Europa

Brückeneinsturz in Genua: Auf die Katastrophe folgen Schuldzuweisungen und Abrechnungen

Nach dem tödlichen Einsturz der Brücke in Genua stand Italien unter Schock. Nun machen sich Trauer und Wut breit. Auch die Politik nutzt die Katastrophe zunehmend als politisches Mittel: Die einen rechnen mit der EU ab, die anderen mit politischen Gegnern.
Brückeneinsturz in Genua: Auf die Katastrophe folgen Schuldzuweisungen und AbrechnungenQuelle: www.globallookpress.com

Zweieinhalb Monate ist die italienische Regierung im Amt. Der Brückeneinsturz in Genua ist ihre erste Bewährungsprobe. Bei dem Unglück waren mindestens 38 Menschen ums Leben gekommen, Dutzende sind verletzt. Aus Sicherheitsgründen wurden insgesamt 13 Wohnhäuser unter dem Unglücks-Viadukt evakuiert. 558 Menschen verloren der Präfektur zufolge ihr Zuhause. 117 seien in Hotels oder bei Privatleuten untergebracht.

Es drohen schwerwiegende wirtschaftliche Auswirkungen, die auf die gesamte Region ausstrahlen könnten. Die Überführung verband den Osten mit dem Westen der Stadt, sie war Teil der Zufahrtsstraße zum Hafen, dem bedeutendsten in ganz Italien. Der Einsturz der Brücke entzweit die Stadt nicht nur, er isoliert sie auch. "Die Morandi-Brücke, die nicht mehr da ist, trägt ein gutes Stück der ligurischen Wirtschaft fort. Und der italienischen", schrieb die Zeitung La Repubblica am Donnerstag. Die Katastrophe von Genua ist ein Kollaps, an dem sich mehr entscheiden dürfte, als nur die Zukunft einer Brücke.

Regierung gibt Autobahnbetreiber und EU die Schuld

Es ist eine Mammutaufgabe, die die Regierung aus der rechten Lega und der als Protestbewegung geborenen Fünf-Sterne-Bewegung nun anpacken muss. Gleich nach dem Einsturz zögerte die Regierung nicht, Soforthilfen freizugeben. Regierungschef Giuseppe Conte stellte fünf Millionen Euro an Hilfsgeldern für die Region Ligurien zur Verfügung. Am Dienstag war er auch schnell am Unglücksort, um Verletzte am Krankenbett zu besuchen.

Doch während die Retter noch nach Vermissten graben, wird das Thema immer mehr zu einem Politikum. Fast jeder stellt sich die Frage, wie es zum Einsturz eines Bauwerks kommen konnte, das über ein halbes Jahrhundert Bestand hatte, an dem ständig, buchstäblich Tag und Nacht gearbeitet wurde. Die Regierung gibt dem Autobahnbetreiber und den strengen Defizitregeln der Europäischen Union die Schuld.

Geld, das für die Sicherheit ausgegeben werde, dürfe "nicht nach den strengen (...) Regeln berechnet werden, die Europa uns auferlegt", sagte der Innenminister und EU-kritische Politiker Matteo Salvini am Mittwoch dem Sender Radio24.

Immer muss man um Erlaubnis fragen, um Geld auszugeben", prangerte er an.

Davon dürfe aber nicht die Sicherheit auf den Straßen, bei der Arbeit und in den Schulen, "in denen immer mal wieder die Decken einstürzen", abhängen.

Betreiber verwaltet nach eigenen Angaben 3.020 Kilometer des Autobahnnetzes

Italien könne wie alle EU-Mitgliedsstaaten politische Prioritäten im Rahmen der Haushaltsregeln festlegen, "zum Beispiel die Entwicklung und den Erhalt der Infrastruktur", sagte ein Sprecher der EU-Kommission am Mittwoch. Aus dem Europäischen Struktur- und Investitionsfonds erhält Italien im Haushaltsrahmen 2014 bis 2020 die Summe von 2,5 Milliarden Euro. Tatsächlich habe die EU Italien sogar dazu ermuntert, in die Infrastruktur zu investieren.

Gegen den Betreiber Autostrade per l'Italia seien Schritte eingeleitet worden, um die Lizenz für die Straße zu entziehen und eine Strafe von bis zu 150 Millionen Euro zu verhängen, erklärte Verkehrsminister Danilo Toninelli am Mittwoch auf Facebook. Er forderte das Management zum Rücktritt auf. Auch der Fünf-Sterne-Chef und Vize-Ministerpräsident Luigi Di Maio machte das Unternehmen für die Tragödie verantwortlich.

