Migrantenkrise in Bosnien: Land wird zum Sammelbecken für Gestrandete auf dem Weg in die EU
Velika Kladuša hat gerade mal etwa 45.000 Einwohner. Rund 7.900 Menschen dieser Gemeinde waren im vergangenen Jahr offiziell als arbeitslos registriert. Die Stadt im nordwestlichen Teil Bosnien und Herzegowinas, im Kanton Una-Sana, der immer noch vom ex-jugoslawischen Bürgerkrieg gekennzeichnet ist, kämpft wie auch der Rest des Landes mit einer hohen Arbeitslosenquote. Dazu kommen Armut, Abwanderung vor allem der jungen Bevölkerung und Korruption. In den letzten Monaten kommt noch ein Problem dazu: Die Stadt verwandelt sich in ein Sammelbecken für Migranten, die in die EU wollen.
Die meisten davon haben bereits einen langen Weg hinter sich, kommen aus dem Irak, Iran, Pakistan oder Syrien. Auf dem europäischen Kontinent haben sie schon die Türkei, Griechenland, Albanien, Montenegro und fast Bosnien und Herzegowina durchquert, aber nun stockt ihre Weiterreise hier, rund drei Kilometer vor der EU-Grenze. Rund 1.400 registrierte Geflüchtete sollen sich derzeit offiziell in der Stadt aufhalten. Denn Velika Kladuša ist unter den Migranten sehr beliebt, da man von dort aus in gerade mal zehn Minuten zu Fuß die kroatische Grenze erreicht. Von dieser kommt man schnell nach Slowenien, aber auch eine Route in die italienische Stadt Triest soll es nach Berichten lokaler Medien geben.
Mehr als 10.000 Migranten seit Januar 2018 nach Bosnien und Herzegowina eingereist
Allein in einem improvisierten Zeltlager am Rande von Velika Kladuša sollen derzeit rund 400 Migranten leben, die täglich versuchen, ihren Weg in die EU fortzusetzen. In der rund 40 Kilometer entfernten Stadt Bihać ist die Lage noch dramatischer. Dort sollen sich offiziell 4.163 Migranten - Stand vom 8. August - aufhalten. Seit Januar 2018 sollen nach aktuell veröffentlichten Zahlen insgesamt 10.145 Menschen illegal nach Bosnien und Herzegowina (rund 3,5 Millionen Einwohner) eingereist sein.
Während die Europäische Union intern seit Monaten verstärkt nach einer Lösung der sogenannten Migrationskrise sucht, verwandelt sich das kleine Balkan-Land Tag für Tag in ein Sammelbecken für gestrandete Geflüchtete, die auf ihrem Weg in die EU an der Grenze zu Kroatien gestoppt wurden. Viele von ihnen berichten von einem angeblich "rabiaten" Vorgehen der kroatischen und slowenischen Grenzpolizei. Hilfsorganisationen vor Ort behaupten, es gäbe physische und verbale Gewalt gegen Geflüchtete, Einschüchterungen und Demütigungen sowie Diebstahl von Geld und Zerstörung von Mobiltelefonen, mithilfe derer die Migranten den Routen nachgehen.
Rund ein Drittel der Menschen, die im ersten Halbjahr illegal ins Land eingereist waren, kam aus Pakistan, gefolgt von Syrien (15 Prozent) und Iran (12 Prozent). Danach folgen Algerien und Irak. In Bosnien und Herzegowina lassen sie sich registrieren, wollen aber stets weiterreisen. Hauptziel für die meisten sei Deutschland oder Schweden.
Eskalation der Krise befürchtet, falls der Zustrom anhält
Wie alarmierend die Situation ist, zeigt auch ein Protest aller Bürgermeister und Gemeindevorsteher aus dem Kanton Una-Sana vor rund zwei Wochen in Sarajevo, der vor dem Gebäude des Sicherheitsministeriums stattgefunden hatte. Die Lokalpolitiker appellierten an den zuständigen Minister, Dragan Mektić, dringend ein zentrales Flüchtlingszentrum zu errichten, andernfalls drohe die zutiefst angespannte Lage in den beiden Städten zu eskalieren. Sie warnten zudem vor einer humanitären Katastrophe, wenn der Zustrom nicht eingedämmt werde. Die Behörden versuchen vorwiegend Kinder und Frauen in einigen Hotels unterzubringen, aber die meisten Migranten schlafen in Zelten oder leer stehenden, heruntergekommenen Gebäuden.
Täglich kommen zwischen 30 und 50 Migranten, die Lage wird langsam unerträglich, denn die lokale Verwaltung verfügt nicht über die nötigen Mittel, um so eine große Zahl an Neuankömmlingen mit Unterkunft und Essen zu versorgen", sagte der Bürgermeister von Bihać, Šuhret Fazlić.
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Noch Ende Juni warnte er vor einer Eskalation der Krise, denn die Stadt habe keine Ressourcen mehr. Die Versorgung der Migranten würde täglich 4.000 Euro kosten.
Die lokale Bevölkerung, die selbst einen Krieg erlebt hat, zeigt sich sehr solidarisch. Viele Bürger spenden Essen, Hygieneartikel oder Kleidung. Aber durch die stetig wachsende Zahl droht die Situation, zu kippen.
Wir haben sehr viele bedürftige Menschen hier. Wir schaffen es kaum, ebenso der Rote Kreuz, sie zu versorgen", sagte Muhamed Selmanović, Mitglied der im Stadtparlament von Bihać vertretenen Partei "Nasa stranka".
Jetzt seien mindestens 3.000 Migranten in der Stadt. "Und wir (die Stadt) sind nun sozusagen von allen Seiten bedroht", so Selmanović.
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