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"Keine haltbare Hypothese" - Internationale Wissenschaftler äußern sich zu Nowitschok und Skripal

Laut britischen Angaben wurden Sergej und Julia Skripal mit dem in der Sowjetunion entwickelten chemischen Kampfstoff Nowitschok vergiftet. Eine schlüssige Theorie über den Tathergang müsste allerdings die besonderen Eigenschaften des Nervengiftes berücksichtigen.
"Keine haltbare Hypothese" - Internationale Wissenschaftler äußern sich zu Nowitschok und SkripalQuelle: Reuters

Erstaunlich ist, dass offenbar zahlreiche Wissenschaftler in verschiedenen Teilen der Welt Kenntnisse über das Gift Nowitschok besitzen. Angeblich soll es ja nur in Russland bekannt sein. Die in den Medien und der Literatur wiedergegebenen Äußerungen von Experten lassen nur wenig Raum für Antworten auf die Frage, wie der Nervenkampfstoff gegen die Familie Skripal wirklich eingesetzt werden konnte. 

Übereinstimmend bezeichnen die Fachleute die Nowitschok-Substanzen als organische Phosphatstoffe. Es handelt sich um binäre Kampfstoffe, das heißt, es trete erst eine giftige Wirkung auf, wenn zwei Chemikalien sich verbinden. Getrennt sind die Bestandteile ungiftig und gefahrlos.

Alle Experten sprechen zudem von einer Reihe verschiedener Arten oder Typen des Giftes. Die dadurch verursachten Krankheitsbilder gleichen jenen der "klassischen" chemischen Waffen wie Sarin oder VX. Sie sollen jedoch um etwa das Achtfache stärker in der tödlichen Wirkung sein, was wohl bedeutet, dass kleinere Mengen dafür ausreichen oder dass sie noch schneller schwere Folgen provozieren - nämlich zwischen 30 Sekunden und zwei Minuten. 

Rascher Abbau in der Umwelt

Die Kampfstoffe wirken schnell und heftig, doch es soll eine Ausnahme geben: In ihrer flüssigen Form entstehen bei der Freisetzung des Kampfstoffes Gase, die beim Einatmen einen verzögerten Effekt hervorrufen können. Krankheitssymptome oder der Tod treten dann möglicherweise erst nach mehreren Stunden auf. Einige Experten meinen jedoch, nur geringe Mengen könnten beim Einatmen zum Tod führen.

Sobald die Stoffe der Umwelt ausgesetzt sind, bauen sie sich in kurzer Zeit ab oder verflüchtigen sich, erst recht bei hoher Luftfeuchtigkeit. Diese typische Eigenschaft haben alle drei möglichen Formate, sei es als feines Pulver, als Flüssigkeit oder als ein honigdickes Gelee. Das Material soll geruchlos, geschmacklos und auch farblos sein.

Andrea Sella, Professorin für anorganische Chemie an der Universität London, äußerte sich in einem Interview mit CNN am 13.März dazu:

Es ist nicht möglich, dass sich das Material in der Umgebung alleine weiterverbreitet, und es würde sich unter dem Einfluss von Feuchtigkeit in der Umwelt relativ schnell zersetzen.

Deshalb bestünde für die Bevölkerung der Wohngegend der Skripals nur ein sehr geringes Risiko, trotz der extremen Giftigkeit dieses chemischen Materials. Auch George Braitberg, Professor für Notmedizin der Universität Melbourne/Australien, bestätigte:

Wir wissen, dass Nowitschok-Arten für kurze Zeit in der Umwelt bestehen bleiben (obwohl dies nicht gut definiert ist), und daher gibt es anhaltende Zweifel hinsichtlich des Sekundärkontakts. 

Und weiter:

Ob man das Gift überlebt, hängt davon ab, bis zu welchem Ausmaß man ihm ausgesetzt war. Es wird angenommen, dass ein Vergiften überwiegend durch Einatmen geschieht, obwohl auch die Haut- oder Schleimhäute die Substanz aufnehmen können. Wobei die Haut eine längere Zeit dem Gift ausgesetzt sein muss, damit es zu einer entsprechenden Wirkung kommt. Denn die Haut bildet eine natürliche Barriere.

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Flüchtiger Kontakt reicht nicht zur Aufnahme über die Haut aus

Alastair Hay, emeritierter Professor für Umwelttoxikologie an der Universität Leeds, England, sagt in einem Interview mit CBS-News dazu: 

Das Nervenmittel wird durch die Haut absorbiert, was eine Stunde oder länger dauern kann, wenn die Substanz bei Verwenden einer Art Nikotinpflaster verabreicht wurde.