Der Autobahnbetreiber verteidigt sich und rechnet vor, wie viele Milliarden in den vergangenen Jahren in das Netz investiert wurden. Man sei sich sicher, nachweisen zu können, dass man allen aus der Konzession entstandenen Verpflichtungen nachgekommen sei. Sterne-Chef Di Maio kritisierte weiter:

Autostrade sagt, sie habe Anspruch auf Erlöse aus dem Vertrag, den wir ihr entziehen werden. Es ist beschämend, immer noch an Profit und Börsenzahlen zu denken.

Autostrade per l'Italia ist das größte Maut-Unternehmen des Landes. Es verwaltet nach eigenen Angaben 3.020 Kilometer des italienischen Autobahnnetzes, von dem viele Straßen in den 60er-Jahren erbaut und in den 90er-Jahren privatisiert wurden. Am Donnerstag leitete das Verkehrsministerium eine Untersuchung des Unternehmens ein und forderte es auf, binnen 15 Tagen nachzuweisen, dass es all seinen Instandhaltungspflichten nachgekommen sei. Die Gesellschaft müsse außerdem bestätigen, dass sie den Viadukt auf eigene Kosten vollständig wiederaufbauen werde.

Die italienische Senatorin Laura Garavini warf der Regierung in Rom indes die Verbreitung falscher Nachrichten zu dem tödlichen Brückeneinsturz vor. "Es geht nicht um Aufklärung, sondern die Regierung verbreitet von höchster Stelle Falschmeldungen", sagte die Sozialdemokratin in einem Interview mit dem Bayerischen Rundfunk am Freitag.

Es ist ein Klima entstanden, in dem Wahrheit, Seriosität und auch wissenschaftliche Erkenntnisse keine Rolle mehr spielen. Und auch jetzt beim Einsturz der Brücke in Genua werden Fake News zur Regierungspolitik.

Als Beispiel nannte Garavini eine Aussage des stellvertretenden Ministerpräsidenten Di Maio. "Er behauptet, die Autobahngesellschaft Autostrade zahle Steuern nur in Luxemburg und habe uns im Wahlkampf unterstützt. Das ist definitiv falsch", erklärte die sozialdemokratische Parlamentarierin. "Aber mit Fake News wird jetzt Regierungsarbeit gemacht und der politische Diskurs bestimmt, was fatal ist für eine Demokratie."

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Möglicherweise hat ein Riss eines Tragseils die Katastrophe verursacht 

Inzwischen gibt es auch eine erste Experteneinschätzung zur Ursache des Einsturzes der Autobahnbrücke. Demnach könnte möglicherweise ein Riss eines Tragseils die Katastrophe verursacht haben. "Dies ist eine ernste Arbeitshypothese, aber nach drei Tagen ist es nur eine Hypothese", sagte der Professor für Stahlbetonbau an der Universität Genua, Antonio Brencich, am Freitag vor Journalisten.

Brencich gehört einer vom Verkehrsministerium eingesetzten Unfallkommission an. Es gebe Zeugenaussagen und Videos, die auf die Tragseile hindeuteten, sagte er laut Nachrichtenagentur ANSA. Dagegen schloss er eine Überlastung der Brücke als Grund aus. "Der Regen, der Donner, die Überlastung sind fantasievolle Hypothesen, die nicht einmal in Erwägung gezogen werden."

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Der vierspurige, etwa 1.200 Meter lange Polcevera-Viadukt in Genua setzt sich aus drei Einzelbrücken zusammen, von denen eine am Dienstag einstürzte. Die von den Pylonen zum Fahrbahnträger reichenden Stahlseile sind in eine Beton-Ummantelung eingeschlossen. Diese soll vor Korrosion schützen.

Die Zeitung La Repubblica schrieb am Freitag, dass eine Studie des Polytechnikums Mailand schon 2017 Schwächen an den Seilen entdeckt habe. Die Zeitung zitierte außerdem Augenzeugen des Unglücks, die gesehen hätten, wie die Spannseile nachgaben.

Ich war am Steuer meines Autos und habe gesehen, wie die Seile an der Seite nachgaben. Gleich danach begann der Asphalt unter mir zu zittern wie bei einem Erdbeben", sagte die Ärztin Valentina Galbusera der Zeitung.

(rt deutsch/dpa)

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