Griechenland als EU-Speerspitze: Kampf um Energiereserven Zyperns laufen auf einen Krieg hinaus
von Ali Özkök
Emete Gözügüzelli ist Assistenzprofessorin an der Bahçeşehir Cyprus University. Sie leitet als Direktorin das Forschungszentrum für Seerecht in Nikosia/Lefkoşa.
In Zypern werden große Gasreserven vermutet. Die Türkei und Griechenland sowie ihre Ableger in Zypern konkurrieren darum. Von was für einer Größe ist die Rede?
Im Jahr 2010 schätzte der U.S. Geological Survey, dass das Becken in der Levante potenzielle Reserven von 1,7 Milliarden Barrel förderbarem Öl und circa 3,45 Billionen Kubikmeter förderbarem Erdgas hat, während das Nildelta-Becken 1,8 Milliarden Barrel förderbares Erdöl besitzt. Im Dezember 2011 deutete die erste Bohrung in der sogenannten Ausschließlichen Wirtschaftszone (AWZ) Griechenlands auf mögliche fossile Reserven von etwa 141,5 bis 226,5 Milliarden Kubikmeter hin.
Dieses Verhältnis macht die Zukunft der natürlichen Ressourcen Südzyperns sehr komplex. Ägyptische und israelische Partner diskutieren vorwiegend über die Lieferung von israelischem Erdgas über eine Pipeline nach Ägypten. Auf der anderen Seite hat der Libanon seine Offshore-Lizenzrunde abgeschlossen. Auch Libyen ist aktiv, hat aber genügend andere Probleme. Die Türkei und die türkischen Zyprer erklärten schließlich, dass sie mit ihrem Explorationsschiff Fatih zur Bohrung übergehen, wenn sich Griechenland und Griechisch-Zypern gegen eine Kooperation stemmen und diese auf Wunsch Europas blockieren.
Können Sie deutlicher werden? Was meinen Sie mit einer griechischen Blockadehaltung?
Die griechische Haltung erklärt sich, wenn man sich bewusst wird, dass die Europäische Union verzweifelt versucht, ihre Energieversorgung über das östliche Mittelmeer sicherzustellen, um die Abhängigkeit von Erdgas aus Russland zu verringern. Die Region entwickelt sich mit großen Schritten zu einem wichtigen Exportmarkt für Flüssigerdgas (LNG). Darauf setzt Brüssel. Für dieses Ziel ist eine europäische Gasexportstrategie über drei Ecken geplant, also von Israel und Südzypern/Griechenland nach Italien und damit schließlich nach Westeuropa, alles unter Umgehung politisch unliebsamer Staaten.
Die Türkei hingegen agiert unabhängig und betrachtet sich als ein deutlich stabileres, mächtigeres und strategischeres Land als seine Konkurrenz, das eine kostengünstigere Infrastruktur für den Transport möglicher Energieressourcen nach Europa bereitstellen kann. Die Türkei ist ein wichtiger Energieimporteur und entwickelt sich zur Ost-West-Energiebrücke.
Wenn diese Krise weitergeht, kann ich unverhohlen warnen: Diese konfrontativen Aktivitäten werden zu einem Teufelskreis führen und den Konflikt in der Region eskalieren lassen.
Ein wichtiges Grundproblem ist, dass sich die griechisch-zyprische Verwaltung so verhält, als ob die Insel Zypern Festland wäre. Die griechische Seite geht dabei über die Abgrenzung der Ausschließlichen Wirtschaftszone hinaus. Dies ist angesichts der faktischen Umstände am Boden eine provokante Politik, die gegen das Völkerrecht verstößt und die Seerechte der anderen Länder im Mittelmeerraum nicht respektiert.
Die Europäische Union ist wahrscheinlich der wichtigste Partner Griechenlands, das wiederum die Schutzmacht der griechischen Zyprer ist. Wie beurteilt Brüssel die Entwicklung in Zypern?
Die EU ist eine eurozentrische Organisation, die nur auf westlichen Interessen basiert und nur diese berücksichtigt. Brüssel war und ist in der Zypernfrage nicht objektiv. Brüssel konzentriert sich nur darauf, wie es seine Energiesicherheit über die EastMed-Pipeline nach Europa umsetzen und dabei Russland aushebeln kann. Sie setzen ihre Verwestlichung als Modernisierungsprojekt fort.
