflikt kaum realistisch macht.

Das griechische Problem mit Mazedonien liegt viel tiefer als nur die Namensfrage. Sie geht auf die Teilung des Balkans nach dem Zusammenbruch des Osmanischen Reiches im Ersten Weltkrieg zurück. Griechenland und Serbien waren die Hauptbegünstigten dieses Zusammenbruchs. Im Norden Griechenlands lebt eine bedeutende mazedonische Minderheit, die seit Jahrzehnten unterdrückt und der sogar das Recht verwehrt wird, zu Hause Mazedonisch zu sprechen. Auf der anderen Seite kommt der Großteil der griechischen Bevölkerung in diesem Raum ursprünglich aus der heutigen Türkei, die als Vertriebene dort angesiedelt wurden. Diese Griechen haben überhaupt keine Bindung an die Region.

So wie Serbien mit Kroatien, Bosnien, dem Kosovo gekämpft hat, um die Auflösung des in dieser Zeit aufgebauten Herrschaftsbereichs zu verhindern, befürchtet Griechenland, dass es ein ähnliches Schicksal erleiden würde, wobei auch im Norden der türkische und albanische Separatismus wahrscheinlich ist. Deshalb haben griechische Politiker 1991, als Mazedonien seine Unabhängigkeit erklärte, festgestellt, dass dieser neue Staat eine Bedrohung darstellt, und beschlossen, alles in ihrer Macht Stehende zu tun, um unsere Entwicklung zu einem völlig souveränen Nationalstaat zu verhindern, und der Name ist nur der Vorwand, um dieses Ziel zu erreichen. Ich glaube, dass das Problem zu weit entwickelt ist, um es durch Kompromisse zu lösen, vor allem durch zwei schwache, linke Ministerpräsidenten, die nicht für die Bevölkerung Mazedoniens und Griechenlands sprechen.

Danke für das Gespräch.

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