Orthodoxie ist kurz vor Spaltung: Patriarch Bartholomeos will Kiew Autokephalie gewähren
Bei einem Bischofskonzil der Konstantinopel-Kirche in Istanbul wurde Anfang September beschlossen, dass sie ab sofort die Verleihung der Autokephalie mit anderen Kirchen nicht abzusprechen braucht. In der orthodoxen Kirchenwelt war dies bislang eine Angelegenheit, die die Zustimmung aller 13 kanonischen orthodoxen Kirchen auf einem Weltkonzil brauchte.
Der ökumenische Patriarch von Konstantinopel Bartholomeos will jedoch die Initiative übernehmen, "weil Russland, das für die aktuelle schmerzhafte Situation in der Ukraine verantwortlich ist, nicht imstande ist, das Problem zu lösen". Gleich als erstes bestimmte er zwei Exarchen für die Ukraine: den Erzbischof Daniel von Pamphilon (USA) und den Bischof Ilarion von Edmonton (Kanada).
Das "Problem" ist dabei die Existenz mehrerer orthodoxer Kirchen in der Ukraine, die Konstantinopel damit jetzt unter seinen Fittichen vereinigen will. Die älteste, zahlenmäßig größte und die einzige weltweit anerkannte Kirche ist die Ukrainische Orthodoxe Kirche des Moskauer Patriarchats. Sie sieht sich als rechtmäßige Erbin der altrussischen Kiewer Metropolie. Vom 14. bis zum 16. Jahrhundert war ihr Hauptsitz in Moskau – zu Zeiten, als Kiew an politischer Bedeutung verlor. Spätestens seit dem Jahr 1686 untersteht sie dem Moskauer Patriarchat – eine Entscheidung des damaligen Patriarchen von Konstantinopel, Dionisios IV., die juristisch auf den Konzilen aller orthodoxen Kirchen genehmigt wurde.
Filaret: Wendehals oder Gottesgeschenk?
Im Moment genießt die Ukrainische Orthodoxe Kirche eine weitreichende Autonomie und ist in allen ihren Entscheidungen von Moskau unabhängig – die Verbundenheit bestehe vor allem im eucharistischen Sinne, betonen die russischen Kirchenexperten. Aber auch dieser Verbund zwischen der ukrainischen und russischen Kirche ist heute und war schon lange den ukrainischen Separatisten und späteren Nationalisten ein Dorn im Auge. Die erste selbsternannte ukrainische autokephale Kirche wurde im Jahr 1919, also zu Zeiten des Bürgerkrieges gegründet. Jetzt gilt sie hauptsächlich als Kirche der ukrainischen Diaspora.
Die tiefgreifendste Spaltung ereignete sich jedoch im Jahr 1992, als der damalige Kiewer Metropolit Filaret (Michail Denissenko), dem Ruf des ersten ukrainischen Präsidenten Leonid Krawtschuk nach Gründung einer nationalen ukrainischen orthodoxen Landeskirche folgend, die Gründung des Kiewer Patriarchats verkündete. Ein wichtiges Detail seiner Biographie gibt Auskunft über seine Motive. Im Jahre 1990 nahm er an den Wahlen für das Amt des Moskauer Patriarchen teil und verlor gegenüber seinem Mitbewerber Alexei (Alexius II.) haushoch. Sein Ansehen in der Kirche war schon damals wegen der ihm nachgesagten Verbindungen zum KGB und zur Unterhaltung einer heimlichen Familie beschädigt.
Bis zur Unabhängigkeitserklärung der Ukraine galt Filaret er strenger Hüter der russisch-ukrainischen Kircheneinheit. Diese beschwor er sogar später auf dem Hierarchen-Konzil der Russisch-Orthodoxen Kirche in Moskau im April 1992, als man die Frage des ersten Kiewer Abspaltungsversuches behandelte. Er schwor seine Einsicht auf der Bibel und versprach sein Amt niederzulegen. Nach der Rückkehr in Kiew brach Filaret das Gelübde und behauptete, er würde der Ukraine von Gott geschickt sein. Für den Schwurbruch und Uneinsichtigkeit wurde Filaret 1997 von der Russischen Orhodoxen Kirche mit dem Kirchenbann belegt.