Es wird zunehmend festgestellt, dass die EU ihre militärischen Aktivitäten im Rahmen einer sogenannten europäischen Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik mit den griechischen Zyprern und Griechenland im Rahmen von PESCO rasch ausgeweitet hat. All diese Vorbereitungen laufen auf einen Krieg in den Meeresgebieten des Mittelmeers hinaus. Vor wenigen Wochen hat die griechisch-zyprische Regierung ein Abkommen aus dem Jahr 2007 erweitert. Darin beschloss die Regierung mit Paris, die Sicherheit im Seeverkehr mit Frankreich zu gewährleisten. Das griechisch-zyprisch-französische Militärabkommen (2017-2018) soll die Marinebasis Evangelos Florakis in Mari ausbauen und 2020 fertigstellen. Mit dem Abschluss der Marinebasisstudien wurde betont, dass die "Kriegsschiffe Frankreichs und anderer EU-Länder auch die Marinebasis Mari nutzen können", schrieb die Zeitung Politis am 8. November 2017. Ähnliche Arbeiten wurden auch für die Luftwaffenbasis Andreas Papandreou in Baf (griechisch Paphos, Anm.) durchgeführt. Es wurde beschlossen, dass ein Teil der Modernisierungs- und Verbesserungsarbeiten an der Infrastruktur durch EU-Mittel abgedeckt und Anfang 2018 die militärische Moderation in die Praxis umgesetzt wird.
So wurde im Voraus entschieden, dass der französische Energieriese Total eine proaktive Rolle in den illegal lizenzierten Blöcken der griechischen Zyprioten spielen wird. Darüber hinaus hat Griechenland den Unternehmen ExxonMobil, Total und Helen Petroleum die Erlaubnis erteilt, auf Kreta nach Kohlenwasserstoffen zu bohren. Diese Entwicklungen zeigen, dass Frankreich bereit ist, mit Griechenland und Nikosia im Mittelmeerraum ein aggressiveres Vorgehen im Energiebereich einzuleiten.
Missbraucht die EU Athen als militärische Speerspitze im östlichen Mittelmeerraum?
Sowohl der syrische Bürgerkrieg als auch die in der Region entdeckten Energiereserven haben die militärische Zusammenarbeit zwischen Griechenland und der EU gestärkt. Beide Seiten versuchen, eine strategische Vormacht bei der Entstehung der modernen Seidenstraße, die vor allem von China gefördert wird, zu erlangen und alle Konkurrenten auf der Seeroute auszustechen. Während der Türkei in der Zypernfrage eine Kanonenbootpolitik unterstellt wird, ist es eigentlich die EU, die mit ihren lokalen Partnern eine solche Politik verfolgt.
Nur die Türkei erkennt Nordzypern als unabhängig an. Ist das nicht ein Problem?
Die Anerkennung ist ein politischer Akt des Völkerrechts. Gemäß der Montevideo-Konvention ist die Türkische Republik Nordzypern ein Staat mit (1) einer ständigen Bevölkerung, (2) einem definierten Territorium, (3) einer Regierung und (4) der Fähigkeit, sich in Beziehungen zu anderen Staaten zu integrieren.
Nordzypern besitzt einen Beobachterstatus innerhalb der Organisation für Islamische Zusammenarbeit (OIC) und der Europäischen Wirtschaftsorganisation (ECO). Die Türkische Republik Nordzypern unterhält Repräsentanzen in den Vereinigten Arabischen Emiraten, Katar, Kuwait, Oman und Bahrain. Außerdem existieren Repräsentanzen in den USA, Brüssel, Berlin, Helsinki, Straßburg, Rom und Genf.
Fakt ist, seit der Unabhängigkeit war die Anerkennung nicht das Ziel. Allerdings, weil die griechische Seite Zyperns kein Interesse an einer Einigung hat, könnte die Anerkennung von Türkisch-Zypern in den nächsten Jahren diskutiert werden. In diesem Sinne hat die Türkei viele Karten in der Hand, die das Problem mit oder ohne UN-Parameter lösen könnten.
Die Türkei befindet sich gegenwärtig in einem Prozess, in dem ihre Beziehungen zu Russland, China, Afrika und den asiatischen Ländern mit neuem diplomatischem Spielraum intensiviert und positiv neugestaltet werden. Mit der geopolitischen Neuorientierung könnte Ankara auch die Isolation Nordzyperns, die von der EU unterstützt wird, durchaus umgehen.
Seit langem wird zwischen der griechischen und der türkischen Seite über die Rechtmäßigkeit der Ausschließlichen Wirtschaftszone Zyperns gestritten. Warum akzeptiert Ankara diese nicht einfach?
Das Abkommen aus dem Jahr 2003 zwischen Ägypten und Griechisch-Zypern über die sogenannte Ausschließliche Wirtschaftszone ist für Ankara illegal, weil dieses Abkommen gegen den Anspruch des türkischen Festlandsockels in den westlichen Gebieten verstößt. Die Türkei hat ihre Einwände bei der UNO erhoben und betont, dass dieses Abkommen null und nichtig ist. Zweitens verhalten sich die griechischen Zyprern so, als ob es auf Zypern überhaupt keine anderen Ansprechpartner gäbet, obwohl sie weite Teile der Insel nicht einmal kontrollieren. Es handelt sich hier ganz klar um eine irredentistische Politik, die das Völkerrecht verletzt, was auch noch von der EU unterstützt wird.