Er bringt damit zum Ausdruck, dass das Material kontinuierlich und fest auf der Haut kleben müsste, wohingegen ein flüchtiger Kontakt zum Beispiel mit einem Pulver, das wieder abfällt, dazu nicht ausreicht. Der US-Wissenschaftler Hank Ellison (Universität Irvine, Kalifornien; Mitglied des Verbands amerikanischer Wissenschaftler und früherer Offizier des chemischen Korps der US-Armee) schreibt in seinem Buch Nothilfe für chemische und biologische Kampfstoffe über die Nowitschok-Gifte Folgendes:

Die Gase dieser Kampfstoffe haben eine größere Dichte als Luft, weshalb sie sich mehr in Bodennähe ansammeln. Die Wirkungsdauer innerhalb eines geschlossenen Raums ist weit länger als außerhalb in der Umwelt. Aufgrund des hohen Verdunstungsgrades und des raschen Auflösens vieler solcher Kampfstoffe ist eine mangelnde Identifizierung in der Umwelt nicht unbedingt ein Beweis dafür, dass die Substanz nicht angewendet wurde.

Bislang gibt es keine haltbare Hypothese 

Bei dem feuchtkalten Wetter Anfang März in England muss man davon ausgehen, dass sich das Gift in der Umwelt tatsächlich rasch verflüchtigt hat. Hier noch einige Schlussfolgerungen:

Wenn wir der Hauptthese von Scotland Yard folgen, wonach an der Außenseite der Haustür der Skripals "die meisten Mengen/Spuren von Nowitschok" gefunden wurden, müssen wir daran denken, dass der Kampfstoff unter den klimatischen Bedingungen kaum vier bis sechs Stunden lang aktiviert bleiben konnte - das wäre die mögliche Zeit zwischen einem nächtlichen Anbringen des Gifts und dem morgendlichen Öffnen der Haustür. 

Scotland Yard sagt, das Mittel sei (in Pulverform?) auf der Haustür verstreut worden - und so auch am Türgriff. Doch sobald die Klinke von innen bewegt wird, um die Tür zu öffnen, fällt das Pulver herunter, nur wenig bleibt haften. Laut den zitierten Wissenschaftlern genügt der flüchtige Kontakt für eine Vergiftung über die Haut nicht. Und welchen Sinn sollte es haben, das Zeug auf dem Türblatt zu verstreuen, wie die Polizei versicherte? Wenn der Mensch eine Tür öffnet, heraustritt und sie wieder verschließt, streicht er nicht zusätzlich mit der Hand über das Türblatt.

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Folgen wir dennoch der Theorie und stellen uns eine zweite Möglichkeit vor: dass die Klinke mit dem Gift in Form einer Lotion eingeschmiert worden wäre. Als die Skripals am frühen Morgen kurz vor neun Uhr aus dem Haus traten, fassten Vater oder Tochter beim Abschließen an die Klinke. Er oder sie hätte sofort gespürt, dass da etwas Cremeartiges an die Hand gelangt ist und wäre sicherlich ins Haus zurückgeeilt, um sich die Hände zu waschen. Oder war das Gel schon getrocknet und man spürte es nicht? Dann war es aber sicher auch nicht mehr aktiv.

Keine der denkbaren Hypothesen überzeugt

Doch selbst wenn wir beide Szenen für denkbar halten, besteht ein weiteres Problem: Kann man sich vorstellen, dass beim Türschließen Vater und Tochter gleichzeitig den Türgriff umfassten und abschlossen? Wenn jedoch nur eine der beiden Personen das tat und die andere mit höchster Wahrscheinlichkeit einfach nur rausging - warum waren dann beide vergiftet?

Und wenn wir immer noch nach einer möglichen Erklärung suchen, könnten wir als Drittes denken, dass Sergej und Julia im Innern des Hauses das Gas eines flüssigen Kampfstoffes eingeatmet haben könnten. Allein in diesem Fall hätten die Symptome womöglich über sieben Stunden verspätet auftreten können (auf der Parkbank). Doch warum kam dann auch der Kriminalpolizist Nick Bailey, der die Erkrankten "als einer der Ersten" betreute, mit Symptomen ins Krankenhaus? Das Einatmen im Freien hinterlässt keine greifbaren äußeren Spuren, die den Polizisten hätten vergiften können. Wie erklärt sich das?  

Bleibt nur noch, den Tatort bei der Parkbank zu vermuten. Doch auch hier gibt es Widersprüche. Hätte dort ein Täter die Skripals attackiert, womöglich mit einem militärischen Sprühgerät, dann müsste auch das medizinische Personal verseucht und erkrankt sein, das nach kurzer Zeit eigetroffen war und die Personen angefasst hatte. Doch das war nicht der Fall. Keine Hypothese ist damit haltbar.

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Zum Schluss sei angemerkt, dass binäre chemische Kampfstoffe normalerweise in Verbindung mit Kriegswaffen eingesetzt werden, also mit Granaten, Raketen oder Bomben. Die Explosion setzt sofort Gase frei, die in wenigen Sekunden oder Minuten von den angegriffenen Opfern eingeatmet werden. Die Wirkung ist kurzzeitig programmiert. Von daher rührt auch die Schwierigkeit, den Einsatz von Nowitschok im Fall Skripal zu erklären.  

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