Die ganzen 1990er Jahre waren durch Kämpfe um die Kirchengemeinden gekennzeichnet, gewaltsame Übernahmen der Kirchen zugunsten des Kiewer Patriarchats waren dabei ein gängiges Mittel. Spätestens bis zum Jahr 2014 galten die Schismatiker mit ihren ca. 5.000 Kirchen dennoch in der Ukraine als weniger einflussreich. Die Ukrainische Orthodoxe Kirche des Moskauer Patriarchats zählt bis zu 11.000 Gotteshäuser. Die Unterstützung des Militäreinsatzes im Osten des Landes und eine nationalistische Rhetorik ihrer höchsten Priester machten die Ukrainische Kirche des Kiewer Patriarchats de facto zu einer Staatskirche der postmaidanen Putschregierung.
Staat und Kirche
Diese Regierung unternahm in den letzten Monaten weitreichende Schritte zur Anerkennung "ihrer" Kirche. Das ukrainische Parlament Werhowchna Rada forderte per Gesetzbeschluss die Gründung einer Einigen Autokephalen Landeskirche in der Ukraine. Der Präsident Poroschenko reiste in April zum Patriarchen Bartholomeos nach Istanbul und bat ihn persönlich, dem Kiewer Patriarchat die Autokephalie zu gewähren.
Der Konstantinopeler Patriarch hegt seit langem Sympathien zu diesen Bestrebungen. Das Moskauer Patriarchat, das über 50 Prozent aller orthodoxen Gläubigen in 14 Ländern vereinigt, sieht er als Konkurrenten. Der Großteil seiner Gemeinde befindet sich dagegen in den USA, sie besteht vor allem aus griechisch-stämmigen US-Amerikanern. Wenn er im Jahr 1997 die Kirchenspaltung in der Ukraine noch als innere Angelegenheit der Russisch-Orthodoxen Kirche betrachtete, deutete er bei einem Besuch in Kiew im Jahre 2008 eine Neubewertung der Übergabe der Kiewer Metropolie an Moskau im Jahre 1686 an. Die Entscheidung von damals sei zwar rechtmäßig, aber politisch motiviert gewesen, sagte er. Nun verkündet Bartolomeos im Gleichklang mit Poroschenko und seiner Regierung, Moskau sei an der ukrainischen Spaltung schuld und bereitet die Anerkennung der ukrainischen Autokephalie vor.
Was sagt die Ukrainische Orthodoxe Kirche dazu? Die Aktivitäten der Rada und des Präsidenten sieht sie als klaren Machtmissbrauch und als Einmischung in die Angelegenheiten der Kirche. Der Paragraph 35 der ukrainischen Verfassung schreibt die Trennung von Kirche und Staat vor. Auch die Entsendung zweier seiner Vertreter aus Nordamerika, die die Anerkennung der Autokephalie abwickeln sollen, wird von der kanonischen Kirche nicht akzeptiert. Sie verwies ihrerseits darauf, dass das Vorgehen der Kirche in Konstantinopel den Traditionen widerspreche.
Bischöfe, egal welcher Kirchen, können das Territorium einer anderen Kirche nur mit ihrer Erlaubnis besuchen, geschweige denn dort etwas unternehmen. Und der Metropolit Onufri von Kiew (Anm. der Red.: das Kirchenoberhaupt der Ukrainischen Orthodoxen Kirche) hat an niemanden entsprechende Einladungen verschickt", sagte der Sprecher der Ukrainisch-orthodoxen Kirche, Nikolai Danilewitsch.
Moskau: Diplomatie ist am Ende
Der Heilige Synod der Russisch-Orthodoxen Kirche erhob scharfen Protest gegen die Ernennung von zwei Exarchen für die Ukraine durch das Patriarchat von Konstantinopel. Der Sprecher des Moskauer Patriarchats, Wladimir Legoida, nannte diese Ereignisse "eine beispiellos grobe Invasion" auf das Territorium der Ukrainisch-Orthodoxen Kirche.
Der Leiter des Außenamtes des Moskauer Patriarchats Metropolit Hilarion Alfejew von Wolokolamsk, erklärte seinerseits, das Moskauer Patriarchat würde die eucharistische Beziehungen mit dem Konstantinopel-Patriarchat abbrechen, falls dieses der Ukrainischen Kirche die Autokephalie verleihen sollte. Ungewöhnlich scharf für einen Kirchenvertreter fielen seine Worte, die er im russischen Fernsehen am Samstag vortrug:
Eine so freche und zynische Einmischung in die Angelegenheiten einer orthodoxen Landeskirche führt nicht nur die Situation in eine Sackgasse, sondern droht mit einer Spaltung der gesamten orthodoxen Gemeinschaft der Welt. (…) Die kanonische Kirche wird diese Autokephalie nicht anerkennen. Wir in der Russischen Kirche akzeptieren nicht diese Autokephalie. Es bleibt uns nichts anderes übrig, als unsere Beziehungen zu Konstantinopel abzubrechen", so der Metropolit.