Nicht nur die Türkei hat Probleme mit Griechisch-Zypern, sondern auch der Libanon. Beirut lehnt die Rücksichtslosigkeit, die von Nikosia ausgeht, vehement ab. Im Januar 2007 unterzeichneten der Libanon und die griechisch-zyprische Regierung noch einen Vertrag zur Etablierung einer ausschließelichen Wirtschaftszone. Sie ratifizierten ihn aber nicht. Schließlich beschwerte sich Beirut. Bei der UNO reichte der Libanon eine Karte der geografischen Koordinaten ein, die die westlichen, nördlichen und südlichen Grenzen seiner Ausschließlichen Wirtschaftszone definiert. Denn ein anderes Abkommen zwischen der griechisch-zyprischen Regierung und Israel vom 17. Dezember 2010 führte dazu, dass die Zonen beider Staaten mit den maritimen Hoheitsrechten des Libanon überlappen. Die Rede ist von einer Fläche von 850 Quadratkilometern. Auch in diesem Fall werden völğkerrechtliche Grundsätze missachtet.
Die Türkei wolle im östlichen Mittelmeer künftig eigene Wege gehen, erklärte die Erdoğan-Regierung. Was ist zu erwarten?
Für die Bohrungen hat das staatliche türkische Mineralölunternehmen TPAO Lizenzen für die Blöcke A, B, C, D, E, F und G erhalten. Gegenwärtig führt das Schiff Hayreddin Barbaros seismische Untersuchungen auf der Halbinsel Karpasia durch. Wenn die griechischen Zyprer beschließen, ihre Bohraktivitäten in dieses Jahr fortzusetzen, wird die Türkei mit den Bohrungen beginnen, und es ist zu erwarten, dass Hayreddin Barbaros in die Blöcke F und G im Süden verlegt wird. Die Spannungen zwischen beiden Seiten werden zunehmen, wenn nicht miteinander geredet wird.
Ist Ankara überhaupt in der Lage, das gefundene Erdgas zu fördern und produzieren?
Inzwischen durchaus, die Regierung versucht seit Jahren, eine moderne Energieinfrastruktur im Land zu etablieren. Die Türkei hat bereits ein Bohrschiff. Nun soll ein zweites Schiff her. Das sind die ersten Schritte, eigene Gasreserven zu fördern.
Die ehemalige Kolonialmacht Großbritannien ist nach wie vor militärisch auf der Insel präsent. Profitiert Großbritannien von der Spaltung Zyperns?
Das kann man so sehen. Großbritannien hat über seine zwei Militärbasen Souveränitätsrechte auf rund drei Prozent des Inselgebietes. Auf dem Gebiet gilt britisches Recht. Es wird geschätzt, dass etwa 3.000 britische Truppen auf einer Fläche von etwa 254 Quadratkilometern stationiert sind.
Zwar behauptet die britische Regierung, dass sie abziehen würde, sollten sich beide Parteien einigen. Wird sich das Vereinigte Königreich aus Zypern zurückziehen? Natürlich nicht. In Wirklichkeit denken die Briten überhaupt nicht daran, diese strategisch wichtige Insel im Mittelmeer zu verlassen.
Welche Interessen hat Russland in diesem Konflikt? Russland hat immerhin besondere Vereinbarungen mit der griechisch-zyprischen Regierung getroffen und kann Marine- sowie Luftwaffenstützpunkte auf Zypern "souverän" nutzen.
Die Europäer wollen Russland in Zypern nicht als Akteur sehen. Diese Haltung zerstört jegliche Bewegung Russlands in diesem Raum. Sobald Russland interesse zeigt, sich auf Zypern niederlassen zu wollen, ziehen die Europäer und natürlich die NATO die Leine an und pfeifen die Regierung in Nikosia zurück. Dann findet die griechische Seite sehr schnell Ausreden, warum dem russischen Militär nicht geholfen werden könne.
Reicht das für Russland? Das glaube ich nicht! Russland kann nach Alternativen suchen. Putin und Erdoğan haben in den letzten Jahren eine gute Kooperationsbasis aufgebaut. Beide Länder sind eine neue Partnerschaft in regionalen Fragen eingegangen. Beim Zypernkonflikt können Russland und die Türkei versuchen, ihre Fähigkeiten im militärischen und wirtschaftlichen Sinne sogar auszubauen, was auch in Sachen Militärbasen erfolgen kann.
Sehen Sie Potenzial für die Türkei, auch in Zypern mit Russland zusammenzuarbeiten? Ankara und Moskau arbeiten bereits bei Turkish Stream zusammen.
Die Türkei und Russland werden auch im Mittelmeerraum zusammenarbeiten. Kein Unternehmen aus Russland ist an Bohraktivitäten in den sogenannten Meeresgebieten Südzyperns beteiligt. In den nächsten fünf Jahren könnten Russland und die Türkei im Mittelmeerraum bei den Energieressourcen gemeinsam handeln. Das könnte durchaus die Grundlage für eine neue Win-Win-Situation wie in Syrien sein.
Vielen Dank für das Interview!
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