Das Patriarchat von Konstantinopel würde sich mit der Anerkennung der Schismatiker im Grunde genommen "außerhalb des Rechtsfeldes der ökumenischen Orthodoxie" stellen. Dies bedeute, dass der Patriarch von Konstantinopel kein Recht mehr haben werde, sich "Oberhaupt der 300 Millionen orthodoxen Gläubigen des Planeten" zu nennen.
Das heißt, er würde mit seinen Handlungen im Grunde genommen die gesamte orthodoxe Gemeinschaft der Welt spalten", betonte Metropolit Hilarion Alfejew.
Ende August unternahm der Moskauer Patriarch Kirill eine Reise nach Konstantinopol und sprach mit dem Patriarchen Bartholomeos nach seinen Angaben wie ein "Bruder im Geiste". Dies war der letzte Versuch Moskaus, den Patriarchen von Konstantinolopel vor den unumkehrbaren Schritten zu bewahren. Die Entsendung zweier Exarchen nur wenige Tagen nach dem Treffen bewertet Moskau nun als Teil eines "hinterhältigen Plans". Die Antwortschritte vonseiten des Moskauer Patriarchats werden "äußerst hart" sein, so der Pressesprecher Legoida.
Kampf gegen "fünfte Kolonne"
In der Ukraine gibt es aber für das Moskauer Patriarchat kaum noch Handlungsoptionen. Wie sich die Situation weiterentwickelt, hängt davon ab, auf welche Seite sich die Priesterschaft der Ukrainischen Orthodoxen Kirche stellt. Auch unter ihnen gibt es viele Anhänger der Autokephalie. Vonseiten der Staatsmacht wird der politische Druck nun zunehmen, inklusive gewaltsamer Lösungen. Seit dem Maidan werden die Vertreter der Ukrainischen Orthodoxen Kirche von der nationalistisch gesinnten Öffentlichkeit als "Moskauer Popen" und "Kremlagenten" geschmäht und ausgegrenzt.
Bei der Autokephalie geht es um unsere Unabhängigkeit und nationale Sicherheit. Gerade deshalb ist der Widerstand seitens Moskaus und seiner "fünften Kolonne" in der Ukraine so verbissen", sagte Poroschenko Ende Juli.
Diese Rhetorik lässt das wahrscheinlichste Szenario leicht vorhersagen: Der Versuch zur Bildung einer einheitlichen nationalen Kirche könnte zu gewaltsamen Erstürmungen von Kirchen und Klöstern – und damit zu Auseinandersetzungen zwischen Kirchgängern untereinander – führen. Der Vorsteher des selbsternannten Kiewer Patriarchats, Filaret, kündigte bereits an, dass der künftigen ukrainischen Autokephalie die wichtigsten Heiligtümer der russisch-ukrainischen Orthodoxie: das Kiewer Höhlenkloster und das Potschajew-Kloster (Gebiet Ternopol im Westen des Landes) zustünden. Damit kann es zu Auseinandersetzungen in praktisch allen Regionen kommen. Und dann wäre es mit dem Burgfrieden in der Ukraine endgültig vorbei.
Mehr zum Thema - Kirchliche Prozessionen in der Ukraine: Rechter Sektor attackiert Friedensmarsch
Durch die Sperrung von RT zielt die EU darauf ab, eine kritische, nicht prowestliche Informationsquelle zum Schweigen zu bringen. Und dies nicht nur hinsichtlich des Ukraine-Kriegs. Der Zugang zu unserer Website wurde erschwert, mehrere Soziale Medien haben unsere Accounts blockiert. Es liegt nun an uns allen, ob in Deutschland und der EU auch weiterhin ein Journalismus jenseits der Mainstream-Narrative betrieben werden kann. Wenn Euch unsere Artikel gefallen, teilt sie gern überall, wo Ihr aktiv seid. Das ist möglich, denn die EU hat weder unsere Arbeit noch das Lesen und Teilen unserer Artikel verboten. Anmerkung: Allerdings hat Österreich mit der Änderung des "Audiovisuellen Mediendienst-Gesetzes" am 13. April diesbezüglich eine Änderung eingeführt, die möglicherweise auch Privatpersonen betrifft. Deswegen bitten wir Euch bis zur Klärung des Sachverhalts, in Österreich unsere Beiträge vorerst nicht in den Sozialen Medien zu teilen.